Seltsame Allianzen haben sich dem Anschein nach im Süden Brandenburgs gebildet. Gegen den „Austausch des Volkes“ gehen dort „besorgte Bürger“ gemeinsam mit der AfD auf die Straße. Mit dabei sind auch Neonazis aus dem Umfeld der verbotenen „Spreelichter“. „Zukunft Heimat“ heißt die Initiative, die mobil macht gegen Flüchtlinge. Bei einer Demonstration vom „Zukunft Heimat“ am 31. Oktober in der Spreewaldstadt Lübbenau kamen 900 Personen zusammen. Bei einer zweiten Aktion am 5. Dezember in Lübben waren es 500.
Ihren Ursprung hat „Zukunft Heimat“ in einer Bürgerinitiative aus dem Dorf Zützen. Die Initiative „Pro Zützen“ hatte im Sommer die Unterbringungen von 100 Flüchtlingen in dem 350-Einwohner-Dorf kritisiert, aber nicht grundsätzlich abgelehnt. Zützen ist ein Ortsteil der Stadt Golßen im Dahme-Spreewald. Eine Demonstration fand am 30. Juni unter dem Motto „Demokratie wagen“ statt. Nach eigenen Angaben versammelten sich über 100 Menschen auf dem Marktplatz in Golßen. Zu den Forderungen gehörte der Ruf nach “ mehr Bürgerbeteiligung“ und die dezentrale Unterbringung von Flüchtlingen.
Aus „Pro Zützen“ hat sich mittlerweile „Zukunft Heimat“ entwickelt. Es handelt sich um einen Anfang August gegründeten, eingetragenen Verein. Vorsitzende sind Christoph Berndt, hauptberuflich an der Berliner Charité, und Anne Haberstroh, Friseurin in Golßen. Weitere Aktive wie Alexandra Hentsch und Lars Köhler kommen ebenfalls aus Golßen.
„Zukunft Heimat“ ist wesentlich radikaler als „Pro Zützen“. „Gegen die Auflösung unseres Volkes“ gelte es „Widerstand zu leisten“, heißt es in scharfem Ton auf der Homepage. Von den „Blockparteien“ dürfe man dabei nichts erwarten. Auf der Facebookseite wird verkündet, dass man mit dem „Ungehorsam des deutschen Staatsvolkes“ die „vaterlandslosen Gesellen in der Regierung und Medien“ besiegen werden könne.
Offenkundig nicht zu den „Blockparteien“ wird von „Zukunft Heimat“ die AfD gezählt. Deren Landtagsabgeordneter Andreas Kalbitz durfte bei der Demonstration in Lübbenau in der ersten Reihe laufen und eine Rede halten. Der Burschenschaftler Kalbitz ist in seiner Partei am äußersten rechten Rand positioniert, wie verschiedene Berichte belegen. Als die AfD dann am 7. November zu einer Großdemonstration in Berlin aufrief, war auch „Zukunft Heimat“ mit dabei. Für den kommenden Donnerstag (16.12.) ruft indes der AfD-Jugendfunktionär Jean-Pascal Hohm zu einer weiteren Demonstration auf. Das Motto des Aufmarsches in Zossen: „Für die Zukunft unserer Heimat“. Unterstützung bei der Facebook-Mobilisierung kommt wenig überraschend von „Zukunft Heimat“ selbst. Das ist reichlich viel Parteinähe, für ein „Bürgerbündnis“, das offensichtlich eigentlich überparteilich wirken will.
Auch Neonazis aus dem Netzwerk der 2012 als „Widerstandbewegung Südbrandenburg“ verbotenen „Spreelichter“ waren bei den „Zukunft Heimat“-Demonstrationen dabei. Unmittelbar vor der Aktion in Lübben trugen Neonazis Protestplakate mit der Aufschrift „Schnauze voll“. Das berichteten die Potsdamer Neuesten Nachrichten (PNN). Mitten in dieser Gruppe war, so die PNN, der ehemalige Spreelichter-Anführer Marcel Forstmeier. Während der Demo saß Forstmeier dann bei einem Bäcker, zusammen mit zwei weiteren Personen, eine dazu in einem Organisatoren-T-Shirt, heißt es bei der PNN. Andere Neonazis, die zum Umfeld der Spreelichter gezählt werden, waren im Aufzug, machten Fotos. Der Eindruck, der so entstehen kann: Die Neonazis sind in die Organisation womöglich eingebunden, versuchen dies aber zu tarnen.
Auch stilistisch und rhetorisch ähneln manche Äußerungen von „Zukunft Heimat“ denen der früheren „Spreelichter“. Vor allem über soziale Medien wie Facebook, Twitter und YouTube wurde schnell damit begonnen, Inhalte gegen den „Volksaustausch“ zu verbreiten — nicht unähnlich zu den Warnungen der „Spreelichter“, die noch einen „Volkstod“ befürchteten. Die stilistische Ähnlichkeit der schwülstigen Videos und die Aufmachung der Kampagnenseiten zu den alten Spreelichter-Projekten sind teils frappierend. Die Schriftart, mit der das Front-Transparent der Lübbenau-Demo beschrieben war, tauchte auch auf eine Internetwerbegrafik für die Demo auf — und wurde Jahre zuvor von den „Spreelichtern“ selbst benutzt.
Die Vernetzung von „Zukunft Heimat“ mit extrem rechten Personen und Gruppen wird am Twitterkanal des Vereins sichtbar. Auch Beiträge eines „DennisKoerner“ werden dort immer wieder geteilt. Bei ihm handelt es sich um eine Person, die seit 2009 in hoher Frequenz zum „Volkstod“, zum „Volksaustausch“ und zu netzpolitischen Themen postet. Es wäre keine sonderlich steile These, wenn man „DennisKoerner“ zum Spreelichter-Umfeld zählen würde.
Nach ihrem Verbot veröffentlichten die „Spreelichter“ einen Strategietext zu ihrer „Unsterblichen“-Kampagne, den man als Blaupause für das lesen kann, was nun möglicherweise im Spreewald umgesetzt werden soll: Als Neonazis im sozialen Nahraum mitmischen bei Antiflüchtlingsprotesten, sich dabei aber nicht erkennbar geben. Das Thema „Volkstod“ beziehungsweise die „Überflüssigkeit eigenständiger Völker“ müsse in die gesellschaftliche Debatte gebracht werden, hieß es damals. Volksnähe und Kontakt zu „ganz normalen“ Menschen solle aufgebaut werden und dafür könne man aus dem Hintergrund agieren:
„Schon jetzt sind viele als UNSTERBLICHE unterwegs, die zuvor nie mit politischem Aktivismus in Berührung kamen. Es sind ganz normale Arbeiter, Studenten, junge Eltern sowie deren Freunde und Bekannte (…). Weil dieses Anliegen so viel wichtiger als jede Detailpolitik, weil es die Grundvoraussetzung für zukünftige Politik überhaupt ist, führen UNSTERBLICHE weder Wahlkampf– noch sonstige detailpolitische Veranstaltungen durch, tragen keine Szeneklamotten’ und geben sich keine Gruppennamen. Für die UNSTERBLICHEN ist klar: Politische Inhalte sind wichtig, viele Themen sind wichtig, Propaganda ist wichtig. Und all diesen Anliegen werden sie im passenden Rahmen gerecht – aber nicht als UNSTERBLICHE, sondern auf politischen Veranstaltungen oder mit Wort und Tat im Familien– und Freundeskreis. Die UNSTERBLICHEN machen friedlich auf den drohenden Volkstod aufmerksam – nicht weniger, aber auch nicht mehr.“
Die hier beschriebene Allianz von „besorgten Bürgern“, der AfD und Neonazis hat den Effekt, dass sie für ihre Demonstrationen relativ viele Menschen mobilisieren können und die Öffentlichkeitsarbeit professionell abgewickelt wird. Die „Spreelichter“ galten bis zu ihrem Verbot in der Naziszene als besonders radikal. Mit ihrer offenen antidemokratischen Haltung („Die Demokraten bringen uns den Volkstod“) übertrafen sie sogar die NPD. Die Kampagnenkompetenz ist noch vorhanden — nun aber ist der Ton gemäßigter, entsprechend den vor Jahren angestellten strategischen Überlegungen.
Die bei den „Zukunft Heimat“-Aktionen Begriffe „Volksaustausch“ und „#grenzendicht“ verweisen indes auch auf die Kampagnen der „Identitären Bewegung“. Diese völkisch-neurechte Organisation hat für 2016 eine Kampagne in Brandenburg angekündigt — Kontakte bestehen offenbar ohnehin. Der Twitter-User DennisKörner veröffentlicht Grafiken und Bilder unter dem Identitären-Slogan „Der große Austausch“, die ebenfalls den Grafiken von „Heimat Zukunft“ ähneln. Auf der Demo in Lübben wurde außerdem für die Initiative „einprozent“ geworben, aus dem neurechten Spektrum des „Institut für Staatspolitik“ kommt. Bei ebendiesem Institut sorgte kürzlich mit Björn Höcke ein weiterer AfD-Rechtsaußen durch eine offen rassistische Rede für Aufmerksamkeit.
Wohin sich „Zukunft Heimat“ entwickeln wird, scheint derzeit offen. Die offene Nähe zur AfD und die seltsamen Kreuzpunkte mit Neonazis und ein neurechts inspirierten Rhetorik könnte ein Modellprojekt für flüchtlingsfeindliche Mobilisierungen sein, deren Bedeutung über den Spreewald hinausgeht: Lokale Verankerung durch etablierte Persönlichkeiten aus der Gegend, ein parlamentarischer Arm durch die AfD, dazu Neonazis in nicht allzu großer Ferne.