Leipziger auf mehrtägiger Projektreise / Auch Spenden von LVZ-Lesern überbracht

Erstveröffentlicht: 
09.01.2016

VON ANGELIKA RAULIEN

 

Leipzig. Sie sind sich auch in diesem Jahr treu geblieben, nahmen Freizeit und privates Geld zusammen und machten sich erneut zwischen dem Jahreswechsel auf eine Balkanreise, um Projekte abzuklappern, die sie teils seit Längerem unterstützen: die Mitstreiter des hiesigen Vereins „Verantwortung für Flüchtlinge“ und der Bürgerinitiative „Leipzig korrektiv“ (BI).

 

Heiligabend hatten sie Monate zuvor gesammelte Sachspenden verladen, die viele Leser nach einem entsprechenden Aufruf in der LVZ mit aufgebracht hatten. Dazu gehörten auch Geldspenden, die die BI- und Vereinsmitglieder für die Projekte im Westbalkan einwerben konnten. So etwa 2600 Euro, die die beiden Reise-Teilnehmer Ricky Burzlaff und Ralph Rüdiger explizit fürs albanische Kinderheim Rreze Dielli eingeworben hatten und nun persönlich übergaben. Sachsens Partei Die Linke hatte für das ganze Unterfangen einen Kleinbus zur Verfügung gestellt.

 

Am ersten Weihnachtsfeiertag ging es dann von Leipzig über München, Ljubljana und Zagreb zunächst bis ins bosnische Srebrenica; tags darauf weiter nach Konik, einem Stadtteil von Podgorica, der Hauptstadt von Montenegro. Dort steuerten die Leipziger – neben Rüdiger und Burzlaff zählten Anne Hantsch, Lydia Hoffmann, Robert Kießling und Stephan Bosch dazu – zwei Flüchtlingscamps an, wo Tausende Menschen unter widrigsten Bedingungen nahezu auf einer Müllhalde campieren. Einige Mitglieder von „Verantwortung für Flüchtlinge“ unterstützen da schon lange zusammen mit der Nichtregierungsorganisation Help die Lagerbewohner (die LVZ berichtete). Größtenteils sind es Roma, die in Montenegro sehr diskriminiert würden, wie es hieß. Für die Grundschule des Großlagers hatten sie vor allem Sportsachen im Gepäck. „Neue T-Shirts, Shorts und Tights für 162 Grundschulkinder sowie 130 Paar Turnschuhe und einen Scheck von 400 Euro, von dem die restlichen Paar Schuhe mit der richtigen Größe von Help gekauft werden sollen“, sagt Mitstreiterin Anne Hantsch. Die Kita des Camps Konik erhielt neues Spielzeug. Spürbar bewegt berichtet Hantsch von einem kleinen Jungen, der sie vor Ort in akzentfreiem Deutsch ansprach. „Er erzählte, dass er erst vor kurzem mit seiner Mutter und seinen vier Schwestern nach Konik gekommen sei. Vorher hatte er in Kiel gelebt, die Kinder gingen in Kita und Schule.“ Der Vater arbeite noch immer in Kiel, aber der „Rest“ der Familie sei halt abgeschoben worden.

 

Am 27. Dezember wurde die albanische Hauptstadt Tirana erreicht. Im Kinderheim Rreze Dielli (Sonnenstrahlen) im nahen Peza hätten sie die Mädchen und Jungen fröhlich begrüßt, so die Leipziger. Dabei sei ihr Schicksal teils erschütternd. „Wir haben dort Kinder kennengelernt, deren Eltern erschossen worden sind. Und Kinder, die von ihrer Familie einfach nicht mehr ernährt werden können“, erzählt Burzlaff. Insgesamt versuche die Projektgruppe, um das Heim trotz wenig Geld effiziente und professionelle Strukturen zu schaffen. Umso mehr hätten sich Kinder wie Mitarbeiter dafür aber über den von Rüdiger und Burzlaff überreichten hilfreichen 2600-Euro-Spendenscheck gefreut.

 

In Fushë Kosova bei Prishtina, der Hauptstadt des Kosovo, wurde am 30. Dezember Halt gemacht. Im größten Lager für (etwa aus Deutschland) abgeschobene Roma. Auch hier – die Lebensbedingungen katastrophal. „Gegen 14 Uhr kamen wir dort bei Ergins Zuhause an“, schildert Hantsch. Ergin sei 2010 abgeschoben worden, habe seine schwerkranke Mutter in Deutschland zurücklassen müssen. Man habe versucht, ihm einen Familiennachzug wegen Härtefalls zu ermöglichen, jedoch vergeblich, so Hantsch. „Er und seine Frau haben im vergangenen Sommer nun einen Sohn bekommen. Und momentan sammelt Ergin Flaschen, Eisen und Aluminium, um es für ein wenig Geld zu verkaufen.“ Die Monatsmiete, 40 Euro, käme so gerade zusammen. Doch weitere Ausgaben würden die Familie sehr belasten. Das Baby etwa nehme Muttermilch nicht an, alle drei Tage gilt es Milchpulver aufzutreiben, wobei eine Packung fünf Euro kostet.

 

In Fushë Kosova machten sich die Leipziger dann auch auf, einen Händler zu finden, der günstig Brennholz verkauft. Sie fanden einen, der immerhin für 120 Euro dreieinhalb Kubikmeter Holz rausrückte. LVZ-Lesern mag das Patenschaftsprojekt in Erinnerung sein, das die Balkanreisenden noch daheim ins Leben gerufen hatten: Für 95 Spendeneuro ist einer Familie in Fushë Kosova Brennholz für zwei, drei Monate zu verschaffen. Immerhin: Auf diese Weise konnten sie jetzt schon mal14 Familien im eisigen Kosovo-Winter ein Stück weiterhelfen. Eine von ihnen belieferte Familie blieb Hantsch da wohl besonders in Erinnerung: „Ihr Haus war undicht, hatte kein Fensterglas. Als die Leute herauskamen, um beim Ausladen zu helfen, fing der Vater an zu weinen. Die Kinder hatten teilweise keine Strümpfe an und zitterten, obwohl sie doch gerade aus dem Haus gekommen waren. Wir hatten tagsüber nur Minusgrade, und ich dachte schon gegen Nachmittag, ich könnte es keine Minute länger mehr in der Kälte aushalten. Wie es bloß diesen vielen Familien hier nachts gehen muss …“

 

Über 500 Roma schicke die BRD jährlich in den Kosovo zurück, wo sie auf ein kaum vorstellbares Massenelend treffen. Die meisten lebten im Schnitt mit 60 Cent pro Tag. „Uns als Verein ist es wichtig, den aus Deutschland Abgeschobenen zu zeigen, dass ihr weiteres Schicksal uns nicht kalt lässt“, heißt es bei „Verantwortung für Flüchtlinge“. Und der Aufenthalt in Fushë Kosova habe ihnen einmal mehr gezeigt, wie nötig ihre hier längst geplante Anlaufstelle für abgeschobene Flüchtlinge ist, so Hantsch. „Leider schafften wir es noch nicht, 500 Euro laufende Spenden dafür auf unser Vereinskonto zu bekommen, mit denen wir jemanden beschäftigen könnten, der die Menschen berät, zu Behörden fährt und Dokumente besorgt“, bedauert sie. Vergangenes Wochenende kehrten die Leipziger nach Hause zurück – wo sie an diesem Ziel nun weiterarbeiten wollen.