Fremdenfeindlicher Mob stürmt Rathaus in den Niederlanden

Erstveröffentlicht: 
18.12.2015
Tausende Demonstranten, Warnschüsse und Verletzte: In dem kleinen Ort Geldermalsen eskaliert der Protest gegen ein geplantes Flüchtlingsheim

Von Helmut Hetzel

 

Den Haag. Die Polizei feuert Warnschüsse in die Luft, Steine und Bierflaschen fliegen. Feuerwerkskörper explodieren. Scheiben klirren. Der Gemeinderat von Geldermalsen bei Arnheim in den Niederlanden flieht aus dem Rathaussaal, verfolgt von wütenden Demonstranten. Der Rathausplatz in der Kleinstadt im Osten des Landes gleicht in der Nacht zu Donnerstag einem Schlachtfeld.

 

Die außergewöhnlichen Szenen zeigen, wie aufgewühlt die Stimmung in den Niederlanden ist, wenn es um Flüchtlinge und Zuwanderer geht. In dem rund 11 000 Einwohner zählenden Ort soll eine Unterkunft für 1400 Flüchtlinge eingerichtet werden. Etwa 1000 Menschen hatten zunächst friedlich vor dem Rathaus gegen die Pläne protestiert – dann eskalierte die Gewalt. Eine Gruppe von rund 80 Personen sei plötzlich zum Angriff übergegangen, sagte der Polizeichef. „Darauf waren wir nicht vorbereitet.“ Polizisten schlagen mit Knüppeln auf Demonstranten ein. Der Gemeinderat muss seine Sitzung, auf der über das neue Asylbewerberheim entschieden werden sollte, abbrechen und aus dem Rathaus fliehen, nachdem wütende Demonstranten es gestürmt hatten.

 

Erst als aus anderen Landesteilen Verstärkung nach Geldermalsen eingeflogen wird, kriegt die Polizei die Lage wieder in den Griff. Traurige Bilanz der Randale: ein Dutzend Verletzte, darunter zwei Polizisten, die im Krankenhaus behandelt werden müssen, 14 Verhaftungen und viel Arbeit für die Glaser, die zahlreiche Fensterscheiben des Rathauses erneuern müssen. „Das ist sehr ernst, was in Geldermalsen vorgefallen ist. Das passt nicht in unsere Kultur, in der Konflikte friedlich ausgetragen werden“, sagt der Staatssekretär für Asylfragen, Klaas Dijkhoff, in einer ersten Reaktion auf die gewalttätigen Ausschreitungen.

 

Der Angriff sei „unniederländisch“. Miranda de Vries, die Bürgermeisterin von Geldermalsen, twittert aus dem Rathaus: „Wir sind hier nicht mehr sicher. Ich bin sehr traurig.“

 

Bevor die Demonstranten das Rathaus stürmten und die Polizeiabsperrungen durchbrachen, hatte sie mit bebender Stimme noch versucht die Gemeinderatssitzung mit den Worten zu eröffnen: „Es ist eine Schande, dass man Polizeischutz braucht, um eine freie Debatte führen zu können.“ Doch zu dieser geplanten Debatte kam es nicht mehr. Und auch nicht zu der Entscheidung des Gemeinderats, ein Asylheim für 1400 Personen auf dem Industriegelände zu eröffnen, wo seit Jahren viele Gebäude leer stehen.

 

Die Ausschreitungen zeigen, dass in den Niederlanden der Widerstand gegen die Flüchtlinge wächst. Immer mehr Niederländer wollen keine Asylsuchenden mehr aufnehmen. Das Land ist in zwei Lager gespalten, die etwa gleich groß sind. Die einen treten den Fremden mit offenen Armen gegenüber, die anderen wollen die Grenzen schließen – vor allem für Muslime.

 

An der Spitze der Bewegung gegen Zuwanderer steht der Rechtspopulist Geert Wilders, der vergangenen April auch schon als Gastredner bei Pegida-Treffen in Dresden aufgetreten ist. Wilders und seine Freiheitspartei PVV profitieren vom wachsenden Protest gegen die Flüchtlinge. Aktuellen Umfragen zufolge würde die PVV, wenn jetzt gewählt werden würde, 40 der insgesamt 150 Abgeordnetensitze im Haager Parlament erhalten. Zum Vergleich: Derzeit stellt die PVV 15 Abgeordnete in der Volksvertretung. Die Flüchtlingskrise spült also Wasser auf die Mühlen von Wilders, dessen PVV in allen Umfragen nun die stärkste politische Kraft der Niederlande ist.

 

Allerdings macht die Haager Politik und damit Asyl-Staatssekretär Klaas Dijkhoff auch Fehler. Die Regierung bürdet kleinen Gemeinden und Dörfern oft unverhältnismäßig viel Asylsuchende auf. So wollte Dijkhoff in dem kleinen Dorf Oranje im Norden der Niederlande, das nur 150 Einwohner hat und außerdem noch den Namen des niederlän­dischen Königshauses trägt, 1400 Asyl­bewerber in einem Ferienpark einquartieren. Fast alle Einwohner von Oranje haben dagegen protestiert, auch dort eskalierte die Gewalt. Staatssekretär Dijkhoff, der persönlich den Bürgern von Oranje seine Entscheidung erklären wollte, musste angesichts des Mobs unter Polizeischutz flüchten. Sein Dienstwagen wurde von den Demonstranten demoliert. Hätte er nicht die Flucht ergriffen, wäre der Staatssekretär von den wütenden Oranjern wohl krankenhausreif geschlagen worden.