Im Prozess um ein öffentlich im Schwimmbad gezeigtes Nazi-Tattoo ist der Angeklagte wegen Volksverhetzung zu sechs Monaten Haft auf Bewährung verurteilt worden.
Der 27-jährige NPD-Funktionär hatte am Dienstag über seinen Anwalt zugegeben, die Tätowierung mit den Umrissen eines Konzentrationslagers und dem Spruch "Jedem das Seine" in einem Schwimmbad gezeigt zu haben. Zu den Attraktionen der ansonsten eher freudlosen Stadt Oranienburg am nördlichen Rande Berlins gehört ein Erlebnisbad. Man kann da toben, rutschen, schwimmen. Dann stinken die Haare nach Chlor, man sitzt auf dem Plastikstuhl und isst Pommes. Politik ist nicht so das Kerngeschäft dieser modernen Freizeithölle.
Und so kann man unterstellen, dass der bekannte Neonazi-Anwalt Wolfram Nahrath am Dienstag im Amtsgericht Oranienburg schlicht die Wirklichkeit beschrieben hat. Sein Mandant habe an jenem Tag, um den es vor Gericht geht, einfach mit seinem Kind Spaß im Schwimmbad haben wollen. Und das ist vielleicht das eigentlich Entsetzliche an dem Fall, der hier verhandelt wird: was an einem Samstag in Brandenburg als normal gilt. Denn augenscheinlich störte sich über mindestens zwei Stunden fast keiner an dem, was er sah. Nun ist die Tätowierungsquote in ostdeutschen Spaßbädern beachtlich. Und auch Neonazi-Körperschmuck jeder Art kann einem nicht entgehen, wenn man sich hier im Sommer an Seen tummelt oder Waden aus Dreiviertelhosen hervorschauen sieht – Runen, Sonnenräder, Adler, Deutschlandschriftzüge in verschiedensten Schrifttypen. Werbung Der Angeklagte Marcel Z. trägt auf seinem Rücken, vom einen bis zum anderen Hüftpolster, die stilisierte Silhouette des Eingangstors, durch das mehr als eine Million Menschen in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau und damit in den Tod gehen mussten. Darunter steht in Fraktur: "Jedem das Seine" – jener Spruch, den die Nazis zynisch über das Tor des Konzentrationslagers Buchenwald bei Weimar schrieben. Dazu auf seinem Bauch einen Reichsadler. Das kann einem schon mal auffallen. Aber für Z. ist das hier ein ganz normales Neonazi-Samstagsvergnügen. Und es ist ein Zeichen dafür, wie selbstverständlich und selbstbewusst sich Vertreter der rechten Szene zeigen. Weniger vergnügt reagierte ein Berliner Journalist, der ebenfalls schwimmen war. Er sprach zwei Bademeister an. Ohne Erfolg.
Dann fotografierte er das Motiv und stellte das Bild auf Facebook. Es verbreitete sich rasant, viele Medien berichteten. Wenig später wurde gegen Z. ermittelt, wegen des Verdachts der Volksverhetzung. Der Mann ist kein Unbekannter. Er sitzt für die NPD im Kreistag Barnim. Es gibt vier Vorstrafen: Im letzten Fall wurde er wegen Amtsanmaßung verurteilt, weil er sich als Polizist ausgab, als er einen Jugendlichen beim Abreißen von NPD-Plakaten erwischte. Eine Tätowierung auf der rechten Hand weist ihn als Mitglied der "Barnimer Freundschaft" aus, die der Verfassungsschutz als neonationalsozialistische Bruderschaft einstuft. Die Argumentation des Verteidigers verfängt nicht: Was sein Mandant denke, sei reine Spekulation, es sei überhaupt nicht erwiesen, dass diese Torsilhouette wirklich Auschwitz darstelle, und außerdem: Von Friedrich dem Großen bis zu Ikea benutzten viele die Redewendung "Jedem das Seine". Er fordert Freispruch. Der Staatsanwalt hält das Gegenteil für erwiesen: "Der Tätowierer ist beim Stechen nicht etwa abgerutscht, sondern der Angeklagte wusste, was er sich da machen ließ." Er argumentiert, der 27 Jahre alte Z. habe aus "tiefer politischer Überzeugung" gehandelt und mit dem Zeigen der Tätowierung die Verbrechen der Nationalsozialisten gegen die Menschlichkeit öffentlich gebilligt. Und das ist, nach einer Novellierung des Volksverhetzungsparagraphs, strafbar. Zehn Monate Haft fordert er – nicht zur Bewährung ausgesetzt, da die Rechtsordnung verteidigt werden müsse. Das Gericht verurteilt den Angeklagten zu sechs Monaten Haft, für drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt.