Ordnung, Heimat, Vaterlandsliebe

Erstveröffentlicht: 
16.11.2015
Tillich punktet auf dem CDU-Landesparteitag mit alten Werten und neuer Asyl-Härte VON ANDREAS DEBSKI

 

Neukieritzsch. Erleichterung. Dieses Wort trifft es wohl am besten. Die Erleichterung ist Stanislaw Tillich in jeder Geste, mit jeder Miene anzusehen. Auf dem CDU-Landesparteitag in Neukieritzsch (Leipziger Land) ist der 56-jährige Ministerpräsident als Vorsitzender der Sachsen-Union mit 83,3 Prozent, was 155 Ja- und 31 Nein-Stimmen entspricht, wiedergewählt worden. Zwar ist das Ergebnis seit seiner Amtsübernahme 2008 noch nie so schlecht gewesen, waren es vor zwei Jahren noch satte 95,7 Prozent – doch der Denkzettel fällt wesentlich moderater aus, als in der CDU-Führung befürchtet worden war. Vorab wurde die Marschzahl von 80 plus X ausgegeben. Kein Wunder, dass Tillich hernach von einem „ehrlichen Ergebnis“ spricht, das „immer noch gut“ ausgefallen sei. Und tatsächlich, ein solch klares Votum ist nicht unbedingt zu erwarten gewesen.

 

Denn das geläufige Rumoren an der Basis hatte sich zuletzt zu einem heftigen Grollen aufgetürmt. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bekam unlängst bei der Regionalkonferenz in Schkeuditz (Nordsachsen) die Unzufriedenheit mit der Parteispitze und deren Asyl-Kurs zu spüren. Nun musste sich also Tillich stellen. Jener Mann, der wie kaum ein Zweiter für einen ruhigen, bedachten Politikstil steht, der lieber zwei Worte zu wenig, als eines zu viel sagt, der nicht selten eine klare Ansage vermissen lässt – und dem aus diesen Gründen mehr und mehr die Basis zürnte. Vielleicht hatten die sächsischen CDU-Strategen genau deshalb einen alten Freund eingeladen: Bayerns Ministerpräsident und CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer – er hatte der Kanzlerin beim Thema Asyl zuletzt unverhohlen die Stirn geboten. Ein Bayer soll in Sachsen sozusagen zum Hoffnungsträger werden.

 

Schon Seehofers Einzug in die nüchterne Mehrzweckhalle gleicht einem Triumphmarsch. Vom Band hallt das Bergmannslied. Der Steiger kommt, und mit ihm ein strahlender Aufrechter. Handykameras werden gelupft, Fotoapparate in Anschlag gebracht, Dutzende Hände dem Volkstribun entgegengestreckt. Der CDU-Parteitag droht in diesem Moment, eine Krönungsmesse zu werden. Doch viele haben die Rechnung ohne Tillich gemacht. Der sächsische Regierungschef setzt zu einer Rede an, von der der Gast aus Bayern später sagen wird: „Lieber Stanislaw, die hättest du genauso auf unserem Parteitag halten können.“ Dabei kommt es weniger auf das Kratzen und Beißen an, das Tillich sowieso nicht eigen ist, sondern vielmehr auf die inhaltlichen Komponenten: Asyl-Verschärfungen und Grenzkontrollen, Leitkultur und Patriotismus, Recht, Disziplin und Ordnung – das sind die Banden, zwischen denen Sachsens Ministerpräsident agiert.

 

„Wir sind die Regierungspartei, die Heimatpartei der Menschen. Sie erwarten von uns, dass wir die Interessen Deutschlands und Sachsens konsequent vertreten“, wirft Tillich gleich zu Beginn seiner 45-minütigen Ruck-Rede in den Saal. Es sind Sätze wie „Deutschland soll bleiben, wie es ist und was es ist“ oder „wir müssen die Ordnung wieder herstellen“, die besonders gut ankommen. Er fährt eine umfassende wert- und nationalkonservative Palette auf, um die 200 Delegierten hinter sich zu bringen. Dazu gehört auch, dass Tillich die Patriotismusdebatte neu entfacht, über die deutsche Leitkultur philosophiert: „Vaterlandsliebe und ein gesunder Patriotismus sind für unsere Heimat ein wichtiger Kompass.“ Und er sagt auch: „Ich bleibe dabei, dass wir nicht pauschal sagen können: Der Islam gehört zu Deutschland.“ Worte und Sätze, die wie Balsam auf die CDU-Seele wirken. Seehofer setzt mit einer fast einstündigen Rede noch einen drauf, schmückt die Tillich-Ansagen mit Emotionen aus. Der Schulterschluss zwischen Sachsen und Bayern funktioniert.

 

Die Basis ist zumindest wieder wohlgesonnen. Leipzigs Polizeipräsident Bernd Merbitz – der nach Bundesinnenminister Thomas de Maizière (92 Prozent) mit den zweitmeisten Stimmen (90 Prozent) im Vorstand bestätigt wird – spricht von einem „unter den aktuellen Bedingungen sehr guten Ergebnis“. Alexander Dierks aus Chemnitz, Vorsitzender der Jungen Union und Landtagsabgeordneter, ist zufrieden: „Es gab eine gewisse Verunsicherung, so wie auch die allgemeine Stimmungslage beim Thema Asyl ist. Stanislaw Tillich hat den richtigen Ton gefunden und ist sehr deutlich geworden.“ Auch Juliane Schleppers aus Schildau, vom Kreisverband Nordsachsen, sieht Tillichs Rücken gestärkt, „weil er in der Rede alle Probleme aufgegriffen hat und den richtigen Weg einschlägt“. Der Dresdner Arnold Vaatz, lange Jahre für die CDU im Bundestag, schimpft dagegen: „Die Probleme sind nicht mal im Ansatz geklärt.“ Die Union müsse viel klarere Worte finden und dürfe sich von der „Beschwichtigungs- und Empörungsindustrie“ nicht einschüchtern lassen.

 

In welche Richtung die Sachsen-Union tendiert, zeigen neben den Wortmeldungen zwei weitere Wahlergebnisse: Fraktionschef Frank Kupfer – der die letzten Asylrechtsverschärfungen für zu mild hält und im Oktober eine bayerisch-sächsische Koalition geschmiedet hat – erreicht mit 91,3 Prozent das beste Ergebnis aller stellvertretenden Landesvorsitzenden. Michael Kretschmer, der bissige Generalsekretär, kommt auf 78,8 Prozent, womit er in der Gunst kaum gefallen ist. Tillich kann somit seine Erleichterung zur Schau tragen. Er hat nach einigem Zögern seinen Kurs vorgegeben. Einen Kurs, der die Sachsen-CDU eher an München als an Berlin orientiert. Einen Kurs, der nicht nur die Konservativen eint, sondern laut Seehofer auch „die demokratische Rechte“ erfasst und der von den politischen Gegnern ganz sicher abgelehnt werden wird.