In Sachsen steht die Kundschaft derzeit in Waffengeschäften Schlange. Seit Wochen haben die Verkäufer von Pfefferspray, Elektroschockern, Schreckschusspistolen und anderen freiverkäuflichen Waffen soviel zu tun, dass sie den Bedarf ihrer Kunden mitunter gar nicht decken können. Bei der Polizeigewerkschaft GdP schrillen angesichts des offenbar großen Bedürfnisses der Sachsen nach Eigensicherung die Alarmglocken. Innenminister Markus Ulbig spricht von einer "schwierigen Zeit" für die Polizei. von Beate Dietze
In Sachsen boomt seit Wochen das Geschäft mit Waffen. Gekauft wird alles, was frei zu haben ist: Von Pfefferspray und Reizgas über Gasdruckpistolen, Messer und Elektroschocker bis hin zur Armbrust. Ein Dresdner Händler berichtet MDR SACHSEN, dass die Kunden bereits vor der Ladenöffnung Schlange stehen würden. An einem einzigen Tag erziele er im Moment den Umsatz, den er bisher monatlich gemacht habe. So gingen jetzt beispielsweise 100 bis 200 Dosen Pfefferspray pro Tag über seinen Ladentisch. Vor fünf Jahren seien es etwa fünf Dosen pro Woche gewesen. Ein anderer Händler bestätigt den Trend: Es kämen derzeit Kunden ins Geschäft, die sonst nicht zur typischen Klientel gehörten. So würden sich etwa viele Frauen vor Angriffen schützen wollen. Es kämen aber Männer, die für ihre Frauen einkaufen würden, sagt ein Waffenhändler aus Pirna. Die Leute hätten Angst und würden versuchen, sich für den Notfall vorzubereiten, schätzen die Händler die Lage ein. Bei Abwehrsprays gebe es inzwischen Lieferengpässe, die Kunden müssen mit unbestimmten Wartezeiten rechnen.
Großhandel mit Lieferengpässen
Auch der Großhandel macht derzeit Umsatz wie nie zuvor. Die hessische Firma KH Security, Spezialist für Einbruchsschutz und Selbstschutz, verfügt aktuell zwar nicht über valide Verkaufszahlen, hat aber nach eigenen Angaben fünfmal so viel zu tun wie sonst. Seit 25 Jahren ist das Unternehmen am Markt. Einer Unternehmenssprecherin zufolge ist der vergangene September seitdem der umsatzstärkste Monat überhaupt gewesen. Normalerweise ziehe das Geschäft immer erst in der dunklen Jahreszeit an, so die Sprecherin. Im Fokus stehe dabei nicht nur der personenbezogene Schutz. Alarmanlagen für Häuser und Wohnungen seien ebenso gefragt.
Nachfrage nach "Kleinem Waffenschein" deutlich gestiegen
Der Trend sich zu bewaffnen spiegelt sich auch in der Statistik wider. In den ersten zehn Monaten dieses Jahres sind in Sachsen mehr als doppelt so viele sogenannte "Kleine Waffenscheine" ausgestellt worden, wie im gesamten Jahr 2014. Von Januar bis Ende Oktober registrierte das Innenministerium 595, im vergangenen Jahr waren es 242. Insgesamt gibt es aktuell 7.303 Kleine Waffenscheine im Freistaat. Diese Genehmigung wird benötigt, um beispielsweise eine Schreckschusspistole in der Öffentlichkeit, also außerhalb der eigenen Wohnung oder des eigenen Grundstücks mit sich zu führen. Um eine solche Waffen zu kaufen oder zu besitzen, braucht es dagegen keine Erlaubnis.
Polizeigewerkschaft GdP schlägt Alarm
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Sachsen betrachtet die individuelle "Aufrüstung“ der Bevölkerung mit Sorge. Laut GdP-Sachsen Chef Hagen Husgen ist das kein gutes Zeichen für die Polizei. Er könne jedoch verstehen, dass sich die Bürger in Sachen Sicherheit allein gelassen fühlten. Auf der Straße sei die Polizei weniger sichtbar, sagte Husgen. Der ein oder andere habe Angst um seine Gesundheit und sein Eigentum und wolle sich für den Fall eines Angriffs nun selbst bewaffnen. Husgen hält das für den falschen Weg. Seiner Ansicht nach muss der Freistaat vielmehr für genügend Polizisten auf der Straße sorgen. Mindestens 3.000 zusätzliche Polizisten werden Husgen zufolge in Sachsen gebraucht.
"Ich habe arge Bedenken, muss ich ganz ehrlich sagen. Und ich mache mir Sorgen, dass sich die Bürger in Deutschland und in Sachsen schon fast bewaffnen, und dass die Nachfrage nach Schreckschusswaffen, nach Pfefferspray und dergleichen dermaßen hoch ist, dass man mit der Lieferung nicht mehr hinterherkommt."
Hagen Husgen
Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei in Sachsen
Husgen fordert Freistaat zum Handeln auf
Um kurzfristig Polizisten auf die Straße zu bekommen fordert die GdP finanzielle Anreize, um fitte Beamte länger im Dienst zu halten. Das geschehe derzeit nicht, kritisiert Gewerkschafter Husgen. Darüber hinaus solle man verstärkt Beamte oder Tarifbeschäftigte aus dem Ruhestand zurückholen. Das Interesse sei allerdings verhalten. Denn auch hier gehe man den "Billig-Weg", moniert Husgen. Die Pensionäre dürften nicht normal ins Arbeitsleben zurückkehren, sondern lediglich stundenweise arbeiten, da sie nur 450 Euro zu ihrer Rente hinzuverdienen dürften. Husgen schlägt deshalb vor, die Hinzuverdienstgrenze anzuheben. Darüber könne das Land mit Hilfe der Arbeitsagentur nach Mitarbeitern Büro - und Verwaltungstätigkeiten für die Polizei suchen. Dann bliebe die Schreibarbeit nicht an den Vollzugbeamten hängen, so Husgen.
Innenminister Ulbig besorgt über die Entwicklung
Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) sieht in dem Verkaufsboom freiverkäuflicher Waffen einen deutschlandweiten Trend. Das subjektive Sicherheitsgefühl sei durch "die Menschen, die zu uns kommen", zumindest zum Teil, nicht mehr in dem Maß wie bisher vorhanden, schätzt der Minister. Der Freistaat habe reagiert und die notwendigen Konsequenzen gezogen. So sei der Stellenabbau bei der Polizei gestoppt worden. Darüber hinaus würden künftig Wachpolizisten die Beamten auf der Straße entlasten. Derzeit bemühe sich der Freistaat auch intensiv darum, Polizeibeamte die kurz vor der Pensionierung stehen, davon zu überzeugen, noch ein bis zwei Jahre länger Dienst zu tun, so Ulbig.
"Es ist eine schwierige Zeit durch die zusätzlichen Aufgaben, die durch die Polizei zu erbringen sind, aber der Freistaat ist in der Lage, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten."
Markus Ulbig
Sächsischer Innenminister
Gerüchteküche brodelt zwar, Schützenvereine haben aber keinen Zulauf
Anders als immer wieder behauptet, haben die Schützenvereine in Sachsen keinen verstärkten Zulauf. Die Mitgliedszahlen des Sächsischen Schützenbundes, der größten Schützenvereinigung in Sachsen, sprechen jedoch eine andere Sprache. Schützenbund-Präsident Frank Kupfer stellt klar, es gebe keinen deutlichen Anstieg der Mitgliedszahlen. Sie seien seit Jahren weitgehend konstant. Vor zwei Wochen hatte die AfD-Abgeordnete Silke Grimm von einem sprunghaften Anstieg der Eintritte in Schützenvereine berichtet. Aber auch in Unions-Kreisen machten derartige Behauptungen die Runde. So hatte etwa der CDU-Landtagsabgeordnete Sebastian Fischer aus Gävernitz über zahlreiche Neumitglieder im Schützenverein seines Nachbardorfes Ebersbach berichtet. Weil man so "an Waffen rankommt", wie Fischer sagte.
Schützenbund-Präsident Frank Kupfer, der zugleich Chef der CDU-Landtagsfraktion ist, hält das für eine fragwürdige These: "Ich kann das nicht nachvollziehen. Ich weiß nicht woher er seine Erkenntnisse hat. Auf jeden Fall kann man diese Erkenntnisse nicht verallgemeinern."
Im Januar wird der Sächsische Schützenbund seine Statistik zu den aktuellen Ein- und Ausstritten vorlegen. Erst dann lässt sich ein genereller Trend ablesen. Interessant ist dennoch, dass der Ebersbacher Schützenverein seit Anfang des Jahres drei Mitglieder verloren und insgesamt einen Mitgliederrückgang zu verzeichnen hat. Das teilte der Geschäftsführer des Sächsischen Schützenbundes Ralph Martin mit.