#Parrazin – Warum wir die Pille nicht schlucken

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Am Montagabend protestierten vor dem Quality Hotel Plaza in der Albertstadt etwa zwei dutzend Personen gegen eine Diskussionsveranstaltung zwischen dem Dresdner Politikwissenschaftler Werner Patzelt (CDU) und Thilo Sarrazin (SPD), bei der Sarrazin auch die Gelegenheit nutzte, um seinem Publikum in dem bis auf den letzten Platz gefüllten Ballsaal „Lindengarten“ sein aktuelles Buch „Der neue Tugendterror: Über die Grenzen der Meinungsfreiheit in Deutschland“ vorzustellen. Bei seinem letzten Besuch in der sächsischen Landeshauptstadt im Januar 2011 hatte der ehemalige Finanzsenator von Berlin mit seinen Thesen mehr als 2.500 Menschen begeistern können. Der auch von der Lokalpresse gefeierte Auftritt gehörte zu den erfolgreichsten seiner damaligen Lesereise. In ihrem im Internet verbreiteten Text kritisierten die vor dem Gebäude protestierenden Menschen den Auftritt der beiden Politiker als „Selbstinszenierung der Tabubrecher und ausgegrenzte Opfer des political correctness-Diktats“.

 

 

Während sich auf dem Podium Sarrazin und Patzelt solch brisanten Themen wie politischer Korrektheit und (eigener) Ausgrenzung widmeten, machte der als „Moderator“ eingeladene AfD-Politiker Jörg Michel einmal mehr deutlich, mit wieviel Kontroverse an diesem Abend zu rechnen war: „Das heißt: Autor rassistischer und sozial-chauvinistischer Bücher trifft professionellen Pegida- und Rassismusverharmloser; ein Mitglied der rechtspopulistischen AfD mimt den unabhängigen Moderator.“ Nach Ansicht der mit Masken der Beiden verkleideten Protestler habe Sarrazin in seinen Büchern den Grundstein für die PEGIDA-Bewegung geschrieben: „Man beginne mit antimuslimischem Rassismus, stoße dann zur Querfront von Rassist*innen, Antifeminist*innen, Homophoben und Verschwörungsideolog*innen à la Compact Magazin und inszeniere sich im Falle von Widerspruch und Kritik als ausgegrenzt, tabuisiert und als Opfer des linken Tugendterrors.“

 

Dem an der größten Dresdner Universität lehrenden Politikwissenschaftler Patzelt warfen sie vor, für PEGIDA die Pressearbeit übernommen zu haben: „Er hat den Rassismus und die Gewalt von Pegida verharmlost und dann ihre Opfer-Inszenierung reproduziert und mit seinem akademischen Status in akademische Sprache veredelt.“ Nachdem zu Jahresbeginn Studierende der TU Dresden auf Flugblättern ihre Kritik an seinen Thesen äußerten, hat er inzwischen „die Rolle des Opfers für sich entdeckt und beschreibt sich sogar als Aufklärer, der von der Anti-Pegida-Inquisition ausgegrenzt werde“ (Video).

 

Kritischen Stimmen warf Patzelt immer wieder vor, „PEGIDA wie einst „Hexen“ zu verfolgen und alle auszugrenzen, die als Verkörperung der Aufklärung darauf hinweisen, dass es doch keine Hexen gebe. Schließlich sieht Patzelt bei Pegida nur Volk, Mitte, kleinen Mann und normale Leute – und wer normal aussieht, kann nicht rassistisch sein (Rassist*innen haben nämlich alle Hakenkreuze auf der Stirn). Wer also bei Pegida hauptsächlich Rassist*innen, Nationalist*innen und Neonazis sieht, kann vor lauter (Hexen-) Verfolgungswahn nur das Volk nicht recht erkennen. Und wenn das Volk etwas ruft, noch dazu mit einer Stimme, muss es doch wahr sein?“

 

Zugleich erinnerten sie vor dem Hintergrund der seit Monaten andauernden rechten Hetze in weiten Teilen des Freistaats an die besonderen „sächsischen Zustände“, welche von den hiesigen Eliten aktiv mitgestaltet werden und den Nazis nicht nur die „Stichworte [zu] liefern“, sondern sie gleichzeitig zu verharmlosen: „Rassistische, chauvinistische, sexistische und verschwörungsideologische Inhalte sind im aktuellen Diskurs stark verbreitet und bieten die ideologische Grundlage für Angriffe, Anschläge und wütende Mobs“.

 

Gleichzeitig kündigten sie an, auch in Zukunft „Rassismus weiter als solchen benennen und uns Rassist*innen entgegenstellen“. „Das ist keine undemokratische „Ausgrenzeritis“, denn demokratisches Streiten und Aushandeln wird gerade durch die zerstört, die Menschen rassistisch ausschließen und jeden Widerspruch als Verrat oder Tugendterror verunmöglichen wollen.“ Kein Dialog mit Neonazis und Rassist*innen, kein Dialog mit dem wahnhaften und empathielosen Mob!“ Wer so wie Thilo Sarrazin „Bücher und Messehallen füllt“ und so wie Patzelt immer wieder zitiert und interviewt wird, „ist nicht vom Diskurs ausgegrenzt“. „Die Stilisierung als ausgegrenztes Opfer soll den eigenen Thesen mehr Brisanz verleihen und Kritik an rassistischen und elitären Inhalten delegitimieren“.