Am 12. Dezember wollten ein paar Nazis nach Connewitz marschieren, um den linken Stadtteil in Schutt und Asche zu legen. Doch sie wurden in die Südvorstadt umgeleitet und so stark vom Gegenprotest abgeschirmt, dass sich militante Antifaschisten stattdessen eine Straßenschlacht mit der Polizei lieferten. Seitdem wird hysterisch über den Tag diskutiert. Die kreuzer-Redakteure Juliane Streich und Tobias Prüwer haben erst einmal tief durchgeatmet und sich dann gefragt:
Waren die brennenden Barrikaden und die Steinwürfe völlig sinnlos?
JA
Okay, gegen Gewalt zu sein, ist natürlich erst mal einfach. Sind schließlich alle – vom Bürgermeister, der extra ein Transparent ans Rathaus hängt, bis zum gemeinen LVZ-Leser, der extra einen Leserbrief schreibt. Da ich nun aber selten derselben Meinung bin wie der OBM und noch viel seltener der des LVZ-Leserbriefschreibers, dafür oft der von Antifaschisten, Kapitalismusgegnern und Polizeikritikern, ist es halt doch nicht so einfach. Denn dahin zielte ja die Gewalt von #le1212: gegen Nazis, gegen den Staat und seine Polizisten, gegen Banken.
Doch was bringt es, die Scheibe der Sparkasse einzuwerfen, bei der ich am nächsten Tag wieder Geld abheben gehe? Zerstörungswut gegen Geldinstitute ist vielleicht einfach nur uneffektiv, Steinwürfe gegen Polizisten sind dagegen gleich kontraproduktiv. Zum Beispiel, wenn die Polizei eine Straße fürs Löschen der brennenden Barrikade freiräumen will, alle panisch irgendwohin rennen und der Typ neben mir einfach einen Pflasterstein in die Richtung ballert, wo er die Polizisten vermutet. Gewalt gegen Gleichgesinnte wird an dieser Stelle als mögliches Risiko hingenommen. Wie will man da noch gleichgesinnt sein?
Doch auch gezieltere Attacken gegen die Polizei machen mehr kaputt als den Lack am Wasserwerfer. Wie kann ich mich noch darüber aufregen, dass die Polizei nichts gegen Vermummte bei den Nazidemos unternimmt, wenn um mich rum auch alle vermummt sind? Wie kann ich nun noch bei einer Blockade auf der Nazi-Demo-Strecke dem Polizisten, der mich viel zu brutal wegzerren will, entgegenbrüllen: »Wir sind friedlich, was seid ihr?« Und wie kann ich fragen: »Wo wart ihr in Heidenau?« Schließlich beinhaltet die angebrachte Kritik auch die Forderung, dass vor Flüchtlingsheimen und in Gegenden wie Heidenau, Freital oder Tröglitz (die leider keine Antifa-Hochburgen sind) die Polizei deutlich mehr Präsenz zeigt. Wie kann ich mich beschweren, dass es doch vorhersehbar war, dass Linksautonome im Süden der Stadt Randale machen, wenn man dort die Nazis laufen lässt, während es genauso vorhersehbar ist, dass jetzt irgendwelche nicht klar denkenden Politiker fordern, dass man dem Conne Island Zuschüsse kürzt? Und wenn man in das Büro eines NPD-Mitglieds rennt und ihm auf den Kopf haut, wird er davon wahrscheinlich nicht intelligenter, sondern damit seine nächste Gewalttat rechtfertigen, die wer-weiß-wen treffen kann.
Doch ist Leipzig als Antifaschisten-Hochburg mit ein paar Randalierern (die Zahl 1.000 erscheint nach der eigener Beobachtung zu hoch) bei weitem lebenswerter als die Pegida-Hochburg Dresden mit ein paar Gegendemonstranten (meistens weit weniger als 1.000 Leute). Und natürlich ist es weitaus (also sehr weit) schlimmer, wenn Flüchtlingsheime brennen, als wenn Mülltonnen das tun. Das heißt aber nicht, dass deswegen brennende Mülltonnen zu rechtfertigen sind. Mit Flammen auf Flammen zu reagieren, löscht nichts. Im Gegenteil, das Feuer wird größer und zerstört alles.
JULIANE STREICH
NEIN
»Polizeikritiker«, »Repressionsbesorgte«, »Antifa-Traditionalisten«: Fielen diese Worte in einer Beschreibung des 12. Dezembers (#le1212), bräche ein zorniger Kommentarsturm los. Das Gleiche würde passieren beim Fingerzeig auf eine hochaggressive Polizei. Warum, wenn man doch die Gidas schlimmstenfalls »Rechtspopulisten« nennt und Verständnis für überarbeitete Polizisten zeigt, die eben auch mal wütend seien? Jenen, die seit einem Jahr gegen die Gidas protestieren und dabei auch staatliche Repression erleben, wird das nicht zugestanden. Gerade die Reaktionen auf #le1212 machen das deutlich.
Natürlich waren die Sachbeschädigungen und Angriffe auf Polizisten nicht zielführend, weil ihr Ziel das Stoppen des Naziaufmarschs war. Sinnlos waren sie nach Antifa-Logik aber nicht: Es gehört zum Standardrepertoire, mit dezentralen Aktionen wie Mülltonnenanzünden zahlreiche Kleinstkrisenherde zu schaffen, um Polizeikräfte – ja: deren körperliche Versehrtheit wird in Kauf genommen – zu binden, zu überfordern und den Schutz der Nazi-Demo möglichst teuer zu machen. Schlussendlich, so das Ziel, wird aufgrund polizeilichen Notstands der Aufmarsch aufgelöst und die nächste Gefährdungsanalyse ungünstig beeinflusst. Diese Taktik kann man ablehnen, illegal ist sie sowieso. Aber man sollte sie verstehen – und ihre Existenz wenigstens registrieren –, um vernünftig diskutieren zu können, statt »Terror« und »Bürgerkrieg« herbeizureden. Nebenbei: Sich über den recht nazifreien Alltag im Süd-Kiez zu freuen, aber die wesentlich dafür verantwortliche Antifa zu ächten, ist scheinheilig.
Apropos vernünftig: Das Freisitzmobilar ansässiger Gastronomen für Mini-Barrikaden zu nutzen, war dämlich. Genauso wenig vermittelbar ist das Einschlagen der Frontscheibe eines Mittelklasse-BMWs in der August-Bebel-Straße. Soll das der Gentrifizierung entgegenwirken oder Klassenkampf simulieren? Und sicherlich lebten auch Adrenalinsüchtige ihr Militanzmackertum aus. Aber das ist nicht das Gros.
Man könnte also #le1212 zum Anlass nehmen, um über doppelte Standards und sächsische Verhältnisse zu sprechen – dann wäre der Gewaltausbruch in der Tat wirklich sinnvoll. Überall im Freistaat brennen Flüchtlingsheime, marschieren Rassisten auf, Mordaufrufe werden verkündet, Geflüchtete, Gegendemonstranten, Polizisten und Journalisten attackiert – bei einer gen Null tendierenden Aufklärungsrate. Der richtig große Aufschrei bleibt aus. Wieso ist der politische Diskurs in Sachsen so rechtslastig? Weshalb steht beispielsweise die CDU nicht unter Druck, sich von Gida zu distanzieren? Aber von allen Antigidisten wird permanent Distanzierung in Bezug auf Antifa-Aktionen erwartet, während ihre Proteste ebenso fortwährend kriminalisiert werden. Aber was wäre denn, wenn es diese Antifa-Proteste nicht gäbe? Machen wir uns nichts vor: Dann würde es auch in Leipzig so laufen wie in Dresden, Freital, Heidenau, Tröglitz.
TOBIAS PRÜWER
Zur selben Thematik wird bei der Veranstaltung »kreuzer, Korn & Kippen« am Dienstag, 22.12., im Neuen Schauspiel diskutiert. Beginn ist 20 Uhr, der Eintritt ist frei.