Bigott und mitleidlos

Erstveröffentlicht: 
23.12.2015

Bevor wir uns falsch verstehen: Ich mag Weihnachten, auch als bekennender Agnostiker. Es ist ein besonderes Fest zum Jahresende, zur Wintersonnenwende, für den römischen Sol invictus, ein traditionelles Familienfest und meinetwegen auch ein christliches Fest. An diesem Termin hat man schon immer gefeiert. Jeder sollte nicht nur nach seiner Fasson selig werden, sondern auch nach seiner Fasson feiern können.

 

Was ich nicht mag sind die Heuchler, die ihren Hintern zweimal im Jahr in die Kirche wuchten und sich auf ihre christliche Tradition berufen und dabei von Tuten und Blasen keine Ahnung haben. Hinterher stehen sie vor ihrem Christbaum und singen inbrünstig „Ihr Kinderlein kommet, kommet zuhauf“ und am nächsten Montag sind sie wieder auf der Pegida-Demo, am adr-Stammtisch oder im CSU-Bierzelt, um gegen alles Fremde und die drohende Überfremdung zu wettern. Egal wie viel Kinderlein diese Fremden haben.

 

Jeder dumme Hansel, der ein Flüchtlingsheim anzündet, sollte sich mal klar machen, dass er sich die Mühe sparen kann und nur die weihnachtliche Krippe unter dem Baum hervor zerren und in den Ofen stecken muss. Das angebliche Gesindel vor dem er sich so sehr fürchtet, das er pöbelt und brandschatzt, kommt genau daher wo die Geschichte vom Jesu-Kind einst passierte oder zumindest passiert sein soll. Wie das so ist, mit Geschichten die einhundert Jahre nach den Ereignissen verfasst wurden, wie das Lukas-Evangelium.

 

Die Hirten, der alte Mann, seine junge Braut und auch das Knäblein in der Krippe gehören zu der Sorte Mensch, vor denen sich die Anhänger von Marine le Pen, von Frauke Petry, von Jaroslaw Kaczynski und von Donald Trump so entsetzlich fürchten. Was die geistigen Brandstifter aber nicht daran hindert, an Weihnachten das Knie vor Abbildern des semitischen Kindes zu beugen. Heuchelei hoch zehn.

 

PATRICK WELTER Insbesondere Jaroslaw Kaczynski und seine bigotten Marionetten verwechseln da was. Der alte Schreiner aus Nazareth mitsamt Frau und Kind hätte, trotz aller Mordbefehle des Herodes, keine Chance auf Asyl in Polen. Auch nicht in Ungarn oder der Slowakei.

 

Auch für den Sohn, als er zu einem aramäischen Wanderprediger herangewachsen war und auf der Flucht vor dem römischen Staatsapparat, hätte es beim frommen Katholiken Kaczynski nur geheißen: „Du musst draußen bleiben!“

 

Ist ja klar, der Typ tritt ja auch mit drei Identitäten auf: Er ist Schreiner und Wanderprediger für Ungläubige, Gottes Sohn für fromme Christen und - besonders verdächtig - ein Prophet für Muslime. Außerdem hat ihm das römische Militär, weil die Kommissköpfe seine Predigten missverstanden haben, noch einen falschen Titel angehängt: König der Juden. Nein, so einen Typ kann man nicht über die Grenze lassen, mag er noch so in Todesgefahr schweben.

 

Kaczynski, Orban und alle anderen tiefgläubigen christlichen Grenzschließer sollten an Weihnachten eine andere Stelle im Lukas Evangelium lesen. Sie steht weiter hinten, beim Jüngsten Gericht, da heißt es: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“