Öhringen: Die Problembürger

Mit interaktiver Grafik - Vor neuer Gefahr von rechts in Deutschland hat Kanzlerin Angela Merkel wiederholt gewarnt. Für Fremdenfeindlichkeit dürfe es „null Toleranz“ geben. Eine Initiative in Öhringen protestiert gegen die deutsche Asylpolitik. Wie ist die Lage im Südwesten?


Öhringen - Die Polizisten stehen in Reih und Glied. Helm und Schlagstock baumeln an ihren Gürteln. Wer auf den Platz vor der Alten Turnhalle will, muss grün-weiße Absperrgitter passieren. Hinter denen bauen junge Männer eine Bühne und Lautsprecher auf. Einen Autoanhänger verzieren sie mit einem Transparent. „Wenn Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht“. ist darauf zu lesen. Ein Plakat auf einer Holztafel wird konkreter. „Das Merkel-Regime zerstört Gesetz, Volk und Staat“, heißt es dort. Es ist die dritte Kundgebung der „Initiative gegen die deutsche Asylpolitik“ in Öhringen, einer 23  000-Einwohner-Stadt, etwa 25 Kilometer östlich von Heilbronn gelegen. Bis zu 350 Demonstranten strömen nach und nach auf den Platz – mehr als dreimal so viele wie bei der ersten Aktion drei Wochen zuvor. Immer wieder skandieren sie Parolen, die an die Pegida-Märsche in Dresden erinnern: „Wir sind das Volk!“, „Merkel muss weg!“ und: „Lügenpresse“.

„Das sind ganz normale Bürger“

„Das sind ganz normale Bürger“, versichert Forstwirt Michael Koppenhöfer, der zu den Organisatoren gehört. Er protestiert „gegen die Politik, die mit uns gemacht wird“. Auch Brit Berger zählt zum Vorbereitungsteam. Sie hat Angst um ihre beiden Kinder: „Die Flüchtlingsunterkünfte kommen immer näher an die Schulen ran.“ Von Übergriffen oder Vorfällen wisse sie aber nichts, erklärt Berger auf Nachfrage. Mit Fremdenfeindlichkeit habe das nichts zu tun, meinen Koppenhöfer und Berger. Es gehe um „humane Lösungen im Sinne der Hilfesuchenden und für das eigene Volk“. Auch bei Facebook distanziert sich die Initiative von radikalen Gruppierungen, verbreitet aber dort Videos des rechtsextremen Liedermachers Frank Rennicke und des rechten Rappers Makss Damage. Mitte Oktober teilten sie einen Film über den „Holocaust am deutschen Volk“ und die „verbotene Wahrheit über den Zweiten Weltkrieg“. Mittlerweile ist der Link verschwunden.

Weiterhin empfohlen werden auf der Facebook-Seite die Reden des NPD-Politikers Udo Pastörs. Dessen Partei ist bei den Demonstrationen in Öhringen von Anfang an dabei.

Mal ist es der NPD-Landtagskandidat Frank Emting aus Eppingen, der in schwarzer Lederjacke in der Menge posiert. Dann der stellvertretende Landesvorsitzende Matthias Brodbeck aus Heilbronn, der die Parteijugend mitbringt. Feixend stehen kurz geschorene Männer aus dem Umfeld der Jungen Nationaldemokraten (JN) neben ihm. Die betätigen sich auch als Kundgebungs-Ordner. Einer schlingt sich die weiße Binde über seine Thor-Steinar-Jacke. Die Modemarke ist äußerst beliebt bei Neonazis. Andere tragen Pullover der Band Black Metal Skinheads. Das Shirt eines Ordners prophezeit „Sieg oder Walhalla“. Auch das schwarz-weiß-rote Emblem der rechten Truppe „Kameradschaft Main-Tauber“ prangt auf einer Jacke.

„Auch ein Neger kann ein guter Deutscher sein“

Abgrenzen von den Extremen will sich in Öhringen kaum jemand. „Ich verstehe nicht, warum es immer gegen die Rechten gehen soll“, sagt eine Demonstrantin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will. Auch Michael Koppenhöfer schmunzelt nur, wenn man ihn auf die NPDler anspricht. Eine Frau am Rande kommt aber ins Grübeln, als sie erfährt, dass auch die JN zur Demo aufrufen: „Ich dachte, das hier sei parteiunabhängig.“ Melanie M., Anmelderin der Kundgebung, will sich gegenüber der Presse überhaupt nicht äußern. Die junge Blonde sieht sich selbst als „Problembürger“. So steht es in großen Lettern auf ihrem Kapuzenpullover. Das Motiv eines Weimarer Modelabels ist vor allem bei rechten Hooligans beliebt.

Auch das Mikrofon überlässt Melanie M. gerne anderen. Hans-Jürgen Schwitkowski hat seine Rede vorbereitet und einstudiert. Der Heilbronner mit dem langen Bart reißt seinen Zeigefinger in die Luft. „Für mich kann auch ein Neger ein guter Deutscher sein“, tönt er über den Platz. Das Land vertrage aber keine weitere Zuwanderung. Zwar dürfe man „niemanden vor der Türe verrecken lassen“. Das Boot sei allerdings voll. Die Menge johlt. „Mich kotzen die Multikulti-Wahnsinnigen an“, poltert Schwitkowski weiter. Der verbreitet solche Sätze seit mehr als 20 Jahren. Im Juni 1993 verteilte er das selbst produzierte Blättchen „Die Lupe“. Darin hieß es: „Ein Recht auf Asyl ist abwegig und absurd.“ Auch von „algerischem Diebsgesindel“ und einer „multikulturellen Konsumentenherrschaft“ war die Rede. Auf Fotos von NPD-Aktionen in Heilbronn Ende der 1990er Jahre reckt Schwittkowski die Faust nach oben. Auch der Mann, der in Öhringen nach ihm die Rednerbühne erklimmt, wählt starke Worte. „Der Wind hat sich gedreht“, ruft er in breitem Schwäbisch. Die Flüchtlinge hätten von den Politikern eine Einladung bekommen, nach Deutschland zu kommen. „Denen wurde hier ein Haus versprochen, ein Auto, vielleicht eine blonde deutsche Frau.“ Nur das deutsche Volk könne das wieder „abstellen“. Dazu müssten aber noch viel mehr Menschen auf die Straße gehen.

Weitere Demos geplant

Gegenwind bekommen die Asyl-Kritiker für solche Thesen kaum. Nur etwa 50 junge Linke müssen die Bereitschaftspolizisten am Samstag in Schach halten. „Kein Platz für Rassismus“ steht auf ihren Bannern. Beim zweiten Aufmarsch am 17. Oktober hatten auch Gewerkschafter, Parteien und Kirchen auf dem Marktplatz Flagge gezeigt.

Weil sich die Initiative gegen die deutsche Asylpolitik im Aufwind sieht, sind in Öhringen weitere Demonstrationen geplant. Bis März 2016 will die Gruppe durchhalten.