„Mein Kampf“ – Sachsen gibt Hitlerbuch für Unterricht frei

Erstveröffentlicht: 
07.01.2016

Kurth: Lehrer entscheiden selbst / Thüringen lehnt Neuausgabe für Schulen ab


VON ANDREAS DEBSKI

 

Dresden/Erfurt. Morgen erscheint Hitlers Hetzschrift „Mein Kampf“ in einer kommentierten Neuausgabe zum ersten Mal seit 70 Jahren wieder in Deutschland – und könnte in Sachsen umgehend zum Unterrichtsstoff werden. „Unsere Lehrer haben eine hervorragende Ausbildung und das nötige pädagogisch-didaktische Rüstzeug, um Inhalte dieses Buches verantwortungsvoll mit den Schülern zu besprechen“, sagt Sachsens Kultusministerin Brunhild Kurth (CDU) der Leipziger Volkszeitung. Damit erteilt sie die Freigabe für jenes Buch, auf dem die NS-Propaganda beruhte und das jahrzehntelang in den sogenannten Gift-Abteilungen der Bibliotheken verschlossen war.

 

Neben den genehmigten Schulbüchern und den Literaturempfehlungen mache das sächsische Kultusministerium keine Vorgaben zur Bücherwahl im Unterricht, erklärt Brunhild Kurth. Jedem Lehrer sei es ab morgen freigestellt, ob und wie die jetzt erscheinende kommentierte Ausgabe in den Klassen behandelt wird. Auf dem Markt frei verfügbare und rechtlich zulässige Bücher könnten auch in den Unterricht eingebunden werden, so die Kultusministerin.

 

Die CDU-Politikerin stellt allerdings klar: „Ziel muss es dabei sein, die NS-Ideologie zu entlarven, Schüler gegen Rechtsextremismus stark zu machen und sie zu Persönlichkeiten zu erziehen, die der Ideologie des Nationalsozialismus und allen anderen extremistischen Tendenzen sowie Gewaltherrschaften entschieden entgegen treten.“ Denkbar sei die Behandlung beispielsweise in Geschichte oder Gesellschaftskunde in den oberen Klassen; aber auch in Biologie, die Rassentheorie betreffend.

 

Nach 1945 war es für Verlage nicht möglich, das Buch nachzudrucken. Doch jetzt hat sich die Lage grundlegend geändert: Mit dem Ablauf des Jahres 2015 – also 70 Jahre nach dem Tod des Nazi-Diktators – sind die Urheberrechte erloschen, die beim Freistaat Bayern lagen (siehe Hintergrundkasten).

 

Thüringens Bildungsministerin Birgit Klaubert (Linke) will sich dagegen nicht festlegen – sondern fordert eine bundeseinheitliche Regelung, wie mit Hitlers Propaganda-Schrift umzugehen ist. Ihr eigener humanistischer Anspruch und der Respekt vor den Millionen NS-Opfern lehne allerdings eine Behandlung im Unterricht ab, erklärt Birgit Klaubert. Dagegen teilen Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU), Lehrerverbandspräsident Josef Kraus wie auch der Chef der Bundeszentrale für politische Bildung, Thomas Krüger, die sächsische Auffassung. Mecklenburg-Vorpommern will „Mein Kampf“ gar zum verbindlichen Unterrichtsstoff machen. Auch Bayern und Berlin halten den Einsatz der kommentierten Ausgabe an den Schulen für möglich. „Unveränderte Nachdrucke dieser Hetzschrift haben an Bayerns Schulen aber keinen Platz“, sagte gestern Bayerns Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU).

 

Thomas Krüger meint: „Heute würden Jugendliche Hitlers Buch wahrscheinlich nach wenigen Seiten weglegen und sich fragen: ‚Was ist denn das für ein Heini?’“ Dennoch will sein Haus eine kommentierte Teilausgabe der Kampfschrift für Schüler noch in diesem Jahr herausbringen, die auch in Klassensätzen bestellt werden kann.

 



Hintergrund

Die kommentierte Neuausgabe


Die kommentierte Neuausgabe von Hitlers Hetzschrift „Mein Kampf“ (1800 Seiten, 59 Euro) ist ein Forschungsprojekt des Instituts für Zeitgeschichte (IfZ) in München. Sie erscheint morgen. Renommierte Wissenschaftler haben drei Jahre an dem Projekt gearbeitet und damit weltweit für Schlagzeilen gesorgt. Hitler schrieb das Buch 1924 als Häftling in der Festung Landsberg. Er entwickelte darin unter anderem seine menschenverachtende „Rassentheorie“. Da Hitler seit 70 Jahren tot ist, sind die Urheberrechte an allem, was er jemals zu Papier gebracht hat, 2015 ausgelaufen. ski