„Zäune sind nicht per se schlecht“

Erstveröffentlicht: 
07.11.2015

Innenminister de Maizière fordert als Teil der Flüchtlingspolitik eine bessere Sicherung der Außengrenzen


Interview: Ulrike Demmer

 

Transitzonen, Willkommenszentren, jetzt Aufnahmeeinrichtungen – war der Streit der vergangen Wochen wirklich nötig, Herr de Maizière?

 

Streit und Debatten sind in einer Demokratie wichtig. Ich kritisiere, dass sich zu oft kaum einer für die Sache zu interessieren scheint. Es geht zu viel darum, wer gewonnen und wer verloren hat. Das ist gerade beim Thema Flüchtlinge besonders problematisch. Weil die Bevölkerung eine handlungsfähige Regierung sehen will. Aus den vergangenen Tagen haben ja hoffentlich alle was gelernt.


In der Sache ist bei dem Kompromiss nicht viel herumgekommen. Die Regelungen betreffen nur einen geringfügigen Teil der Flüchtlinge.


Das sehe ich anders. Der Kompromiss ist gut. Durch eine neue Art der Registrierung aller Flüchtlinge werden wir die Steuerungsfähigkeit zurückgewinnen. Nur wer registriert ist, bekommt einen Ausweis. Und nur wer diesen Ausweis hat, bekommt Leistungen und ein Asylverfahren. Wer in Deutschland Schutz möchte, muss sich an die deutschen Regeln halten. Wer sich nicht registrieren lässt oder entgegen der Zuweisung dorthin geht, wo er will, ist illegal und wird ausgewiesen.


Wie groß ist die Gefahr, dass mit den Flüchtlingen auch Terroristen nach Deutschland kommen? Die EU-Kommission wirft Ihnen da Panikmache vor.


Bei mir hat sich die EU-Kommission nicht beschwert. Wir haben zwar Hinweise, dass sich Terroristen oder IS-Sympathisanten unter die Flüchtlinge mischen. Es geht momentan um rund 100 Personen. Die gute Nachricht: Bisher hat sich aber in keinem einzigen Fall der Verdacht bestätigt.


Sie wollen die EU-Außengrenzen künftig besser schützen. In Ungarn gibt es schon einen Zaun. In Bulgarien schießen die Grenzsoldaten auf Flüchtlinge. Lassen wir Europa demnächst von Mauerschützen bewachen?

 

Nein! Aber Zäune sind weder eine wirkliche Lösung noch sind sie per se schlecht. Es gibt sie zum Beispiel an der Grenze zwischen Bulgarien und der Türkei oder an der Grenze zwischen Spanien und Marokko. Das größte Problem bei der Sicherung der Außengrenzen sind aber die Küsten. Deshalb finde ich es richtig, dass wir nun die EU-Grenzschutzagentur Frontex verstärken. Aber ich gehe noch einen Schritt weiter. Wir brauchen eine europäische Küstenwacht. Wir sollten auf See die nationale Zuständigkeit für den Schutz der Außengrenzen mindestens ergänzen, vielleicht sogar ersetzen durch eine europäische Küstenwacht. Das würde dann übrigens auch für die Ostsee gelten. Es gibt gerade viel Kritik an Europa. Deswegen sehen manche die Lösung eher in nationalstaatlichen Lösungen. Ich bin genau vom Gegenteil überzeugt. Die Verhandlungen mit der Türkei werden nur erfolgreich sein, wenn Europa geschlossen auftritt. Für die Verteilung der Flüchtlinge brauchen wir Europa und natürlich brauchen wir einheitliche Asylstandards. Damit die Flüchtlinge nicht dahin gehen, wo die Standards am höchsten sind.


Die EU rechnet bis Ende 2017 mit drei Millionen Flüchtlingen. Werden wir die alle in Deutschland aufnehmen?


Nein! Europa müsste ein großzügiges Kontingent benennen. Das hätte selbstverständlich eine Obergrenze und wäre gleichzeitig ein Angebot für Flüchtlinge, die dann legal nach Europa kommen und dort verteilt werden. Wenn das Kontingent überschritten ist, würden wir keinen mehr aufnehmen, sondern Flüchtlinge in Seenot retten und Ankommende in ein sicheres Gebiet außerhalb Europas bringen.


Jeden Tag kommen mehr Flüchtlinge aus Afghanistan. Haben wir unsere Soldaten dort zu früh abgezogen?


Ich habe damals als Verteidigungsminister hart darum gerungen, den Afghanistaneinsatz nicht zu früh zu beenden. Schnell rein, schnell raus, das funktioniert bei solchen Auslandseinsätzen nicht. Man kann vielleicht noch einen Diktator mit Luftschlägen besiegen, wie in Libyen. Damit ist das Land danach aber noch lange nicht stabil.


Sie wollen afghanische Flüchtlinge trotzdem wieder zurückschicken.


Ich will erreichen, dass sich die Afghanen gar nicht erst nach Deutschland aufmachen. Ich mag dieses Land und seine Menschen sehr. In Afghanistan haben deutsche Soldaten ihr Leben verloren. Wir haben sehr viel Geld für Entwicklungshilfe ausgegeben. Wir haben erreicht dass die Mehrzahl der jungen Menschen lesen und schreiben kann. Natürlich ist das Land nicht völlig befriedet, aber es kann doch nicht sein, dass ausgerechnet die jungen und gut ausgebildeten Menschen das Land verlassen, das wir sicherer machen. Gerade diese Generation muss jetzt das Land aufbauen, sonst wird es nie gut in Afghanistan. Und die Sicherheitslage ist im Land sehr unterschiedlich. Auf Rückführungen zu verzichten, wäre daher falsch.


Die Zahl der Anschläge auf Flüchtlingseinrichtungen steigt. Rückt Deutschland nach rechts?


Diese Entwicklung macht mir große Sorgen und ist eine Schande für Deutschland. Vor allen Dingen haben wir festgestellt, dass wir es häufig mit neuen Tätern zu tun haben. Nur ein Drittel ist einschlägig in Erscheinung getreten. Den Boden für diese Gewalt bereiten all die Menschen, die mit ihren Hass-Mails die Stimmung vergiften. Dem müssen wir mit der vollen Härte des Rechtsstaates entgegentreten.


Mit den Mitteln des Rechtststaats werden sich Hass-Mails kaum verhindern lassen.

 

Da sind wir alle gefragt. Sorgen dürfen nicht in Hass umschlagen. An jedem Küchentisch, in jeder Sporthalle, auf der Straße müssen wir hier Grenzen setzen. Das gehört sich nicht, so wollen wir nicht miteinander umgehen!


Die Menschen an den Küchentischen und in den Sporthallen haben Angst vor Vergewaltigungen, Gewalt, Kriminalität. Ist diese Sorge berechtigt?


Wenn wir 800000 Flüchtlinge mehr im Land haben, darunter viele junge Männer, dann steigt auch die Kriminalität. Das ist so. Die wichtige Frage ist, ob sie überproportional steigt. Da erstellt nun das BKA ein Lagebild, damit wir allen Gerüchten ein Ende bereiten und soweit angezeigt Gegenmaßnahmen ergreifen können.

 

Zur Person

Thomas de Maizière gilt als einer der verlässlichsten Begleiter von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Der in Bonn geborene Innenminister (CDU) gehörte 1990 der Delegation für den deutsch-deutschen Einigungsvertrag an und leitete später unter anderem die Staatskanzleien in Schwerin und Dresden. Von 2005 bis 2009 war er Chef des Bundeskanzleramtes, in der zweiten Regierung Merkel war er Bundesinnenminister. Anschließend war er bis zu seiner Rückkehr ins Innenministerium von 2011 bis 2013 Bundesminister der Verteidigung. In der Flüchtlingskrise spricht er sich für einen härteren Kurs aus als die Kanzlerin.

 


 

Kein Familiennachzug mehr für Syrien-Flüchtlinge?

Die Bundesregierung will Bürgerkriegsflüchtlingen aus Syrien möglicherweise künftig nur noch subsidiären Schutz gewähren. Damit erhielten diese zunächst nur eine Aufenthaltsbewilligung für ein Jahr, zudem wäre es ihren nächsten Angehörigen nicht mehr gestattet nachzureisen. Subsidiären Schutz erhalten Personen, die weder Flüchtlingsstatus noch Asylstatus haben, die aber glaubhaft machen können, dass ihnen in ihren Herkunftsländern ein ernsthafter Schaden droht.

 

„Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge wird angewiesen, ab sofort Bürgerkriegsflüchtlingen aus Syrien nur subsidiären Schutz zu gewähren“, hatte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ gesagt. Innenminister Thomas de Maizière bestätigte diese Regelung zunächst. „Andere Staaten geben in solchen Lagen auch nur eine Sicherheit für einen Aufenthalt für eine begrenzte Zeit“, sagte de Maizière in der albanischen Hauptstadt Tirana.

 

Der Koalitionspartner reagierte jedoch verärgert. Das sei „nicht abgesprochen gewesen und nicht Gegenstand der Koalitionsvereinbarung“, erklärte ein Sprecher von SPD-Chef Sigmar Gabriel. Am Abend ruderte de Maizière dann zurück, zu Beginn der Woche sei eine solche Änderung vorgesehen gewesen. „Im Lichte der Entscheidung der Koalition gestern zum Familiennachzug gibt es aber Gesprächsbedarf in der Koalition. Und deswegen bleibt es jetzt so wie es ist, bis es eine neue Entscheidung gibt.“