Mietenpolitische Demonstrationen stehen im Fokus des Staatsschutzes
»Mittendrin statt außen vor - Gemeinsam gegen Sozialabbau, Verdrängung und den Ausverkauf der Stadt«: Unter diesem Motto demonstrierten am 22. September 2012 Hunderte gegen die Mietenpolitik des Senats und die daraus resultierende Vertreibung von ärmeren Bevölkerungsschichten aus der Innenstadt. Aufgerufen hatten Kiezinitiativen wie »Kotti & Co« und die Kampagne »Wir bleiben alle«, unterstützt werden sollten mit dem Protestzug besonders die Senioren der Stillen Straße in Pankow, die ihre Freizeitstätte besetzt hatten, um sie zu erhalten. Anmelder war an diesem Tag Enrico S. Besondere Vorkommnisse gab es keine. Dennoch ist die Demonstration wieder Thema. Denn sie ist ein Beispiel für die Zusammenarbeit von Landeskriminalamt (LKA) und Berliner Verfassungsschutz (VS).
Das Portal netzpolitik.org hatte im Oktober mehrere vertrauliche Dokumente veröffentlicht, aus denen hervorgeht, dass das LKA Berlin den Verfassungsschutz in Form so genannter Verlaufsberichte und Gefährdungsbewertungen regelmäßig mit personenbezogenen Daten von Menschen versorgt, die Demonstrationen oder Kundgebungen in Berlin anmelden. Drei Jahre werden die Daten gespeichert. Wie eine Anfrage der LINKEN jetzt zeigt, ein durchaus gängiger Vorgang.
Aus einer Antwort des Senats vom 24. November geht hervor, dass Gefährdungsbewertungen »grundsätzlich dem Verfassungsschutz zu übermitteln sind«, auch wenn die Gefährdungen »nicht notwendigerweise von der Versammlung selbst ausgehen müssen«. Wie bei der mietenpolitischen Demonstration im September 2012, deren Bewertung aussagt, ein »gefährdendes Ereignis ist unwahrscheinlich.« Eine Übermittlung an den Verfassungsschutz fand trotzdem statt. Wie häufig Daten an den Verfassungsschutz weitergegeben werden, kann der Senat nicht sagen, da »die Übermittlung nicht statistisch erfasst wird«.
Weitergegeben wurden auch hier personenbezogene Daten der Anmelder. Ein Vorgang, der Enrico S. stutzig macht. Damals habe es nicht einmal ein Gespräch mit der Polizei gegeben, auch besondere Auflagen wurden laut Bescheid, der »nd« vorliegt, nicht gemacht. »Es verunsichert schon, nicht zu wissen, was über einen gespeichert wurde«, sagt der Stadtteilaktivist dem »nd«. Er überlegt jetzt, eine Datenanfrage bei den Behörden zu stellen. Herangezogen werden dabei nicht nur öffentliche Quellen wie Flugblätter.
Einige Sätze in den veröffentlichten Dokumenten deuten darauf hin, dass Informationen aus nichtöffentlichen Quellen stammen: So heißt es zur Beteiligung der Berliner »Häuserszene«: »Diese Personen haben nicht vor, in einem eigenen Block vertreten zu sein.« Und: »Auseinandersetzungen mit der Polizei oder andere Aktionen sind nicht geplant.« Für Enrico S. heißt das, »es wird solange über einen Anlass fantasiert bis man sich genügend eingeredet hat, überwachen zu müssen. Einen tatsächlichen Grund braucht es offensichtlich nicht. Die Seniorinnen in der Stillen Straße sind sicher wenig erfreut darüber, dass ihre Unterstützer kriminalisiert werden.«
Hakan Taş, der die Anfrage gestellt hat, nennt diese Praxis »inakzeptabel«. Das LKA liefere anscheinend regelmäßig und pauschal Daten über Versammlungen an den VS. »Darunter auch völlig unbescholtene Anmelder oder teilnehmende PolitikerInnen. Da nehmen sie es mit dem Datenschutz wohl nicht so genau.« Die LINKE hat den Datenschutzbeauftragten um Überprüfung gebeten.
Bereits 2013 mussten Aktivistinnen von Kotti&Co. erfahren, dass mietenpolitische Proteste im Fokus des Staatsschutzes stehen. Nach einer Protestversammlung von 20 Frauen aus Kreuzberg, die Ende 2012 vor der Senatsverwaltung für Soziales gegen die Verdrängung durch die Auflagen der Jobcenter protestierten, wurde eine der Aktivistinnen als Verantwortliche für die nicht angemeldete Demonstration vom Polizeilichen Staatsschutzes vorgeladen. Auf ihre Frage, was denn der Protest gegen steigende Mieten und eine versammlungsrechtliche Angelegenheit mit dem Staatsschutz zu tun hätten, wurde vom zuständigen Beamten schnell geklärt: Es gebe bestimmte Themen, die für den Staatsschutz, Abteilung Linksextremismus, als relevant gelten. Dazu gehörten eben auch Mieten und Gentrifizierung, veröffentlichte damals die Bloggerin Annalist.