China gegen türkische "Sicherheitszone" in Nordsyrien

Erstveröffentlicht: 
21.11.2015

Ankaras Pläne, die Region zwischen Aleppo und der türkischen Grenze zur 82sten Provinz der Türkei zu machen, werden immer unwahrscheinlicher

Die Region um Aleppo, wo die Türkei eine Pufferzone einrichten möchte, umfasst das Grenzgebiet zur Türkei zwischen Kobane und Afrin und die Gebiete Idlib, Aleppo und Latakia. Angeblich will die türkische Regierung damit syrischen Flüchtlingen die Rückkehr in ihr Heimatland ermöglichen und die "turkmenischen Brüder" schützen, wie die Hürriyet Daily News berichtet.

 

Vor den Kurden aus Rojava schützen, versteht sich, denn viele Turkmenen stehen der konservativen AKP Erdogans nahe. Zudem wurden sie vom türkischen Geheimdienst MIT "aufgestockt" - am 10. August diesen Jahres betraten türkische Militärs mit der turkmenischen Sultan Murat Brigade das geplante Gebiet der sogenannten Pufferzone. Sie arbeiten mit dem Al-Qaida-Ableger Al Nusra und anderen islamistischen Gruppen zusammen.

 

In diesem Gebiet operieren auch noch ca. 2.000 islamistische Kämpfer aus Tschetschenien, Dagestan und anderen Regionen des Kaukasus zusammen mit der terroristischen Al Nusra Front. Auch chinesische, islamistische Uiguren und Usbeken operieren dort. Verschiedene Geheimdienste sprechen von 5000 Usbeken, 2000 Tschetschenen und mehr als 1000 chinesischen Militanten, die sich Al Nusra angeschlossen haben.

 

Die türkische Führung will verhindern, dass die Rojava-Kantone Kobane und Afrin verbunden werden und damit der einzige vom IS noch kontrollierte Grenzübergang Jarabulus unter die Kontrolle von Rojava fällt. Dann würden die "Demokratischen Syrischen Kräfte", die Armee von Rojava und Verbündete der Anti-IS-Koalition, die gesamte syrische Grenze zur Türkei kontrollieren und der IS hätten keinen direkten Zugang zur Türkei und damit auch nach Europa mehr.

 

Bisher versorgt der IS sich über diese Grenze mit Waffen, Munition und anderem Equipment und IS-Kämpfer konnten dort nach Syrien einreisen, wie auch umgekehrt verletzte IS-Kämpfer in der Türkei in eigens für sie bereitgestellten Krankenhäusern behandelt werden konnten. Nicht zuletzt wäre dem einfachen Hin- und Herreisen europäischer Dschihadisten ein Riegel vorgeschoben. Einer der Attentäter von Paris ist nachweislich über die Türkei und Griechenland nach Frankreich gelangt.

 

Wenn es der Türkei es ernst damit wäre, Flüchtlingen aus Syrien die Rückkehr in ihr Heimatland möglich zu machen, hätte man schon längst die Grenze nach Rojava für den immer wieder geforderten humanitären Korridor öffnen können - zur sicheren Rückkehr der Flüchtlinge aus dem Kanton Kobane und zum Wiederaufbau der zerstörten Stadt und den ebenfalls vom IS zerstörten Dörfern. Wirtschaftlich würde die Türkei davon sogar enorm profitieren, da Lebensmittel und Material, Maschinen etc. in der Türkei gekauft werden würden. Aber soweit kann Erdogan mit seiner Kurdenphobie nicht denken.

 

Der ehemalige deutsche Bundeswehr General Harald Kujat warnte schon 2014 davor, dass die Türkei die Nato in den Syrien-Krieg hineinziehen wolle, um die Absetzung Assads zu bewirken und um die Kurden andererseits am Ausbau ihrer Selbstverwaltung zu hindern.

 

Bislang wollten auch die USA sich nicht für Erdogans neo-osmanische Ambitionen für eine 82ste Provinz Aleppo instrumentalisieren lassen, aber eindeutige Stellungnahmen blieben bisher aus - die Türkei ist nach wie vor geostrategisch wichtig.

 

Aber weder Russland noch China haben ein Interesse daran, dort unter Erdogans Regie einen sicheren Hafen für islamistische, militante Gruppen aus Zentralasien, China und Russland entstehen zu lassen, die dann über kurz oder lang in ihren Heimatländern zur Destabilisierung beitragen könnten.

 

Neue Handlungsmöglichkeiten

 

Damit eröffnen sich neue politische Handlungsmöglichkeiten: China ist mit im Boot, Russland erlaubt der politischen Vertretung von Rojava in Moskau ein Büro zu eröffnen, die Syrienkonferenz in Wien hat sich mit Russland und dem Iran auf eine Übergangsregierung geeinigt.

 

Binnen sechs Monaten sollen das Regime von Bashar al-Assad und Vertreter der Opposition eine Übergangsregierung bilden, wurden US-Außenminister Kerry und sein russischer Amtskollege Sergej Lawrow am vergangenen Samstag in Wien zitiert. Bis Ende des Jahres sollen Friedensgespräche unter Vermittlung des UNO-Sondergesandten Staffan de Mistura beginnen, im Dezember soll eine Liste von Oppositionsgruppen vorliegen, die Teil der Gespräche sind - inwieweit die Vertreter Rojavas dort mit beteiligt sein werden ist zurzeit noch nicht klar.

 

Definitiv ausgeschlossen sind der IS und die Al-Nusra-Front. Uneinigkeit herrscht noch im Umgang mit Assad, die USA favorisieren weiterhin einen Abtritt Assads, Russland bremst. Allerdings ist davon auszugehen, dass es schon im Vorfeld Abstimmungen zwischen Russland, dem Iran und Assad gegeben hat. Es ist unwahrscheinlich, dass Russland und der Iran einem solchen Vorschlag zustimmen würden, ohne dies mit Assad abgestimmt zu haben.

 

Es bleibt zu hoffen, dass eine Beteiligung Rojavas möglich wird, schließlich haben seine Repräsentanten immer betont, keinen eigenen Kurdenstaat anzustreben, sondern eine selbstverwaltete Region in einem demokratischen Syrien konstituieren zu wollen. Sie sehen ihr basisdemokratisches Modell als Vorbild gegen feudale, korrupte oder nationalistische Strukturen und als eine Alternative zum syrischen Zentralismus mit einem Despoten an der Spitze.

 

Europa muss handeln – und Realitäten auch gegen die Interessen Erdogans anerkennen

 

Das Attentat in Paris zeigt mit aller Deutlichkeit, dass Europa endlich nicht nur mit Lippenbekenntnissen im Nahen Osten handeln muss: Erdogans Krieg gegen die Kurden muss beendet werden, damit in der Türkei wieder Ruhe einkehren kann und kein Bürgerkrieg ausbricht. Dazu müssen die USA und die europäischen Staaten endlich eine klare Position beziehen und ihren Schmusekurs mit Erdogan beenden.

 

Denn: Bisher ist Erdogan nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems. Die USA und Europa müssen viel größeren Druck ausüben, dass die Friedensverhandlungen mit der PKK wieder aufgenommen werden und zwar unter Beteiligung von internationalen Vermittlern. Die PKK ist keine Terrororganisation, sondern qua Definition eine Befreiungsbewegung, mit hoher Legitimation unter der kurdischen Bevölkerung nicht nur in der Türkei, sondern in allen kurdischen Gebieten des Nahen Ostens.

 

Dass einer der Attentäter von Paris über die Türkei und Griechenland nach Paris reisen konnte, zeigt nochmal die Dringlichkeit, die Grenzen für IS-Kämpfer über die Türkei abzuschneiden. Und die IS-Strukturen in der Türkei zu zerstören. Mittlerweile ist ja bewiesen, dass die türkischen Sicherheitskräfte die IS-Zelle in Adiyaman, die für das Attentat in Ankara - mit noch mehr Toten als in Paris - verantwortlich waren, kannten, und selbst die Informationen der Eltern der Attentäter ignorierten.

 

Die Ereignisse in Syrien sind unabsehbar, aber trotz des Terrors des IS gibt es auch positive Entwicklungen, die nicht vergessen werden dürfen: Eine Veränderung an der Regierungsspitze ist möglich geworden, Erdogans Sicherheitszone erst mal auf Eis. Wenn es gelingt, die demokratischen Kräfte in Syrien an einen Tisch zu bekommen - unter der Beteiligung aller ethnischen und religiösen Minderheiten.

 

Wenn die involvierten Staaten der internationalen Allianz ebenfalls ein gemeinsames Vorgehen jenseits ihrer egoistischen geopolitischen Interessen vereinbaren könnten, dann würde aus dem Kampf gegen den IS ein entschlossenes Unterfangen werden und Frieden in Syrien wäre wieder denkbar. Dafür müsste Erdogan aber von seiner Kurdenphobie und neo-osmanischen Großmachtphantasien geheilt werden und die Berater von Politikern in den jeweiligen Ministerien und Organen wie das Entwicklungshilfeministerium, das Auswärtige Amt, Verfassungsschutz und BKA von ihrem Tunnelblick befreit werden.