Noch bis Februar plant die Bundeswehr und das Kriegsministerium, die Öffentlichkeit mit ihrer seit Anfang November laufenden mindestens 12 Mio. Euro schweren Werbekampagne republikweit zu behelligen. Landauf landab arbeiten sich Kritiker_Innen des Militärs bereits an den Bundeswehr-Plakaten mit Sachbeschädigungen, Plakataktionen oder Aufklebern an den Plakaten ab. Dabei kommen auch Aktionsformen aus dem Arsenal der Kommunikationsguerilla wie Adbustings oder gecoverte Websites zum Einsatz. Angesichts der mauen Proteste gegen den Zapfenstreich im November und des geringen Interesses am Syrien-Einsatz der deutschen Soldateska erscheint der Widerstand aus dem linken Lager gegen die poppige mordsmäßige Kampagne überraschend groß. Doch welcher Eindruck ist am Ende stärker? Der beabsichtigte Werbeeffekt der Militärs oder die Subversion durch die Gegenaktionen?
Wie funktionieren Plakate?
Um die Frage zu beantworten, ist es erst einmal notwendig, zu verstehen, wie Plakate eigentlich wirken. Bei den Bundeswehr-Plakaten dürfte von zwei gegenläufigen Mechanismen ausgegangen werden. Zum einen dürften die Bundeswehr-Poster analog zu Werbeplakaten funktionieren. Das spielt das sogenannte „branding“ eine Rolle. Dabei geht es darum, die eigenen Marke (am besten in gut erkennbaren „Corporate Design“) im öffentlichen Raum zu positionieren. Dies soll einen Gewöhnungseffekt erzeugen (wie gut das in der Regel funktioniert, kann man man z.B. daran sehen, dass viele Menschen runde Logos, die in rot und weiß gehalten sind, sehr schnell mit einer Getränkemarke verbinden). Nach diversen Flops in der Vergangenheit dürfte es der deutschen Soldateska mit der Werbeaktion also u.a. darum gehen, das Logo ihrer staatlich bezahlten Mord-Maschinerie genauso selbstverständlich im öffentlichen Raum und damit im Bewusstsein der Menschen zu verankern wie andere als „Arbeitgeber“ verklärte Ausbeutungs-Unternehmen es auch tun.
Parallele zu Wahlplakaten
Die zweite Funktionsweise dürfte analog zu Wahlplakaten erklärbar sein. Wahlplakate mobilisieren ohnehin schon überzeugte Unterstützer_Innen zur Wahl der jeweils werbenden Partei. Auf Menschen, die die werbende Partei ablehnen, hat ein Wahlplakat keine Wirkung. Die platten pseudo-poppigen Slogans dürften also in erster Linie bei Leuten mit schlechtem Geschmack, schlichtem Weltbild und einer ohnehin schon bestehenden Affinität zu stärke-dominierten Politikvorstellungen und autoritären Weltbildern verfangen. Dazu passt, dass die Plakate laut frag- den-staat.de bevorzugt neben Hochschulen, Gymnasien (die Bundeswehr hat Mangel an Pilot_innen und Ärzt_innen) und Mucki-Buden aufhängen lässt .
Sachbeschädigung mengenmäßig führend
Chronologisch die erste und auch mengenmäßig die häufigste linke Reaktion auf die Plakate der Militärs dürfte schlichte Sachbeschädigung gewesen sein. Besonders hervorstechen tut hierbei die Stadt Münster im Bundesland Nordrhein-Westfalen. Die dortigen Chaot_Innen zerkloppten einfach haufenweise Werbeständer der Firma Wall. In einem Bekenner_Innenschreiben warnen die Beteiligten die Firma vor weiteren Sachschäden, falls diese weiter in ihrer Stadt mordsmäßige Werbung machen sollte. Weitere Sachbeschädigungen an Bundeswehr-Werbung fanden republikweit statt.
Werbe-Firmen verantwortlich machen
Auf den interessanten Dreh, die Profiteure in der Werbeindustrie ins Visier zu nehmen, sind auch Berliner Chaot_Innen gekommen. Am Nikolaustag wurde der Berliner Sitz der Wall AG markiert, um auf die Militärconnection des Ladens aufmerksam zu machen zu machen.
„branding“ erfolgreich unterlaufen
Die erste Wirkungsweise der Werbeplakate dürfte mit diesen Aktionen wirkungsvoll unterlaufen werden. Kaputte Plakate mit zerfetzten Logos dürften wenig geeignet sein, um einen als „normal“ wahrgenommen Markenauftritt zu erzeugen. Und auch die zweite Wirkungsweise zeigt sich deutlich. Ähnlich wie bei Wahlplakaten lösen die Militärplakate bei Menschen, die das Militär ablehnen, Gegenreaktionen aus.
Kommunikationsguerilla wirkt anders
Einen anderen Weg verfolgen verschiedene Akteure der Kommunikationsguerilla. Bereits Anfang November anlässlich des Zapfenstreiches um dem Reichstag tauschten in Berlin unerkannt gebliebene ChaotInnen in Werbeständern des öffentlichen Nahverkehrs die Werbe-Poster gegen eigene Poster ein. Slogans wie „60 Jahre Bundeswehr? Ein Grund zum Reiern“ mussten die angereisten Ehrengäste auf dem Weg zum Zapfenstreich lesen. In der Presse-Berichterstattung geht die Aktion jedoch fast komplett unter. Denn zeitgleich mit dem Zapfenstreich und dem Start der Plakat-Kampagne investieren die Militärs auch in massiv in Anzeigen in den Printmedien. Wie erfolgreich diese Kampagne ist, zeigt sich in der einschließlich positiven Berichterstattung über den Zapfenstreich. Den Vogel schießt jedoch die links-alternative Tageszeitung taz ab. Dort gibt man ganz offen zu, dass man in der Rudi-Dutschke-Straße für Geld eigentlich alles druckt und in vollendeter grüner Manier wird den Lesenden zudem erklärt, dass das deutsche Militärs „nicht militaristisch“ sei.
Gefälschte Homepage: 100 Euro gegen 12 Mio.
Zwei Wochen später gelingt es dem Peng-Collective, der bundesweiten Journaille mit schlechten Gewissen eine Entlastung anzubieten. Mit einem Cover der zur Plakat-Kampagne gehörigen Homepage erreicht die Gruppe Ende November 2015 bundesweite Aufmerksamkeit. Dabei nimmt die Homepage den Style der Militär-Werbung auf. „Du glaubst, es ist cool, Soldat zu sein?“ fragt das Homepage-Cover, um dann u.a. auf braune Wirkungen der Traditionspflege und den krassen Sexismus in der Truppe hinzuweisen. Eine ähnliche Aktion geht zwei Wochen später analog direkt ans Verteidigungsministerium. Rund um den Bendler-Block müssen die Militärs veränderte Bundeswehr-Plakate mit Slogans wie: „Wir nehmen gerne auch Arschlöcher“, „Ausbeutung gewaltsam verteidigen“ und „Blitzkrieg in Syrien? Opa wäre stolz auf uns“ über sich ergehen lassen.
Adbustings überall
Und landauf landab kommt es zu ähnlichen kreativen Plakatveränderungen. So die SDAJ. Darüber hinaus springt die Parteijugend der Linkspartei im großen Stil auf die Kampagne auf und vertreibt bundesweit Poster und Aufkleber im oliv-grünen Style: „Bei uns geht’s ums töten nicht ums Brunnenbauen“. Mit einigem medialen Erfolg, wie folgender skuriller Artikel aus Chemnitz beispielhaft zeigt. Aber immerhin bringen sie die Kritik auch auf die Straße.
Reaktionäres Mind-Settings veralbern statt Argumentieren
Die Adbustings und Plakat-Veränderungen dürften ebenfalls auf beiden Wirkungsschienen wirken. Eine Verarsche dürfte ähnlich wie eine Beschädigung den Markenauftritt der Militärs versauen. Doch auf der zweiten Schiene sind die Adbustings überlegen. Im Gegensatz zu den Sachbeschädigungen sprechen sie nicht nur schon überzeugte Militär-Kritiker_Innen, sondern auch die Zielgruppe der Bundeswehr an. Und darüber hinaus veralbern oder ironisieren die Adbustings die Werte, Normen und Mind-Settings der Zielgruppe der Militärs. Unterm Strich dürfte der „wehrkraftzersetzende“ Effekt der Kommunikationsguerilla damit größer sein als bei plumper Sachbeschädigung.
Gefahr Vereinnahmung?
Allerdings stellt sich auch bei Kommunikationsguerilla immer die Frage nach dem Inhalt. Nur weil die Form der Aktion bestimmte Vorteile gegenüber anderen politischen Interventionsformen bietet, sind sie aus einer emanzipatorischen Perspektive trotzdem keine Selbstläufer. Die Plakatveränderungen der Adbusting-Aktivist_innen sind sehr anfällig für Vereinnahmungen aller Art. Das liegt u.a. daran, dass sie zwar für Erregungskorridore sorgen können, aber aufgrund der wenigen Buchstaben und der Einfachheit der Botschaft, die ein gelungenes Plakat nun einmal ausmachen, wenig Inhalt transportieren können. Darüber hinaus müssen Plakat-Veränderungen zumindest in einem gewissen Grade die vorgedruckte Vorgabe ihrer Gegner_Innen nutzen.
Aktion oder Werbung?
So kann die „Berliner Zeitung“ die Adbusting-Aktion am Kriegsministerium als „geniale Kommunikationsguerilla“ abfeiern und die poppigen Bilder als Klickfang benutzen (die Aktion ist schon recht nett, aber „genial“? Zumal die Leute die das gemacht haben, sehr eigenwilligen Links auf ihre Plakate setzten...Andernseits: Interessante Methode um Medien zur Berichterstattung zu bringen?). Und die Linkspartei-Jugend kann einfach auf den Zug aufspringen und mit dank ihrer finanziellen Mitteln mit ihren Aufklebern und Postern das politische Sub-Feld übernehmen.
Kommunikationsguerilla keine Systemkritik?
Doch auch mehr Platz für Zeichen bewahrt nicht vor dem Vereinnahmungs-Schicksal, wenn die Inhalte eigentlich egal sind, weil es um Image-Werbung geht. So beurteilt Phillipp Fritz, Autor bei der Berliner Zeitung die Homepage-Cover-Aktion des Peng-Collectives deshalb als unterstützenswert, weil sie keine grundsätzliche Systemkritik leistet: „Kritik an der deutschen Armee ist keine Systemkritik. Kritik an ihren Kampagnen kann auch geübt werden, wenn jemand die Notwendigkeit einer deutschen Verteidigungsarmee sieht. Die „Mach, was wirklich zählt“-Kampagne jedoch versucht die Bundeswehr als etwas zu verkaufen, was sie nicht ist - als einen Abenteuerspielplatz. Genau das entlarvt die Gegenkampagne von Peng.“ (Quelle).
Kommunikationsguerilla als Optimierung des Normalvollzugs?
Eine genaue Betrachtung zeigt: Herr Fritz hat Recht. Denn die Gegenkampagne entlarvt auch das Peng-Kollektiv als lammfrom: Mehr Humanitäre Hilfe? Leistet die Bundeswehr gerade mit dem größten ( und unkritisiertesten!) Inlandseinsatz in ihrer Geschichte. Und die Militärs fordern Personalaufstockungen, damit sie im In- und Ausland noch mehr Menschen mit ihrer Präsenz beglücken können. Weniger Sexismus in der Armee? Ein explizites Anliegen der aktuellen Kriegsministerin (dabei macht ausgerechnet der Sexismus ihrer Militärs ihr regelmäßig einen Strich durch die Rechnung). Kritische Aufarbeitung der Nazi-Vergangenheit im deutschen Militär? Ebenfalls ein Anliegen deutscher Außenpolitiker_Innen (denn wenn man aus der Vergangenheit lernt, kann man mit moralischer Überlegenheit überall in der Welt „intervenieren“). Zu jeder Forderung des Peng-Collectives kann das Militär also laut „Ja!“ sagen. Eine radikale Politik sollte mehr als Optimierung des kapitalistischen Normalvollzugs sein.
Resümee: Was bringt es?
Unterm Strich kann man die Proteste gegen die aktuelle Werbekampagne bestenfalls als ein Unentschieden werten. Zunächst ging die Bundeswehr mit der Anzeigen-Kampagne zeitgleich zum Zapfenstreich anlässlich des 60. Geburtstags der Re-Militarisierung der Bundesrepublik klar in Führung. Dank der massiven Werbe- und Anzeigenkampagne nahm kaum eine Zeitung keine Rücksicht auf die sich bietende Gelegenheit, Kasse zu machen. Auch der mediale Hype um die vom Peng-Collective gecoverte Werbe-Homepage der Bundeswehr zählt kaum angesichts der inhaltlichen Beliebigkeit der dort vertretenden Forderungen. Auf der positiven Seite dürfte trotz aller Kritik die Folgen der Debatte um die Adbustings und Sachbeschädigungen stehen. Bei vielen Menschen in der Zielgruppe der Bundeswehr dürfte angekommen sein, dass die Bundeswehr keine Arbeitgeber_In wie jede andere ist, weil man sich dort der Kritik der Öffentlichkeit aussetzt. Für Leute, die es gerne bequem und einfach haben wollen und deshalb ihre Fahne in den Wind hängen, ist dies vermutlich durchaus ein Kriterium, um eine eventuelle Karriere als staatlich bezahlte Mordmaschine noch einmal zu überdenken. Diesen Effekt dürften die tausenden Aufkleber, die die Anhänger_Innen der Linkspartei-Jugend in den nächsten Wochen an jugend-typischen Orten wie Fitness-Studios, Gymnasien und Hochschulen anbringen werden, noch verstärken. Stellt sich die Frage, ob das ausreicht, um gegen die in ganz Deutschland ausgegebenen Millionen der Soldateska gegen an zu stinken.
Mehr Infos:
Über das Verhältnis von Kunst und Politik:
http://maqui.blogsport.eu/2015/11/20/das-verhaeltnis-von-kunst-und-polit...
Adbusting am Kriegsministerin:
http://maqui.blogsport.eu/2015/12/12/adbusting-aktion-am-kriegsministerium/
Berliner Zeitung feiert Peng-Collective wegen mangelnder Systemkritik:
http://www.berliner-zeitung.de/meinung/kommentar-zu-peng-collective-waru...
Frankfurter Rundschau: So viel kostet die Bundeswehr-Werbekampagne:
http://www.fr-online.de/politik/-mach--was-wirklich-zaehlt--so-viel-kost...