„Die Opferverbände haben nicht unbedingt eine Lobby“

Erstveröffentlicht: 
23.12.2015
Frank Nemetz vertritt die Stalinismus-Opfer in Sachsen / Aufgeben ist für ihn keine Option
VON ROLAND HEROLD

 

Leipzig. „Super!“ Frank Nemetz, Landeschef der Vereinigung der Opfer des Stalinismus (VOS), freut sich, als er hört, dass Sachsen künftig mehr Initiativen zur Aufarbeitung von DDR-Unrecht fördern will. Die VOS hat über 400 Mitglieder im Freistaat, betreut rund 7000 Betroffene und nun auch noch die Zwangsadoptierten und jene, die zu DDR-Zeiten im Jugendwerkhof saßen. „Sachsen ist das einzige Bundesland, das in dieser Höhe Gelder für die Opferverbände zur Verfügung stellt“, sagt der 71-Jährige. „CDU und SPD unterstützen uns.“ Wie auch der Landesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Lutz Rathenow.

 

Von dem Geld, das der Freistaat zuschießt, entstanden bereits zwei wichtige Broschüren, in denen Betroffene aus den Regionen um Leipzig und Chemnitz herum über ihr Schicksal berichten. Eine dritte über das DDR-Unrecht im Vogtlandkreis ist in Arbeit. Die VOS will sie ins Internet stellen, um auch junge Leute zu erreichen. „Aber wir Alten brauchen was in der Hand“, lacht Nemetz. Aus beiden Broschüren soll auch auf der kommenden Leipziger Buchmesse gelesen werden.

„Kämpfen muss man schon, denn die Opferverbände haben nicht unbedingt eine Lobby“, hat Nemetz erfahren. Aber Vorwürfe, die Bundesrepublik hege gar kein Interesse an einer Aufarbeitung der DDR-Geschichte, mag der Pragmatiker nicht teilen. Immerhin wurde in Sachsen die Opferrente, die seit 2007 gezahlt wird, in diesem Jahr von 250 auf 300 Euro monatlich erhöht. Nicht viel Geld für Menschen, die nach ihrem Zusammenprall mit dem DDR-Regime nie wieder auf die Beine kamen. „Wir hätten uns mehr gewünscht“, sagt Nemetz. „Auch, dass die Rente nicht vererbt werden kann an die Ehefrauen der Opfer, die ja ebenfalls gelitten haben, ist schade.“

 

Aber er denkt gleich wieder nach vorn. Die Ehefrauen könnten sich zumindest bei der Stiftung für ehemalige politische Häftlinge in Bonn um Unterstützung bemühen. Die VOS drängt auch darauf, dass die gesundheitliche Rehabilitierung der Opfer leichter erfolgt. Der Gang zum Gutachter und zu den Gerichten sei da eher hinderlich. „Viele sagen dann, ich lasse es bleiben.“ Manche der Opfer sind schon weit über 80 Jahre alt. Der Verein fährt deshalb auch hin zu ihnen, betreut und berät sie, verteilt Broschüren.

 

Nemetz selbst kollidierte 1968 mit dem DDR-Staat. Damals studierte er an der Technischen Hochschule in Leipzig und wollte Chemieingenieur werden. Sein Vergehen bestand darin, dass er zwei bundesdeutsche Pässe verbrannte, die er für seinen besten Freund aufbewahrt hatte, der in den Westen wollte. Für die „Beihilfe zur Vorbereitung einer Republikflucht“ wurde er zu zwei Jahren Haft im Zuchthaus auf dem Kaßberg im damaligen Karl-Marx-Stadt verurteilt. Einzelhaft, tagsüber stehend und schließlich auch unter dem Einfluss von Psychopharmaka. Erst im vergangenen August war er wieder dort – und es ging ihm heftig an die Nieren.

 

Was damals eher ungewöhnlich war: Ein Anwalt, der von seinen Eltern beauftragt worden war, ging in Revision beim Obersten Gericht der DDR und konnte Nemetz nach acht Monaten aus dem Gefängnis holen. Noch erstaunlicher: Er durfte nach einigen Monaten in der Produktion sogar sein Studium fortsetzen. Er brachte es bis zum Hauptabteilungsleiter im Rechenzentrum des Kombinates Gisag in Leipzig. Später, nach der Friedlichen Revolution, ging er zum Mitteldeutschen Rundfunk und wurde Abteilungsleiter für Investitionen und Beschaffung von Technik. Heute sitzt er im MDR-Rundfunkrat wie auch im Beirat Sächsische Gedenkstätten.

 

Der Stadt Leipzig wirft er vor, im Gegensatz zum Freistaat, der VOS die Unterstützung gestrichen zu haben. „Das war ja auch eine kleine Anerkennung für den Verein, die jetzt wegfällt.“ In seinem Verein säßen schließlich viele Vordenker der Friedlichen Revolution von 1989. Dennoch ist er sich sicher:„Ich bin nicht verbittert.“