Lange hat er die Politik seiner Ehefrau, der AfD-Chefin Frauke Petry, still ertragen. Nun hält er es nicht mehr aus: Der Pfarrer Sven Petry distanziert sich öffentlich.
An einem Sonntag im November rechnet Sven Petry wieder einmal mit der Politik seiner Frau ab. Regen prasselt nieder auf Tautenhain, ein Dorf südlich von Leipzig, in das Frauke und Sven Petry mit ihren Kindern vor sechs Jahren gezogen sind. Damals waren sie ein ambitioniertes Paar, über das sich jede sächsische Gemeinde nur freuen konnte: Er Pfarrer, sie Unternehmerin, sie kamen aus Niedersachsen in den Osten. Sie wollten sich hier etwas aufbauen.
Inzwischen hat Frauke Petry die Alternative für Deutschland (AfD) aufgebaut und ist ihre Chefin geworden. Sven Petry ist Pfarrer geblieben. Ein Paar sind die beiden nicht mehr. Wer Sven Petry an diesem Sonntag zuhört, der bemerkt, dass die beiden längst vieles trennt, auch ihre jeweilige politische Haltung.
Ihre Vorstellung davon, welche Meinungen ein Christ vertreten sollte – und welche nicht.
Die AfD macht Stimmung in der Flüchtlingsdebatte, und schweigen kann Sven Petry zu diesem Thema schon qua Amt nicht. Ein Pfarrer muss darüber sprechen, er muss darüber predigen. Sven Petry will eigentlich auch nicht mehr schweigen. Er hat angefangen, für Flüchtlinge Partei zu ergreifen – erst via Twitter und Facebook. Er ist in die CDU eingetreten, als symbolischer Akt gewissermaßen. Und was er predigt, was er im Internet verbreitet, das liest sich wie ein Anti-AfD-Programm. Seit Monaten versucht Sven Petry, sich von der Politik seiner Frau zu distanzieren. Und jetzt ist der Moment gekommen, in dem er auch öffentlich darüber spricht.
Was man bislang über die Familie Petry in Zeitungen und Zeitschriften lesen konnte, in glücklicheren Zeiten, das waren die Geschichten einer Vorzeigefamilie. Frauke Petry hat einiges zum Entstehen dieses Images beigetragen: Schon zu Schulzeiten seien sie, Frauke und Sven, ein Paar gewesen, verriet sie. Sie war damals die Jahrgangsbeste, er der Zweitbeste. Als Petry Politikerin wurde, empfing sie Reporter sogar in ihrem Dorf, in Tautenhain, und empfahl ihnen, sich von ihrem Mann die Kirche zeigen zu lassen. Frauke Petry erzählte gern, dass sie in dieser Kirche bisweilen die Orgel spiele. Auch die Namen und das Alter der vier gemeinsamen Kinder kann man in Artikeln nachlesen. Am Abend der Bundestagswahl 2013 nahm Frauke Petry ihren kleinen Sohn auf den Arm und stellte sich mit ihm auf die Bühne. Abgeschirmt hat sie ihre Familie nicht, im Gegenteil, eigentlich hat sie Politik mit diesen Bildern gemacht. Seht her, bei der AfD ist auch zu Hause alles normal.
Im Oktober 2015 ließ Frauke Petry eine Mail an alle AfD-Mitglieder verschicken: "Nach über 14 Jahren Ehe werden mein Mann und ich zukünftig getrennte Wege gehen."
Inzwischen ist Frauke Petry nicht mehr häufig in Tautenhain, doch an diesem Sonntagvormittag sitzt sie mit den Kindern auf der Kirchenempore, sieht, wie ihr Mann auf der Kanzel steht, selbstbewusst, die Stimme tief und laut. Sven Petry, 39 Jahre alt, ist ein großer Mann mit grau-schwarzen Haaren und einem Lächeln irgendwo zwischen freundlich und spöttisch. Manchmal wandert sein Blick hoch auf die Empore, zu Frauke Petry. Das hier ist jetzt seine Redezeit. Das hier ist seine Öffentlichkeit.
"Ich bin durstig gewesen, und ihr habt mir zu trinken gegeben. Ich bin ein Fremder gewesen, und ihr habt mich aufgenommen. Ich bin nackt gewesen, und ihr habt mich gekleidet" – Sven Petry zitiert aus dem Matthäus-Evangelium, und es geht, wieder einmal, um Freiheit, um Willkommenskultur, um Flüchtlinge. Alles Themen, zu denen er schon so oft gepredigt hat. Er sagt: "Das, was Jesus fordert, das kann wohl nicht jeder von uns jederzeit. Meine Kräfte können zu Ende gehen, und ich kann an meinem Anspruch scheitern. Aber wer es nicht einmal versuchen will, wer sagt, ich will das gar nicht zu schaffen versuchen, der verrät die christliche Hoffnung."
Der verrät die christliche Hoffnung?
"Wir wollen das nicht schaffen", hat die AfD auf Flyer geschrieben, und Frauke Petry hat sie im Netz verbreitet. Es ging, natürlich, um Angela Merkels Flüchtlingspolitik. Oder wie die AfD es nennt: ums Asylchaos. Frauke Petry jedenfalls lässt sich, oben auf der Kirchenbank, nichts anmerken.
Nach dem Gottesdienst, als alle Gemeindemitglieder und auch Frauke Petry die Kirche verlassen haben, sagt Sven Petry einem Interview zu: Wenn es Fragen zu seiner Predigt gebe, dann antworte er gerne. Er grinst. Petry zieht seinen Talar aus und setzt sich in die Kirchenbank. Blick aufs Kruzifix vorn. Konzentration. Ob er die Politik der AfD befürwortet? "Was haben Sie von der Kanzel gehört?", fragt er.
Anders gefragt: Würden seine Predigten irgendwen von der AfD vom Hocker reißen? "Möglicherweise würde ich den einen oder anderen verärgern", sagt Petry. "Wenn ich lese, was da manche online kommentieren, dann muss ich damit rechnen, in gewissen AfD-Kreisen als Teil der Altparteien-Verschwörung zu gelten."
Mitglied der AfD war Sven Petry nie – "und ich weiß auch, warum", sagt er
Frauke Petry bezeichnet die CDU, der ihr Mann inzwischen angehört, als eine der "Kartellparteien". Die AfD hingegen sei das demokratische Rückgrat Deutschlands. "Jede Partei überhebt sich, wenn sie glaubt, allein das demokratische Rückgrat zu sein", erwidert Sven Petry. "Sonst würde die Demokratie ja nicht funktionieren."
Die Frage, ob es ihm eigentlich unangenehm sei, nun selbst im Fokus zu stehen, die verneint er geradezu empört. "Meine Kirche ist offen. Was ich predige, ist öffentlich. Ich stehe zu meinem Wort. Wer kommen will, darf gerne kommen."
Eigentlich hatte sich Sven Petry noch vor einiger Zeit vorgenommen, öffentlich nicht einmal ansatzweise zu kommentieren, was seine Frau tut. Interviewbitten schlug er aus, obwohl es einige Journalisten gab, die in seinem Gottesdienst saßen. Und jetzt, da er von seiner Frau getrennt ist, will er keinen Rosenkrieg anzetteln. Es kämpfen Contenance und Widerspruchslust in ihm. Aber offenbar brodelt es in Sven Petry. Und wenn man mit ihm spricht, dann bekommt man durchaus den Eindruck: Dies sind nicht die verzweifelten Worte eines verlassenen Ehemanns, sondern politische Bekenntnisse eines engagierten Pfarrers. Sie seien froh, Sven Petry als Pfarrer zu haben, sagen Mitglieder der Tautenhainer Kirchgemeinde. Er predige erfrischend, äußere sich nicht zu einzelnen Parteien, habe jedoch eine klare politische Haltung.
Mitglied der AfD war Sven Petry nie – "und ich weiß auch, warum", sagt er. Aber seine öffentliche Entfremdung begann, als die AfD in der Flüchtlingskrise aufdrehte. Als sie sich "Pegida-Partei" nannte. Die AfD fordert einen vorübergehenden Aufnahmestopp, erstattet Strafanzeige gegen Angela Merkel wegen "Einschleusung von Ausländern" und schmäht freiwillige Flüchtlingshelfer – so der Vize-Vorsitzende Alexander Gauland – als "nützliche Idioten".
Wer Sven Petry über Flüchtlinge reden hört, der muss zu dem Schluss kommen, dass er die Art und Weise, wie die AfD Schlagzeilen macht, für unvereinbar hält mit seinem Glauben. Er sagt zum Beispiel: "Wenn jemand in friedlicher Absicht vor der Haustür steht, dann hat man ihn zunächst einmal hereinzulassen. Ich wüsste nicht, wie man von einem christlichen Standpunkt aus ernsthaft zu einem anderen Schluss kommen kann. Dass nicht alle Asylsuchenden langfristig bleiben können, ist auch klar. Aber von einem generellen Aufnahmestopp halte ich nichts."
Er habe jedenfalls den Eindruck, sagt er noch, dass sich aktuell in der Flüchtlingsdebatte viele Menschen von ihren Sorgen und Ängsten treiben ließen. "Aber Angst ist ein schlechter Ratgeber."
Ob er das auch seiner Frau schon gesagt hat? "Sicher", sagt Sven Petry. "Sicher."
Sven Petrys öffentliche Emanzipation von Frauke Petry dauert schon seit ein paar Monaten an, sie kam in unterschiedlichen Phasen und begann im Juni dieses Jahres. Damals machte sich Frauke Petry auf, Bundesvorsitzende ihrer Partei zu werden. Wenige Tage vor dem entscheidenden AfD-Parteitag ging ihr Mann auf die Homepage der CDU und füllte ein Online-Antragsformular aus. In der CDU wollte man es zunächst gar nicht glauben, rief extra bei ihm an, um zu fragen, ob das ernst gemeint sei. Petrys Frau wetterte gegen die deutsche Asylpolitik, Sven Petry fuhr mit Jugendlichen zum ökumenischen Jugendtreffen nach Taizé. Eines der Themen dort: Wie können Migranten und Flüchtlinge geschützt werden?
Irgendwann suchte Sven Petry Predigttexte, die zur Flüchtlingsdebatte passten. Seine Frau saß in Talkshows. Sven Petry stand in Tautenhain auf der Kanzel. Gegenüber Journalisten konnte er schweigen, gegenüber seiner eigenen Gemeinde nicht. Dort musste er einen Gegenpol zu Frauke Petry bilden, und er dokumentierte das sogar auf Facebook: "Vom zweiten Gottesdienst des Tages zurück, als Predigttext habe ich heute 3. Mose 19 ›erprobt‹. Da heißt es unter anderem: ›Wenn ein Fremdling bei euch wohnt in eurem Lande, den sollt ihr nicht bedrücken. Er soll bei euch wohnen wie ein Einheimischer unter euch, und du sollst ihn lieben wie dich selbst ...‹ Manchmal ist die Bibel doch erfrischend eindeutig."
Was Frauke und Sven Petry politisch trennt, das ist, was gerade viele Konservative des Landes trennt: Die einen wollen das Land bewahren, so wie es ist. Die andere wollen die Werte bewahren, so wie sie sind. Dazwischen gibt es nichts, kann es gerade nichts geben.
Auf ein Thema hat sich Sven Petry offenbar vorbereitet, jedenfalls fällt ihm sehr schnell sehr viel dazu ein: zur Frage, ob die deutsche Grenze gegenüber Flüchtlingen im Zweifel auch mit Schusswaffen gesichert werden müsste. Diese Aussage hat Marcus Pretzell getätigt, Frauke Petrys neuer Lebenspartner. Und jetzt zitiert Sven Petry das deutsche Gesetzbuch: "Was den Gebrauch von Schusswaffen an der deutschen Grenze angeht, da würde es eigentlich schon reichen, sich die gültige Rechtslage anzusehen. Solange ein Bundespolizist nicht bedroht ist oder er an der Grenze ein Verbrechen nicht anders verhindern kann oder jemand versucht, sich mit Waffengewalt Zutritt zu verschaffen – so lange darf ein Grenzpolizist auch nicht zur Waffe greifen. Das sagt das Gesetz über den unmittelbaren Zwang, und das, finde ich, ist doch recht eindeutig."
Woher er das so genau weiß? "Das habe ich nachgeschaut", sagt Sven Petry. "Wenn eine an sich friedliche Masse von Menschen den Übertritt über unsere Grenze begehrt, ohne dabei selbst gewalttätig zu werden, dann kann man doch nicht schießen. Wer kann denn das bitte schön wollen?"
Noch im vergangenen Jahr hat Sven Petry die AfD unterstützt, jedenfalls finanziell. Er überwies 3000 Euro, stellvertretend für seine Frau, weil die Partei damals von Landtagskandidaten erwartete, dass die sich in dieser Form am Wahlkampf beteiligen. Wenn man Sven Petry fragt, warum er das gemacht hat, dann bläst er seine Wangen auf und atmet langsam und hörbar aus: Bfffff. "Es waren rein private Gründe", sagt er. Hat er damit nicht eine damals schon rechtspopulistische Partei unterstützt? Petry sagt: "Wohin sich die AfD entwickeln würden, das konnte niemand wissen. Es hat mich sogar geärgert, dass manche Beobachter schon das Etikett ›rechtspopulistisch‹ draufgeklebt hatten, ehe überhaupt absehbar war, in welche Richtung es geht."
Bis heute vermeidet es Sven Petry, über private Dinge öffentlich zu sprechen, das tut er weiterhin nicht. Er vermeidet es auch, konkret zu kommentieren, wie AfD-Politiker handeln oder reden. Es soll nicht so weit kommen, dass er und seine Frau öffentlich über politische Streitfragen debattieren. Sie gilt als diejenige, unter deren Führung sich die AfD endgültig zu einer rechtspopulistischen Partei entwickelt hat. Und fragt man Sven Petry, wie es ihm damit geht, dann antwortet er: "Meine Frau muss damit klarkommen, dass ihre Politik jetzt als rechtspopulistisch bezeichnet wird. Sie ist die Vorsitzende und muss sich zurechnen lassen, was politisch in ihrer Partei passiert. Populismus jedenfalls, wie er der AfD nun zugeschrieben wird, ist sicher ein Mittel, um politisch erfolgreich zu sein. Meins ist das nicht."
Es ist davon auszugehen, dass sich Sven Petry einige Male hat rechtfertigen müssen. Dass er hat erklären müssen, ob er als Pfarrer hinter der Politik seiner Frau stehe. War es so? "Ich habe die Anfragen nicht gezählt", sagt er trocken.
Der AfD ist schon vorgeworfen worden, sie betreibe rechtsradikale Stimmungsmache, und auch Frauke Petry selbst teilt heftig aus. Aber es ist nicht der Ton einer politischen Debatte, der Sven Petry interessiert oder gar echauffiert. "So läuft der politische Laden", sagt er, "so viel habe ich in den letzten zweieinhalb Jahren aus der Nahdistanz dann doch gelernt und mich daran gewöhnt, dass Klappern dazugehört. Dass alle Beteiligten zu Zuspitzungen neigen. Dass heftige Vorwürfe täglich erhoben werden. Mein Stil wäre es nicht. Aber so läuft es."
Er hat jetzt gezeigt, dass er als Christ woanders steht als die Partei seiner Frau und auch woanders steht als seine Frau.
Sven Petry hat an diesem Sonntag zu seiner Gemeinde in Tautenhain gesagt: "Wir können nicht einfach in das Mantra derer einstimmen, die jede Veränderung ablehnen." Man kann das mindestens authentisch nennen, denn ihm selbst stehen grundlegende Veränderungen bevor. Seine Ehe ist in Auflösung begriffen, seine Frau wird aus dem Pfarrhaus ausziehen. Er kann sich nicht einmal sicher sein, ob er in Tautenhain wird bleiben können, denn normalerweise werden Pfarrer versetzt, wenn sie sich scheiden lassen.
Nichts auf dieser Erde sei für die Ewigkeit, hat Sven Petry im Gottesdienst gesagt, "auch nicht unsere tatsächlichen, gewünschten oder auch nur fantasierten Traditionen, die der eine oder andere gern in Stein meißeln würde".