Eine Kampfansage an den Flüchtlingskurs der Kanzlerin

Erstveröffentlicht: 
26.11.2015
In der CDU werden Stimmen lauter, die eine Obergrenze für Asylbewerber fordern – doch dieser Weg ist rechtlich problematisch
Von Klaus Wallbaum

 

Berlin. Reiner Haseloff ist keiner von den Politikern, die mit stoischer Gelassenheit auf hektische Debatten reagieren. Das unterscheidet den sachsen-anhaltinischen Ministerpräsidenten von seinem Vorgänger und christdemokratischen Parteifreund Wolfgang Böhmer. Böhmer war ein großväterlicher, zuweilen mürrischer, aber immer ruhig wirkender Regierungschef. Haseloff hingegen fährt schon mal aus der Haut, wenn etwas nicht nach seinen Vorstellungen läuft. Und er wagt dann manchmal auch Ungewöhnliches.

 

Wie jetzt wieder: Haseloff stellte am Dienstag öffentlich die Linie der Kanzlerin in der Flüchtlingspolitik in Frage – und steht seither allein auf weiter Flur im Kreise der führenden CDU- und CSU-Politiker in Deutschland. Was hat ihn getrieben? In Sachsen-Anhalt sind am 13. März – zeitgleich mit Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz – Landtagswahlen. Die seit zehn Jahren amtierende CDU/SPD-Koalition könnte kippen. Die SPD könnte ein rot-rot-grünes Bündnis nach dem Thüringer Vorbild eingehen, womöglich wird auch die rechtspopulistische AfD so stark, dass die Politik in Schockstarre fällt. Obwohl gut vier Monate bis zu dem Termin Zeit sind, ist die Landespolitik aufgewühlt. Kürzlich wurde eine Umfrage bekannt: 53 Prozent sind mit der Arbeit von Haseloff zufrieden – das ist nicht überragend. 52 Prozent der Sachsen-Anhaltiner geben an, sie hätten Angst vor dem ungebremsten Zustrom an Flüchtlingen.

 

Nun will Haseloff offensichtlich vermeiden, dass die AfD dieses Thema allein besetzt. Also erklärte er, jedes Bundesland solle selbst eine Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen pro Jahr festlegen, in Sachsen-Anhalt sollten das dann 12 000 Menschen sein. Mehr könne sein Land nicht gut integrieren, meinte er. Selbst bei den Hardlinern in der Union – in Bayern und Sachsen – blieb Haseloffs Vorstoß ohne die erwünschte eindeutige Unterstützung. Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich wollte sich auf keine Zahl als Obergrenze festlegen, Bayerns Innenministerium auch nicht. Nach dem CSU-Bundesparteitag, bei dem Angela Merkel von Horst Seehofer abgekanzelt worden war, wollen die Christsozialen erst einmal keinen neuen Konflikt mit der Kanzlerin wagen.

 

Allerdings bekommt Haseloff Rückendeckung von der Jungen Union, die einen ähnlichen Vorschlag in einen Antrag für den CDU-Bundesparteitag Mitte Dezember in Karlsruhe gekleidet hat. Bund und Länder sollten gemeinsam eine Obergrenze für die Flüchtlinge festlegen, heißt es darin. Einig weiß die JU sich mit vielen Kommunalpolitikern, die mit wachsenden Flüchtlingsströmen zurechtkommen müssen und sich vielerorts damit überfordert fühlen. In ihren Augen ist der Begriff „Obergrenze“ gleichbedeutend mit einer Zuzugsbremse – also auch mit einer Abkehr von Merkels Kurs der demonstrativen Offenheit für die Zuwanderer.

 

Aber ist eine Begrenzung überhaupt möglich? Selbst in Haseloffs politischer Heimat, der CDU Sachsen-Anhalts, werden Vorbehalte laut. In der Sitzung der CDU-Landtagsfraktion soll der Vorschlag des Ministerpräsidenten nur kurz erwähnt worden sein, eine ausführliche Diskussion gab es nicht. Allerdings hat der frühere Fraktionsvorsitzende Jürgen Scharf intern signalisiert, von solchen Obergrenzen nichts zu halten. Scharf weiß, dass hier ein schwieriges Terrain betreten wird. Deutsches Recht und Völkerrecht prallen aufeinander.

 

Denkbar wäre, dass Deutschland ein Flüchtlingskontingent festlegt – also die maximale Zahl der Menschen aus Syrien und anderen Krisengebieten, die jährlich nach Deutschland kommen dürfen. Auf EU-Ebene sollen solche Kontingente vereinbart werden. Bisher sperren sich allerdings viele EU-Staaten noch. Wenn es gleichwohl dazu käme, könnte das in Deutschland mit einer schärferen Regelung an den Grenzen kombiniert werden: Sobald das Kontingent erschöpft ist, könnten Flüchtlinge an der Grenze zurückgewiesen werden – denn nach der immer noch gültigen Dublin-Verordnung müsste das EU-Land für die Asylverfahren zuständig sein, in dem die Flüchtlinge zuerst angekommen sind – also beispielsweise Griechenland oder Italien. Bisher macht die Bundesregierung von dieser Dublin-Regel kaum Gebrauch, bei Überschreiten eines Kontingentes könnte sie aber einen Grund haben, dies einzufordern.

 

Aber was ist mit den Flüchtlingen, die auf dem Weg zur deutschen Grenze in einem anderen EU-Land nicht aufgehalten oder registriert wurden, die also plötzlich vor der Tür stehen? Wenn man sie zurückschicken wollte, würde dies womöglich mit dem Völkerrecht kollidieren. Schließlich hat Deutschland die Genfer Flüchtlingskonvention unterschrieben, und deren Leitgedanke ist, dass niemand in ein Land zurückgeführt werden darf, in dem er um Leib und Leben bangen muss. Ein härteres Grenzregime in Deutschland, das zeitweise auch von der bayerischen Staatsregierung eingefordert wurde, könnte also einen völkerrechtlichen Konflikt nach sich ziehen – und das ist ein Risiko, das vor allem die Bundeskanzlerin auf keinen Fall eingehen will.