Leipzig hatte Polizei - Auf der Weihnachtsfeier des »Antifa e.V.«

Erstveröffentlicht: 
14.12.2015

Am Wochenende veranstaltete der »Antifa e.V.« in Leipzig eine Weihnachtsfeier, um drei rechte Demonstrationen in Connewitz zu verhindern. Intro-Autorin Paula Irmschler hat sich selbst ein Bild von den Geschehnissen in dem traditionell linken Stadtteil gemacht und schildert die Ereignisse des Wochenendes aus ihrer Sicht.

 

Die Empörung war vielerorts groß, als es vergangenen Samstag im Rahmen diverser Demonstrationen in Leipzig zu Ausschreitungen kam – auch vor Ort. Eine Frau, die in einer Seitenstraße ebenjener Karl-Liebknecht-Straße (kurz Karli) wohnt, aus der seit dem Wochenende all die Bilder von brennenden Barrikaden, liegenden Scherben und fliegenden Steinen eintrudeln, beschwert sich bereits vor Ort lautstark: Was das solle, dass hier alles zu Bruch geht, natürlich sei das genauso schlimm wie das was die Rechten machen (friendly reminder: Flüchtlingsheime anzünden) und man solle lieber einen Dialog führen. Ein paar Demonstranten diskutieren mit der Frau, bis es ihr reicht und sie ihnen den Mittelfinger zeigt. »Ganz schönes Eigentor, oder?«, merkt ein Demonstrant an; »so schnell wird man wütend, sehen sie?« Der Dialog ist an dieser Stelle wohl für sie gescheitert. Ein Mittelfinger, weil man nicht gehört wird  – das symbolisiert vielleicht ganz gut, was am 12. Dezember linke Demonstranten in Leipzig antreibt. Nur eben mit mehr Krach. Viel, viel mehr Krach.

 

Drei Demonstrationen hatten rechte, menschenverachtende Gruppierungen für diesen Tag angemeldet Ein sogenannter »Sternmarsch« war geplant, alle drei Routen sollten auf der Karli landen – mitten in Connewitz, dem traditionellen linken Stadtteil Leipzigs, eine der letzten alternativen Bastionen des Landes und die einzige Antifa-Hochburg Ost-Deutschlands. Eine symbolischere Kampfansage seitens der Rechten gibt es natürlich nicht. Linke Gruppierungen, Bündnisse und Parteien riefen erwartungsgemäß zu Gegenprotest auf. Das satirische antifaschistische Lifestyle-Magazin »ZECKO«  lud auf Facebook zur Antifa e.V.-Weihnachtsfeier ein und tausende Linke und Autonome fanden sich pflichtbewusst im klassischen schwarzen Zweiteiler am Samstagmittag im Süden von Leipzig ein.

Da die Anmeldungen der Partei »Die Rechte«, das Bündnis »Offensive für Deutschland« und der Thüring‘sche Pegida-Ableger »Thügida« ausgerechnet in diesem Viertel nicht nur plumpe Provokation sind, sondern es seit Jahrzehnten zur politischen Strategie der Rechten gehört, Stadtteile zu beherrschen und Strukturen zu unterwandern oder zu übernehmen, waren deutliche Gegenproteste sicher nötig. Die gestrige Realität und Eskalation kann man demnach Verteidigung nennen, oder Gegenwehr, oder Frustration und im Nachhinein sicher auch unverhältnismäßig und übertrieben. Oberbürgermeister Burkhard Jung und seine Fans nennen es »Straßenterror«. Ein Wort, das bei mindestens 817 Angriffen auf Asylunterkünfte (Stand 7. Dezember) in diesem Jahr keinem Politiker so schnell und entschieden über die Lippen kam.   

 

Brennende Flüchtlingsunterkünfte sind inzwischen schon so alltäglich, das ein paar brennende Mülleimer Schlagzeilen machen können. #le1212

— [...name...] (@fofftein) December 13, 2015

 

Das was einen Tag später, vielerorts ausschließlich als linkes Chaotentum abgetan und bekopfschüttelt wird, fängt so an: Schon am Freitagabend gibt es eine Demonstration durch Connewitz. Inhaltlich geht es um die Bedeutung des Stadtteils und seiner Geschichte. Bis zu 1000 Menschen nehmen an der friedlichen Kundgebung teil. In der Nacht wird das Büro des Linken-Landtagsabgeordneten Marco Böhme angegriffen, an einigen Stellen im Leipziger Süden gibt es Brände.

 

Mein Büro wurde vor paar Stunden angegriffen, doch ich lasse mich nicht von euch Faschos einschüchtern! #le1212 pic.twitter.com/FwdMVbwyou

— Marco Böhme (@Rise01) December 12, 2015

 

Am Samstag starten die ersten Gegenkundgebungen bereits um 11 Uhr, insgesamt angemeldet an diesem Tag sind zehn Stück. Zu diesem Zeitpunkt scheint Connewitz bereits verteidigt, die Route der etwa 150-200 Rechten wird aus dem Stadtteil verlegt und auf 600 Meter verkürzt. Als ich um 13.30 Uhr auf der Karli ankomme, erfahre ich von dem ersten Schwerverletzten, dem ersten Zusammenstoß mit der Polizei, spüre das Beißen der ersten Tränengas-Wolken, sehe die ersten zerstörten Straßenschilder und herumliegende Scherben. Die Rechten scheinen vertrieben, der Unmut beginnt sich gegen die Staatsmacht zu richten. Dass das heute noch ordentlich eskalieren wird, ist spätestens jetzt klar. Zwar sind viele Menschen ausgelassen, haben Spaß, hören Musik, trinken Kaffee, essen Döner und lachen, doch die aufkeimende Wut ist immer deutlicher zu spüren. Ausgewählte Tropfen auf die heißen Pflastersteine: Sanitäter werden nicht zu Verletzten durchgelassen, der Jenaer Pfarrer Lothar König wird von der Polizei ins Gesicht geschlagen und in Gewahrsam genommen und während Leute (noch) friedlich auf der Straße stehen rücken schon Wasserwerfer an.

 

14:55 Lothar König wird Ingewahrsam genommen #le1212 pic.twitter.com/NvJWlgOHVw

— Katharina König (@KatharinaKoenig) December 12, 2015

 

Um 15 Uhr eskaliert die Situation erneut. Die Wasserwerfer legen los, die Polizisten vertreiben die Leute, prügeln auf sie ein, setzen Tränengas und Rauchgranaten ein. Alles heult. Und dass, obwohl das Gas auch noch abgelaufen ist.

 

Tränengas-Kartusche mit Ablauf 07/15 #le1212 #Verbraucherschutz (; pic.twitter.com/1rAIGbT4Ex

— W‍ill‍ie W‍. (@weblaie) December 12, 2015

 

Der Kiez wird vehement verteidigt: Barrikaden und Mülltonnen brennen, überall steigt Rauch auf, immer mehr Scheiben klirren, Steine fliegen. Polizisten und Demonstranten werden verletzt, Autos, Werbetafeln und Bahnhaltestellen zerkloppt. Zwischendurch qualmt meine Jacke, eine Rauchgranate ist in meiner Kapuze gelandet. Währenddessen rennen die Polizisten jedoch immer wieder selbst in kleinere Gruppen hinein und versucht diese auseinander zu treiben. Selbst als wir uns um einen verletzten Menschen kümmern wollen, werden wir davon gejagt und geschubst. Die Wasserwerfer werden bereits nach der zweiten Warnung, statt wie üblich nach der dritten, angeschmissen. Die Diskussionen über Sinn der Gewaltaktionen in den eigenen Reihen werden häufiger und lauter geführt. Antifamacker mackern, Hippies legen die Hände vors Gesicht und sagen »Oh Gott, oh Gott«, Anwohner pöbeln, eine an der Demonstration und scheinbar auch am Leben unbeteiligte Frau läuft schimpftiradend vorm Wasserwerfer auf und ab, jemand zeigt seinen nackten Hintern, alle klatschen, ein paar Omis lächeln. Immerhin.

 

Nach Rostock-Lichtenhagen, dem Nichtlernen aus der Geschichte, dem Durchwinken von Asylkompromissen und dem rassistischen Extremismus der Mitte kann man durchaus sehr wütend werden und ist es an diesem Samstag in Leipzig ziellos. Wütend sind die Menschen in Uniformen heute ebenfalls. Immer wieder hört man sie pöbeln und beleidigen. Irgendwann rufen zwei Polizisten gegenüber stehenden Demonstranten »Geht doch nach Hause!« zu. Diese entgegnen »Wir sind hier zu Hause«. Connewitz bleibt stabil.

 

1444 #le1212 @PolizeiSachsen schlägt Scheibe kaputt und geht durch Hausgang zu GegendemlnstrantInnen pic.twitter.com/waCCb5Tufb

— 24mmjournalism (@24mmjournalism) December 12, 2015

 

Martha Olotov von ZECKO resümiert: »ZECKO ist natürlich sehr begeistert, dass bereits am Freitag über 1.000 Menschen gegen Nazis auf die Straße gegangen sind und signalisiert haben, dass sie keinen Bock auf Nazis in Leipzig haben. Auch dass es nur knapp 150 Nazis überhaupt am Samstag waren, die zu dem groß angekündigten Aufmarsch gekommen sind, würden wir auf die große Mobilisierung zurückführen. Zu dem Samstag bleibt festzuhalten: Die 150 Nazis konnten ihre 600 Meter lange Route nur dank der Polizei durch die Leipziger Südstadt nehmen. Auf unserer Seite sind einige tausend Menschen unter anderem unserem Aufruf gefolgt und haben sich den Nazis in den Weg gestellt. Dabei kam es auch zu militanten Aktionen bei denen sich Antifaschist*innen und Anwohner*innen auch gegen die Polizei zu Wehr gesetzt haben.«  

In Thüringen und Niedersachsen wurden derweil in der Nacht zu Sonntag wieder zwei Flüchtlingsheime angezündet
Ein wirklich guter Anlass, um mal über unverhältnismäßige Gewalt zu sprechen.