Abgeschobene Tamara – Näherin statt Ärztin

Erstveröffentlicht: 
30.12.2015
Leipziger sammeln für tschetschenische Familie
VON MARTIN PELZL

 

Leipzig. Eine Weihnachtsgeschichte der ganz anderen Art sorgte im Vorjahr für eine Welle des Mitgefühls sowie für massive Kritik. „Abschiebe-Drama kurz vor dem Fest des Friedens“ titelte die LVZ. In dem Beitrag ging es um die damals 18-jährige in Leipzig wohnende Tamara S. aus Tschetschenein, die kurz vor Weihnachten mitten in der Nacht außer Landes gebracht wurde. Die (nicht betroffene) Familie – Mutter, Vater und zwei Brüder – reiste ihrer Tochter nach Polen nach, wohin sie verbracht wurde. Was ist aus Tamara und ihrer Familie geworden? Eine Spurensuche.

 

„In Polen verbrachte die Familie fast drei Monate in Abschiebehaft unter sehr schlechten Bedingungen. Sie durften sich nur in einem Zimmer mit vergitterten Fenstern aufhalten, in den 85 Tagen wurde ihnen zweimal ein Hofgang von je20 Minuten gestattet. Zum Essen gab es nur Kartoffeln, Telefonieren war nur am Wochenende gestattet. Nach dieser Zeit wurde die Familie nach Moskau abgeschoben“, berichtet Bea Löw, die als Sozialarbeiterin die „ausgesprochen warmherzige, freundliche Familie“ in Leipzig kennengelernt hatte. Mit ein wenig Unterstützung reiste das Quintett nach Tschetschenien zurück.

 

„In jenes Land, in dem die Familie Schweres erlebt“, wie Löw in Erfahrung bringen konnte. Der Vater von Tamara sei Ende der 2000er-Jahre durch die Misshandlung und einen Fenstersturz durch tschetschenisches Militär schwer verletzt worden und durch die anschließende langjährige entbehrungsreiche Fluchtgeschichte inzwischen „sehr krank, stark gehbehindert, halbseitig gelähmt und praktisch arbeitsunfähig“.

 

Die Sozialarbeiterin kann dank einiger Kontakte und einer Dolmetscherin noch mehr berichten: „Die erste Zeit konnten sie bei Verwandten unterkommen, inzwischen leben sie in einer Ruine, einem lange Zeit unbewohnten Gebäude ohne Wasser und Heizung in einem Dorf in Tschetschenien. Die Armut ist allgegenwärtig.“ Tamara habe sich nun „verzweifelt an uns gewandt und um ein bisschen finanzielle Unterstützung gebeten“, die der Familie wieder eine Art Alltag ermöglicht. Die beiden jüngeren Brüder würden gern wieder die Schule besuchen – ohne Geld für Schuluniform und Einschreibegebühr bleibt dies nur ein Traum.

 

Ebenso jener von Tamara, die als sehr engagierte Schülerin in Leipzig eine Ausbildung zur Krankenschwester – einen Ausbildungsplatz hatte sie hier schon in Aussicht – machen und später Ärztin werden wollte. „Sie darf aufgrund ihrer Volljährigkeit in Tschetschenien die Schule nicht mehr besuchen und möchte nun als Näherin die Familie unterstützen“, erzählt die Sozialarbeiterin. Dafür sei ein ebenso kostenpflichtiger unddort vorgeschriebener Vorbereitungskurs notwendig, den die Familie sich aktuell selbst nicht leisten kann. Die Mutter findet keine Arbeit, trotz intensiver Bemühungen.

 

„Die Abschiebung aus Deutschland hat alle Lebensperspektiven der Familie zerstört“, sagt Löw. Für sie und Mitstreiter seien Tamara S. und Familie Beispiele für wirklich vorbildliche Integration gewesen, „wovon unsere Gesellschaft sicher auch profitiert hätte“. Sie und andere Aktivisten möchten die Familie nun bei einem nachhaltigen Neustart in Tschetschenien unterstützen und hoffen darum auf Spenden.

 

Spenden sind an den Evangelisch-Lutherischen Kirchenbezirk Leipzig; Bank für Kirche und Diakonie; IBAN: DE71 3506 0190 1620 4790 78; BIC: GENODED 1DKD; Code: RT 1917; Zweck: „Spende geflüchtete Familie S.“ möglich.