„Schweigen ist dulden“

Erstveröffentlicht: 
10.11.2015

Bürgerinitiative aus Penig und Lunzenau erhält den Sächsischen Förderpreis für Demokratie


VON NATHALIE HELENE RIPPICH

 

Penig. Seit 2012 beschäftigt sich die Bürgerinitiative „Gesicht zeigen – Netzwerk für demokratisches Handeln“ in Penig und Lunzenau (Mittelsachsen) mit der Frage, wie besonders bei Schülern, aber auch den anderen Bewohnern der Region, das Demokratiebewusstsein geschärft werden kann. Gestern Abend wurde sie für ihre Arbeit mit dem Sächsischen Förderpreis für Demokratie geehrt. Die Jury begründete die Ehrung des Netzwerks mit dem unermüdlichen Einsatz gegen Fremdenfeindlichkeit und für mehr Toleranz: „Es stemmt über Jahre ein beeindruckendes inhaltliches Programm, das bisher vor allem aus privaten Aufwendungen der Mitglieder finanziert wird.“

 

Auslöser für das Engagement war ein Vorfall an der Schule der Tochter von Janine Bürger, ein Mitglied der Gruppe. Im Januar 2012 wurde dort ein alterna-tiver Jugendlicher von drei Neonazis angegriffen. Er verlor einen Zahn, erlitt einen Nasenbruch und Prellungen. Eingegriffen habe niemand. Nicht einmal die Polizei wurde gerufen, sagt Bürger. „Da fragt man sich schon, wie so was sein kann. Das geht gar nicht.“

 

Nach dem Übergriff gab es Gespräche mit Eltern und der Schule. Nach und nach gelang es, immer mehr Menschen an einen Tisch zu bekommen. Auch Ringo Gründel (Linke), der im Stadtrat von Penig sitzt. Ein Jahr lang gab es regelmäßige Diskussionsrunden, an denen auch Geschichtslehrer Jan Sobe teilgenommen hat. Er engagiert sich schon länger gegen Rechtsextremismus.

 

Das erste konkrete Projekt stand dann 2014 – eine Fortbildungsveranstaltung für Übungsleiter. Es ging darum, wie man mit Rechtsextremen in Vereinen umgehen kann und wie man sie überhaupt erkennt. „Das Klischeebild eines Nazis gibt es heute kaum noch. Die haben sich längst angepasst“, erklärt Sobe. „Außerdem bedienen sie sich mittlerweile zunehmend linker Rhetorik, sie zitieren Bertolt Brecht, Mahatma Gandhi und sogar Martin Luther King, reißen Zitate aus dem Kontext und benutzen sie für ihre Zwecke.“ Aufklärung und Sensibilisierung, vor allem aber ein Blick auf die Geschichte seien unablässig. „Denn Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit, sie ist ein hohes Gut“, erklärt der Peniger Stadtrat Gründel. „Damals haben zu viele Menschen geschwiegen, als Unrecht geschehen ist. Früher waren es die Juden und heute der Islam?“

 

Die Geschichte dürfe sich nicht wiederholen. Auch deshalb legt die Initiative ein starkes Augenmerk auf die Aufarbeitung der Vergangenheit. Ein weiteres Projekt beschäftigt sich deshalb intensiv mit dem Außenlager des Konzentrationslagers Buchenwald in Penig. Die Schüler der neunten Klasse des Freien Gymnasiums sind den Weg der Zwangsarbeiterinnen nachgegangen, haben dabei an verschiedenen Stationen Aufgaben bearbeitet und am Ende eine Trauerfeier für die Verstorbenen veranstaltet. Die Teilnahme war freiwillig, aber alle Schüler sind geblieben. Geschichte dürfe nicht nur in Büchern stattfinden, um aus ihr zu lernen, müsste sie erlebbar werden, so Lehrer Sobe. Ein großes Ziel sei eine dauerhafte Ausstellung zur Thematik, eine Gedenktafel soll auf dem ehemaligen Gelände des Lagers über die Geschehnisse informieren.

 

Die Bürgerinitiative „Gesicht zeigen – Netzwerk für demokratisches Handeln“ ist gegen jede Form der Fremdenfeindlichkeit, man setzt sich für Gewaltfreiheit und Dialog ein. Bürger: „Mit manchen Menschen kann man aber leider nicht mehr reden. Die wollen keine Informationen, die wollen hetzen.“ Deshalb wolle man vor allem junge Menschen erreichen, ihnen die Möglichkeit geben, sich eine eigene Meinung zu bilden – auch im Kontrast zu dem, was sie zuhause lernen.“ Noch sei Penig unter einer Art Glocke, Ausländer und Flüchtlinge sehe man selten. Aber man rechnet damit, dass auch in der Umgebung bald Asylunterkünfte entstehen. Dann ist das Thema Flüchtlinge auch ein konkretes Thema für die Bürgerinitiative.

 

Der Preis ist mit 5000 Euro dotiert. Das ist viel für eine kleine Initiative, die von Spenden und seltener von öffentlichen Geldern lebt. Aber vor allem wird aufmerksam gemacht auf die Arbeit und damit auch auf die Probleme – und darum geht es den Mitgliedern der Bürgerinitiative bei ihrer Arbeit vor allem. Probleme sehen, sie ansprechen, darüber sprechen. „Denn Schweigen ist dulden“, so Bürger.

 

Die anderen Preisträger
Über den undotierten Preis für Kommunen durfte sich Heidenaus Bürgermeister Jürgen Opitz (CDU) freuen. Er hatte die tagelangen gewalttätigen Ausschreitungen in der Stadt wiederholt scharf kritisiert und für mehr Solidarität mit Geflüchteten geworben. Einen Anerkennungspreis erhielten außerdem die Initiative „Banda Comunale“ aus Dresden, das Bündnis „Willkommen in Roßwein“, der „Initiativkreis Antirassismus“ aus Leipzig, sowie die Initiativen „Legida? Läuft nicht. Leipziger Studenten gegen Rassismus“ und „Schüler für Flüchtlinge“ aus Bischofswerda. Die Anerkennungspreise wurden mit1000 Euro dotiert