Geheimdienste nach den Anschlägen: Wir haben versagt, gebt uns mehr Macht

Wenige Stunden nach den Anschlägen von Paris forderten die ersten Beamten bereits neue Überwachungsmaßnahmen. CIA-Chef Brennan gibt Whistleblower Snowden eine Mitschuld an den Taten. Dabei haben die Dienste offenbar selbst versagt.

Wenn Geheimdienste öffentlich in eigener Sache zu argumentieren versuchen, hat das immer etwas Surreales. Oft treten sie nur in Gestalt ungenannter "hochrangiger Beamter" in Erscheinung, die dem einen oder anderen Medium anonym verraten haben, was sie selbst gerade dringend brauchen - in der Regel geht es um noch mehr Befugnisse.

 

Geheimdienste sind die einzigen Organisationen, die öffentliche Lobbyarbeit betreiben, ohne konkrete Belege für die Richtigkeit ihrer Behauptungen liefern zu müssen. So auch diesmal.

Noch einmal zu den tragischen Fakten: In Paris haben mehrere Attentäter in der Nacht von Freitag auf Samstag 129 Menschen getötet und Hunderte weitere verletzt. Alle bislang bekannten Attentäter bis auf einen waren dem US-Geheimdienst bekannt, das berichtet zumindest ein amerikanischer Abgeordneter. Die Namen der Täter hätten auf einer amerikanischen Flugverbotsliste (no fly list) gestanden.

Auch den französischen Behörden waren mehrere der Täter und der mutmaßliche Kopf hinter der Terrorserie bekannt. Mehrere von ihnen waren augenscheinlich nach Syrien gereist und von dort offenbar unbemerkt nach Europa zurückgekehrt. Die Täter stammten aus Frankreich und Belgien. Auch der mutmaßliche Drahtzieher der Morde kam aus Belgien, auch er war den dortigen Sicherheitsbehörden bekannt, reiste nach Syrien, trat dort als Protagonist grauenhafter Propagandavideos in Erscheinung und reiste irgendwann unbemerkt nach Europa zurück.

Telefongespräche abgehört, Handy problemlos ausgewertet

Auf die Spur der Terrorverdächtigen, gegen die die französische Polizei am Mittwoch im Pariser Vorort Saint-Denis vorging, kamen die Ermittler dem französischen Oberstaatsanwalt zufolge durch die Auswertungen überwachter Telefongespräche.

In Paris ist offenbar außerdem ein Handy gefunden worden, das die Attentäter am vergangenen Freitag benutzt haben. Französischen Medien zufolge wurde es nahe dem Musikklub Bataclan in einem Mülleimer entdeckt. Auf dem Smartphone sollen sich den Berichten zufolge ein Plan von den Räumen des Bataclan und eine SMS mit den Worten "Wir sind los, wir fangen an" befunden haben. Es hat der französischen Polizei offenbar keine Probleme bereitet, das Handy auszuwerten.

Den Geheimdiensten in Frankreich, Belgien und den USA lagen offenbar zahlreiche Informationen zu den Mördern von Paris vor. Trotzdem konnten die Männer sich unbemerkt bewegen, bewaffnen und organisieren. In Frankreich gibt es bereits seit Jahren eine sehr umfassende Vorratsdatenspeicherung. Sogar Passwörter etwa zu E-Mail-Konten müssen die Anbieter dort 12 Monate lang speichern, Verbindungsdaten sowieso. Außerdem gilt dort seit dem Sommer ein neues Überwachungsgesetz, das die Befugnisse der Geheimdienste noch einmal deutlich ausgeweitet hat.

"Ohne dafür Beweise vorzulegen"

Der Chef des US-Geheimdienstes CIA behauptet nun - ohne dafür einen einzigen Beleg vorweisen zu können: Wenn Edward Snowden den globalen Spähapparat der NSA und ihrer Verbündeten nicht offengelegt hätte, wären die Anschläge von Paris womöglich verhindert worden.

Die "New York Times" veröffentlichte am Sonntag einen Artikel (hier archiviert), in dem unter anderem ungenannte "europäische Beamte" mit der Behauptung zitiert wurden, die Angreifer hätten verschlüsselt kommuniziert. Die "NYT" entfernte den Artikel jedoch wenige Stunden später und ersetzte ihn durch eine Version, in der nur die Rede davon ist, dass "europäische Beamte sagten, dass sie glauben, dass die Angreifer von Paris irgendeine Form verschlüsselter Kommunikation benutzt hätten, ohne dafür Beweise vorzulegen".

In Deutschland forderte der stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Jörg Radek, schon Stunden nach den Anschlägen von Paris: Um Attentate wie diese zu verhindern, müsse die "unsinnige Debatte über den sogenannten Überwachungsstaat" jetzt vermieden und stattdessen das "eng gefasste Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung überdacht" werden. Sein Kollege Arnold Plickert, GdP-Vorsitzender für Nordrhein-Westfalen, stimmte ihm zu und sprach sich für eine Speicherfrist von mindestens einem Jahr aus.

In den USA war vor den Anschlägen von Paris gerade eine Debatte über das Thema Verschlüsselung mit einer Niederlage für die Geheimdienste und das FBI zu Ende gegangen: Die Behörden dort fordern schon seit Längerem, dass es keine Verschlüsselungstechnik geben dürfe, die ihnen verschlossen bleibt, die großen Tech-Konzerne und Bürgerrechtler stellen sich dem entgegen.

"Das könnte sich im Fall eines Terroranschlags ändern"

Die Regierung Obama entschied letztlich, wirksame Verschlüsselung nicht zu verbieten. Schon im August zitierte die "Washington Post" aus einem Schreiben des Anwalts Robert Litt, der für das Büro des US-Geheimdienstdirektors arbeitet. Litt erklärte darin gegenüber Kollegen, dass das "legislative Umfeld" für Anti-Verschlüsselungs-Gesetzgebung derzeit zwar "sehr feindselig" sei, dass sich das aber "im Fall eines Terroranschlags oder eines Verbrechens ändern könnte, wenn dabei nachgewiesen werden kann, dass starke Verschlüsselung die Strafverfolger behindert hat".

Brennan und seine ungenannten Kollegen nutzen also nun wie von Litt vorgeschlagen die Anschläge von Paris, um ihre Vorstellungen von einer Welt ohne wirksame Verschlüsselung erneut in Szene zu setzen - ohne jedoch Belege dafür vorlegen zu können, dass die Anschläge von Paris mit noch besseren Überwachungsmöglichkeiten womöglich hätten verhindert werden können. Und deutsche Polizisten fordern eine Maßnahme, die in Frankreich seit Jahren umgesetzt ist, die Anschläge aber augenscheinlich nicht verhindern konnte.

Über ihre eigenen offenkundigen Versäumnisse dagegen ist von den Sicherheitsbehörden dies- und jenseits des Atlantiks erwartungsgemäß nichts zu hören.

 

Unklar bleibt, wie es sein kann, dass bereits als Terrorverdächtige bekannte Männer unbemerkt nach Syrien und zurück reisen konnten. Unklar bleibt, warum man offenbar die Telefone von vermutlich in die Tat verwickelten Personen abhören, die Taten aber dennoch nicht voraussehen konnte. Unklar bleibt, warum der schon 2002 verabschiedete Rahmenbeschluss des Europäischen Rates, in dem eine enge Abstimmung der nationalen Behörden bei der Terrorbekämpfung vereinbart wurde, augenscheinlich nicht befriedigend umgesetzt wurde. Sonst hätten sich französische und belgische Behörden wohl effektiver über die Täter ausgetauscht, die in ihren jeweiligen Ländern lebten.

Lieber "den Verdächtigen" überwachen

Einmal mehr zeigt sich stattdessen: Die Massenüberwachung, die sich, angeführt von der NSA, bei den Diensten als Standardparadigma durchgesetzt hat, läuft augenscheinlich ins Leere. Obwohl sie bereits Informationen über die Täter hatten - wie übrigens auch im Fall der Attentate auf "Charlie Hebdo" im Januar - gelang es den Behörden nicht, sie gezielt so zu überwachen, dass man ihre Taten hätte verhindern können.

Den Standort des Handys eines Verdächtigen zu verfolgen beispielsweise wäre sogar ohne Vorratsdatenspeicherung problemlos möglich. Der nun als Terrorhelfer gescholtene Edward Snowden selbst wirbt übrigens immer wieder für "traditionelle, effektive Überwachung" im Kampf gegen den Terrorismus. Das bedeute, keine Bevölkerung, keine Technik, keinen Dienst zu überwachen, sondern den Verdächtigen.