Zeitungsbericht: Wie PEGIDA Dresdens Ruf zerstört

Erstveröffentlicht: 
21.11.2015

Dresden - Dresden war in den vergangenen Jahren eine einzige Erfolgsgeschichte. Wirtschaftswachstum, Kultur, wunderschöne Gebäude, gastfreundliche Menschen.

 

Doch dann kam Pegida und die Stadt wird seitdem nur noch als fremdenfeindliche Hochburg wahrgenommen. 

 

Auch viele Dresdner selbst verlieren seitdem zumindest einen Teil ihrer Liebe zu der Stadt. Das schreibt der Schweizer "Tagesanzeiger" auf seiner Homepage. In dem Text "Die missbrauchte Stadt" findet der Autor Dominique Eigenmann klare Worte für das, was seit einem Jahr die Stadt spaltet: 

 

"Dresdens Ruf ist verwüstet. Das Schätzchen an der Elbe, durch die Jahrhunderte von Reichtum und Schönheit verwöhnt, als mitteleuropäisches Florenz bewundert, zerbombt und wieder auferstanden, steckt mit all seinen barocken Türmen und Kuppeln, goldenen Herrschern und Engeln tief im braunen Sumpf der Fremdenfeinde."

 

Er ist vielen Dresdner begegnet, die sagen: "Das ist nicht mehr meine Stadt."


Trotz der vielen positiven Entwicklungen in den vergangenen Jahren, liegt jetzt "eine dunkle Wolke über der Stadt, die alles infrage stellt, selbst die Liebe ihrer Bewohner."


Auszüge aus dem  Artikel im Wortlaut:

 

"Die Wolke heisst Pegida. (...) Pegida durchsetze alle Gespräche und Beziehungen. Pegida erschüttere den Stolz der Stadt, spalte die Bürgerschaft und vergifte das Klima. Spaltung und Gift – mit diesen Worten beschreiben fast alle, mit denen man spricht, die schleichende Wirkung der rechtsextremen Bewegung.

Selbst der neue Oberbürgermeister der Stadt, der konservative Dirk Hilbert sagt: "Daran sind Freundschaften zerbrochen."


Pegida hat den Ton der weltanschaulichen Auseinandersetzung in der Stadt brutalisiert. (...) Am Montag, wenn die Pegida-Leute die Stadt einnehmen, überlegen sich linke Flüchtlingsfreunde zweimal, ob sie ihren "Herz statt Hetze"-Anstecker in der Strassenbahn nicht doch lieber abnehmen.


Man meidet gewisse Strassen und Plätze. Tony Hymans junge Zellforscher aus Indien oder Westafrika fahren am Montag immer mit dem Taxi vom Labor nach Hause.


Die Lager begegnen sich zunehmend misstrauisch und unversöhnlich. Seit einem Jahr herrscht in Dresden inoffizielle Gesichtskontrolle: Man mustert sich auf der Strasse, im Restaurant, im Büro, um zu wissen, ob er oder sie zum eigenen Lager gehört oder zu dem der anderen.

 

(...) Die Redner auf der Bühne hetzen gegen Ausländer und gegen diejenigen, die sie aufnehmen. Drei Tage nach dem Massaker von Paris – 8000 sind gekommen, nicht mehr und nicht weniger als am vergangenen Montag – verwandeln sie muslimische Flüchtlinge in Terroristen und umgekehrt, und sie erklären jeden zum "Vollidioten", der es nicht auch so sieht.

 

Ansonsten erfüllen sie nationalsozialistisches Vokabular mit neuem Leben, indem sie es frontal gegen ihre politischen Feinde wenden. (...) Die radikale Umdeutung aller Werte hat revolutionären Charakter, gleichzeitig ist der Grössenwahn der fanatischen Minderheit mit Händen zu greifen. (...)

 

Hat Dresdens Regierung bei Pegida versagt? Die Frage geht an Oberbürgermeister Dirk Hilbert, einen wuchtigen, fröhlichen Stadtoberen, der in einem wuchtigen, unfröhlichen Rathaus residiert.

 

"Die Politik hat nicht genug getan", gibt er unumwunden zu, "sonst hätte diese Bewegung nicht so viel Zulauf erhalten." Am Anfang hätte man vielleicht noch einen Zugriff auf die Bewegung bekommen, aber man habe die Radikalen zu lange als "komische Vögel" unterschätzt.

 

Und nun, angesichts der Ankunft von Hunderttausenden von Flüchtlingen in Deutschland, bekomme Pegida auch Unterstützung von Leuten, die deren rechtsextreme Überzeugungen nicht teilten, sich aber gegen die Willkommenspolitik der Kanzlerin wehren wollten. Mit Letzteren könne man durchaus noch ins Gespräch kommen, mit Ersteren kaum, weil sie "das System" als Ganzes ablehnten. (...)

 

Überhaupt, die Bühne. Wer von aussen auf die Stadt blickt, wird den Eindruck nicht los, dass Dresden die Schlüssel seiner Stadt einem Haufen von Fanatikern einfach ausgehändigt hat wie einem dahergelaufenen Dieb.


Das Bild entsteht, weil Pegida auf den schönsten, symbolträchtigsten Plätzen der Stadt auftritt, mit den berühmtesten Baudenkmälern als Kulisse. Pegidas Mission heisst eigentlich Occupy Dresden, und die Stadt sieht dabei einfach zu. (...)

 

Der Zellforscher Tony Hyman sorgt sich um seinen wissenschaftlichen Nachwuchs. 70 junge Talente benötigt er jedes Jahr, am liebsten die besten der Welt. Aber kann Dresden noch mit Boston oder San Francisco mithalten, wenn die Stadt in der Weltpresse ständig mit Fremdenfeinden assoziiert wird? (...)

 

Hyman fragt sich auch, wie lange er es noch verantworten kann, mit seinem Institut in Dresden zu bleiben. 2009 wurde die Frau eines ägyptischen Forschers aus seinem Team von einem Fremdenhasser erstochen. Hyman sagt, er habe deswegen heute noch Schuldgefühle.

 

Damals habe er hin und her überlegt, ob er mit dem Institut nicht wegziehen müsste. Er habe sich dann dagegen entschieden, weil die Stadt sonst so viel biete. Heute frage er sich wieder. "Solange die Fremdenfeindlichkeit nicht eskaliert, bleiben wir hier. Tut sie es aber, dann gehen wir."


Den kompletten Text gibt es hier zum Nachlesen.