Leipzig. Auf die Leipziger Wohnung des sächsischen Justizministers Sebastian Gemkow (CDU) ist in der Nacht zu Dienstag ein Anschlag verübt worden. Eine Gruppe unbekannter Täter zertrümmerte mit Pflastersteinen zwei Fenster und versuchte anschließend, Buttersäure in die Wohnung zu schleudern, was nicht vollständig gelang.
Der 37-jährige Minister und seine Familie befanden sich in der Wohnung, blieben aber unverletzt. In einer ersten Reaktion erklärte Gemkow: „Das ist ein Angriff auf den Rechtsstaat als Ganzes. Der Rechtsstaat wird aber längeren Atem haben als diejenigen, die ihn bekämpfen.“ Der Polizei zufolge sind die Hintergründe des Anschlags noch unklar. Das für extremistische Straftaten zuständige Operative Abwehrzentrum in Leipzig hat die Ermittlungen aufgenommen. Politiker der sächsischen Landtagsfraktionen verurteilten den Angriff aufs Schärfste. Der Vorfall sei ein „abscheulicher Einschüchterungsversuch gegen unsere demokratische Gesellschaft insgesamt“, sagte die Grünen-Politikerin Claudia Maicher.
Fensterscheiben klirren mitten in der Nacht, Pflastersteine fliegen in die Parterrewohnung einer Familie mit zwei kleinen Kindern: Der Anschlag auf das Zuhause das sächsischen Justizministers Sebastian Gemkow (37) in der Nacht zu gestern hat weithin Entsetzen ausgelöst. Zumal der CDU-Mann im Unterschied zu einigen Kabinettskollegen bisher als nicht besonders gefährdet galt.
Es ist gegen 2.15 Uhr, als zerberstendes Glas die nächtliche Stille in der August-Bebel-Straße zerreißt. Tatort August-Bebel-Straße, der feine Teil der Südvorstadt. Ein Anwohner, der nachts noch am Schreibtisch sitzt und arbeiten muss, sieht aus dem Fenster mehrere Männer. Dunkle Bekleidung, die Gesichter sind nicht zu erkennen. Sie schleudern Pflastersteine gegen die Fenster von Gemkows Wohnung in Hochparterre. Die Scheiben sind mit einer Schutzfolie versehen. Dennoch durchschlagen einige Steine die Fenster, landen in der Wohnung, krachen aufs Parkett. Offenbar systematisch nehmen sich die Täter die Hausfront vor. Ganz gezielt wird etwa das Fenster des Schlafzimmers unter Beschuss genommen. Dort, wo zu diesem Zeitpunkt auch Gemkows vor wenigen Wochen geborener Sohn schläft. Der Stein trifft aber nur die Fassade, so dass ein großes Stück Mauerwerk abplatzt. Dann wollen die Täter ein Gefäß mit stinkender Buttersäure in der Wohnung platzieren. Dies gelingt nach Angaben der Polizei aber nicht vollständig, so dass die Buttersäure an Fensterscheiben und Fassade herunterläuft. Dennoch riecht es noch Stunden später nach Erbrochenem. Die Dämpfe der Säure reizen Augen und Atemwege.
Noch in der Nacht rücken Kripo-Beamte an, Experten der Kriminaltechnik untersuchen den Tatort auf mögliche Spuren, Fährtenhunde nehmen Witterung auf.
Gemkow bringt seine Familie in Sicherheit, macht die ganze Nacht kein Auge mehr zu. Seine für den Vormittag geplante Teilnahme an der gemeinsame Kabinettssitzung von Sachsen-Anhalt und Sachsen in Merseburg sagt er ab. „Er ist sehr gefasst, managt die Situation so gut es geht“, heißt es aus seinem Umfeld. Um 10.17 Uhr verschickt das Justizministerium ein schriftliches Statement von ihm. „Das ist ein Angriff auf den Rechtsstaat als Ganzes“, so Gemkow. „Der Rechtsstaat wird aber den längeren Atem haben als diejenigen, die ihn bekämpfen.“
Die Wohnung des Ministers ist vorläufig unbewohnbar. Gegen Mittag kehrt Ehefrau Nadja (30) zurück, will noch einige Sachen holen. Sie hat den ein paar Monate alten Sohn auf dem Arm und wirkt sichtlich geschockt. „Die Kinder haben in der Nacht fest geschlafen“, sagt sie. Schwer zu beurteilen, wie viel sie von dem Angriff mit Pflastersteinen mitbekommen haben. Verletzt wurde zum Glück niemand, versichert auch die Polizei.
Mittlerweile hat das Operative Abwehrzentrum hat zur Aufklärung extremistischer Straftaten die Ermittlungen übernommen. Dass politisch motivierte Gewalttäter Gemkow im Visier haben, hielten Sicherheitskreise bisher offenbar für wenig wahrscheinlich. Intensiver Personenschutz wie bei einigen Ministerkollegen war für ihn nicht vorgesehen. Das Wohnhaus verfügt auch nicht über Videoüberwachung, was eine Fahndung nach den Tätern zusätzlich erschwerten dürfte. Wer auch immer es auf den gebürtigen Leipziger und seine Familie abgesehen hatte, musste auch nicht tagelang die Gewohnheiten seines Opfers ausspähen. Gemkow blieb auch nach seiner Ernennung zum Justizminister im November 2014 seiner Heimatstadt treu und kehrte fast jeden Abend zu seiner Familie heim. Die Täter konnten sich also ziemlich sicher sein, ihn ausgerechnet dort zu treffen, wo es am schlimmsten ist: In seinem ganz privaten Rückzugsort.