Der lange Marsch der Rechtsextremen

Erstveröffentlicht: 
10.11.2015

Das Vorbild Ungarn: In Warschau bekommen radikale Nationalisten immer mehr Zulauf / Morgen wollen sie den Unabhängigkeitstag dominieren


Von Ulrich Krökel

 

Warschau. Die Schläger vertrauten auf ihre Übermacht und auf die stille Zustimmung der Passanten. Drei junge Männer attackierten Ende vergangener Woche den Syrer George Mamlook mitten im Zentrum von Posen. Sie schmähten und beleidigten den 31-Jährigen, drohten ihm den Tod an und prügelten ihn schließlich krankenhausreif. „Ich schrie um Hilfe, aber niemand reagierte“, berichtete Mamlook später. 2012 war der Christ vor islamistischen Terroristen und dem Bürgerkrieg in Syrien geflohen. Nun griffen ihn ersten Ermittlungen zufolge katholische, mutmaßlich rechtsradikale Polen an.

 

Wie extrem sich die nationalistische Stimmung in Polen seit Beginn der Flüchtlingskrise aufgeheizt hat, zeigten diverse Kommentare im Internet zum Fall Mamlook. „Bravo, gute Arbeit!“, hieß es dort und: „Ich hätte ihm den Schädel weggehauen.“ Kaum zufällig brach sich der Hass vor allem auf Webseiten Bahn, die dem neofaschistischen Ruch Narodowy (Nationale Bewegung/RN) zuzuordnen sind. Der RN macht seit seiner Gründung vor drei Jahren gegen Linke, Homosexuelle und Migranten mobil. Für diesen Mittwoch, den polnischen Nationalfeiertag, plant die Bewegung einen Marsch der Unabhängigkeit unter dem Motto: „Polen den Polen!“

 

Seit 2010 marschieren an jedem 11. November rechte Gruppen in Warschau auf. Immer wieder kam es dabei zu Krawallen und gewalttätigen Übergriffen auf Gebäude und Personen, die der linksliberalen Szene zuzuordnen sind. Die rasant steigenden Teilnehmerzahlen belegen das Ausmaß der Entwicklung. Vor fünf Jahren musste die Polizei 2000 Rechtsextreme vor wütenden Gegendemonstranten schützen. 2012 kamen bereits 20 000 Marschierer, 2014 waren es 70 000. In diesem Jahr sollen es 100 000 werden. Die Gegner der Rechtsextremen sind mittlerweile aus dem Straßenbild verschwunden.

 

Bei der Parlamentswahl wählten die Polen Ende Oktober die Anführer des RN erstmals in den Sejm. Dort wollen sie die künftige Regierung der nationalkonservativen PIS unter Druck setzen – von rechts außen. Die neue politische Konstellation sorgt vor dem Aufmarsch der Nationalisten für besonderen Zündstoff. Die PiS-Partei des Rechtspopulisten Jaroslaw Kaczynski verfügt im Sejm, der sich am Donnerstag konstituiert, über eine absolute Mehrheit. Kaczynskis erklärtes Ziel ist es, unter seiner Führung „alle national gesinnten Kräfte in einem weiß-roten Lager zu einen“. Noch ist unklar, ob und wie der RN mit seiner Tradition der außerparlamentarischen Mobilmachung in dieses Konzept passt.

 

RN-Chef Robert Winnicki, der am Donnerstag erstmals als Abgeordneter im Sejm Platz nehmen wird, erteilte Kaczynskis weiß-roten Plänen vorerst eine Absage: „Wir werden nicht in die Fraktion der PIS wechseln.“ All das erinnert stark an die Konstellation in Budapest, wo seit 2010 mit großer Mehrheit der Rechtspopulist Viktor Orbán regiert und zugleich die neofaschistische, antisemitische „Bewegung für ein besseres Ungarn“ (Jobbik) kleinzuhalten versucht. Der Erfolg blieb bislang aus. Jobbik erreichte 2014 fast ein Viertel der Parlamentssitze. Jobbik-Chef Gábor Vona feierte den Triumph der polnischen Rechtsextremen als „Sieg unseres strategischen Partners“. Tatsächlich knüpfen sowohl Jobbik als auch der RN an die Tradition der faschistischen Rechten im östlichen Europa der Zwischenkriegszeit an. RN-Chef Winnicki erklärte einmal, die Republik Polen sei damals „auch an einer Überrepräsentation des Judentums in den Lehranstalten des Landes zugrunde gegangen“.

 

Heute gibt sich der angehende Abgeordnete staatstragend. Für die Hasskommentare nach dem Überfall auf den Syrer George Mamlook in Posen entschuldigte sich Winnicki öffentlich. Das Motto des Unabhängigkeitsmarsches am Mittwoch („Polen den Polen“) sei ein Hinweis auf die „Schwemme illegaler Einwanderer in Europa“, erklären die Organisatoren.

 

Mit der Wirklichkeit hat das allerdings wenig zu tun. Die Ausländerquote ist mit 0,3 Prozent die geringste in der gesamten EU. Derzeit halten sich kaum mehr als 2000 Flüchtlinge in Polen auf. Viel mehr werden es wohl nicht werden.