Am heutigen Samstag fanden in Weissach (Kreis Rutesheim) und Leonberg antifaschistische Infotische gegen Naziumtriebe statt. Anlass waren regelmäßige Aktivitäten und Übergriffe durch Nazis in den letzten Jahren sowie rassistische Tendenzen in den dortigen Jugendkulturen. Mit den Infotischen wurde deutlich gemacht, dass der Entwicklung einer faschistische Straßendominanz in gemeinsamer Aktion erfolgreich entgegengetreten werden kann.
Sowohl am Marktplatz in Weissach als auch am Leonberger Bahnhof nutzten interessierte BürgerInnen zudem die Gelegenheit um sich zu informieren und mit den anwesenden AntifaschistInnen zu diskutieren. Mehrere Tausend Flugblätter wurden heute und im Vorfeld verteilt. Ein Sprecher des Antifaschistischen Aktionsbündnis Stuttgart & Region wertete die Aktionen als „erste(n) Erfolg antifaschistischer Aufklärungsarbeit in der Region“. Des weiteren berichtete er, dass es im Anschluss an die Infotische zu einem Übergriff gekommen sei: „Mehrere Nazis schüchterten in einem abgelegenen Parkhaus antifaschistische Jugendliche ein und zwangen diese Buttens etc. abzulegen. Dies zeigt letztlich, dass es mehr den je notwendig ist in der Region gemeinsam und entschlossen gegen Naziumtriebe vorzugehen. Die Infotische müssen als erster Versuche verstanden werden Aktiv zu werden. Dass der Landkreis Böblingen sich zwischenzeitlich zur Problemregion entwickelt hat ist direkte folge eines nicht vielseitig genug geführten Widerstandes. Es liegt nun an uns, gemeinsam mit allen AntifaschistInnen, den Nazis konsequent jeden Raum zu nehmen.“
Text der Ankündigung:
Naziumtrieben entgegentreten!
Es ist offensichtlich, dass faschistische Kräfte und Strukturen im gesamten Bundesgebiet schon seit längerem am Erstarken sind. Kaum eine Woche vergeht ohne Naziaufmarsch, rechte Übergriffe, oder neue Erkenntnisse über sonstige Naziaktivitäten in der BRD.
Insbesondere die faschistische NPD tritt dabei als aufstrebende Struktur hervor. Sie schafft als Partei immer mehr Möglichkeiten, die menschenverachtende Propaganda der rechten Hetzer zu verbreiten. Innerhald der rechten Bewegung übernimmt Sie eine Führungsrolle.
Direkt und indirekt mitgetragen werden diese Entwicklungen von rechten Schlägern, die sich im Umfeld der organisierten Nazis bewegen. Sie setzen die Hetze ganz praktisch auf der Straße um, indem sie diejenigen terrorisieren, die nicht in ihr nationalistisches, rassistisches und antisemitisches Weltbild passen.
So auch in der Region um Leonberg. Hier sammeln sich schon seit Jahren rechte Schläger und wüten in regelmäßigen Abständen um sich. Opfer ihrer Übergriffe sind dabei linke, alternative Jugendliche und MigrantInnen. Auf dem Rutesheimer Fleckenfest 2007 bespielsweise attackierten mehrere Nazis Jugendliche brutal mit Schlägen, Tritten und Schlaggegenständen, weil diese mit „Nazis Raus!“-Rufen gegen die Anwesenheit der Faschisten protestierten. Ein Jahr später, im Mai 2008 griffen 6 Nazis auf dem Partnerstadtfest in Weissach eine Migrantin und ihren Freund an und schlugen beide krankenhausreif. Dies sind nur zwei besonders herausragende Fälle der letzten Jahre.
Wir werden nicht abwarten, bis die Faschisten sich hier einen Raum geschaffen haben, der für Andere zur Angstzone wird!
Es gilt den rechten Schlägern die Straße streitig zu machen. Aufklärung, Zivilcourage und eine intensive Debatte zu den Wurzeln der rechten Weltanschauung müssen sich dabei gegenseitig ergänzen.
Als einen ersten Schritt, um dies praktisch werden zu lassen, organisieren wir am Samstag, den 16. Januar antifaschistische Infotische in der Region.
Text des verteilten Flugblattes:
KEINE AKZEPTANZ DEN FASCHISTISCHEN UMTRIEBEN!
GEMEINSAM GEGEN NAZISCHLÄGER UND RASSISTISCHE HETZE!
Mit diesem Flugblatt wollen wir in Kürze darlegen, wie die Naziaktivitäten in der Region um Leonberg einzuschätzen sind, welche Ideologie hinter diesen Umtrieben steht, welche Gesellschaft sie anstreben und wie wir uns am besten gemeinsam dagegen wehren können.
Zudem möchten wir mit einer kleinen Chronik rechter Aktivitäten in dieser Region einen klaren Einblick in die Entwicklungen und Ereignisse vor Ort geben.
Wie an der Chronik ersichtlich ist, sammelt sich in Leonberg und Umkreis schon seit mehreren Jahren faschistisches Gewaltpotenzial. Die Rechten sind dabei in erster Linie dem Schlag der Straßenschläger zuzuordnen. Sie treffen sich in kleineren Kneipen der Region und sind als umherstreifende Gruppen in erster Linie auf öffentlichen Festen anzutreffen, wo sie ihrer menschenverachtenden Ideologie in unregelmäßigen Abständen, zumeist unter Alkhohleinfluss freien Lauf lassen.
Auch wenn diese unorganisierten faschistischen Gewaltakte von Seiten der Presse und der Polizei gerne kleingeredet, als harmlose Streitereien zwischen jugendlichen Feiernden abgestempelt und als allein durch Alkoholeinfluss erklärbare Ausrutscher dargestellt werden, so stellen sie für die Rechtsentwicklung des politischen Klimas und die Etablierung von faschistischer Politik in der Region enorm wichtige Faktoren dar.
Jugendliche, die sich gegen faschistisches Gedankengut engagieren, werden durch die unberechenbaren Angrifffe eingeschüchtert, während es die organisierten Nazis in Gegenden mit rechter Straßendominanz wesentlich einfacher haben, sich als vermeintlich starke Alternative darzustellen.
Die faschistische NPD, ein anwachsendes Sammelbecken für Nazis und Rassisten verschiedener Strömungen, tritt dabei als besonders profitierende Naziorganisation hervor. Gerade die Wechselwirkung zwischen rechter Gewalt als Mittel der Einschüchterung auf der einen Seite und dem offensiven Propagieren von rassistischer, antisemitischer und nationalistischer Positionen auf der anderen Seite, lässt sie zur stärksten Kraft im Spektrum der faschistischen Organisationen und in einigen Gegenden Deutschlands sogar zu einem dominanten Faktor auf der Straße und in den Parlamenten werden.
Kein Wunder also, dass die regionale NPD langsam aber sicher versucht, das rechte Potenzial in Leonberg und Region aufzugreifen und dort Fuß zu fassen. Im Zuge ihrer massiven Wahlkämpfe zu den Kommunal-, Bundestags- und Europaparlamentswahlen im Juni und September 2009 verhängte sie gerade in Gegenden wie dieser einen Großteil ihrer Wahlplakate und warb für sich mit zahlreichem Infomaterial.
Noch ist die NPD kaum verankert in der Region. Gerade deshalb gilt es nun die rechten Entwicklungen zu stoppen, bevor sie an Eigendynamik gewinnen und sich schließlich in kontinuierlich organisierter faschistischer Politik niederschlagen.
Die Nazis...
Die Weltanschauung der Nazis setzt sich aus verschiedenen Elementen zusammen, die sich gegenseitig erklären, bedingen und verstärken. Daraus ergibt sich ein in sich geschlossenes Weltbild, das mit aller Konsequenz verfochten wird.
Rassistische Denke, die die Menschen in verschiedenwertige Rassen unterteilt, geht dabei einher mit antisemitischen Weltverschwörungstheorien. Die Faschisten beziehen sich mit ihren Vorstellungen einer „einheitlichen Volksgemeinschaft“ auf eine rassistisch definierte Nation, die sich in ihrem angeblichen Überlebenskampf nun von der jüdischen Übermacht und allen sonstigen Faktoren, die sie von einer Vormachtstellung in der Welt abhalten, befreien müsse.
So versuchen sie alle gesellschaftlichen Konflikte und Probleme, ob in der Politik, der Kultur, oder eben in der Wirtschaft, durch Rassen- und Verschwörungstheorien zu erklären - und lenken damit von dem eigentlichem Problem ab: einem Gesellschaftssystem, das auf Profit und Verwertung, auf Ausbeutung und Klassengegensätzen beruht.
Ganz egal wie sozial die Nazis sich auch geben, mit welchen scheinbar fortschrittlichen Forderungen sie sich schmücken und an welche Bewegungen sie gerade versuchen anzuknüpfen: Faschismus bedeutet Terror gegen Minderheiten und Oppositionelle, verschärfte Ausbeutunge und imperialistischen Krieg. Die herrschenden Verhältnisse werden hier nicht überwunden, sondern verschärft und mit bestialischer Brutalität gegen fortschrittliche Veränderungen verteidigt.
Was tun?!
Es scheint schwierig zu sein, sich effektiv gegen Nazis zu engagieren: Überzeugungsarbeit läuft bei ideologisch gefestigten Faschisten immer ins Leere und hat im schlechtesten Fall auch noch die Nebenwirkung, ihnen ein öffentliches Forum zur Verteidigung und Propagierung ihrer menschenverachtenden Ideologie zu geben.
Unser Ansatzpunkt sollte es daher vielmehr sein, antifaschistisches Bewusstsein in breiten Kreisen der Bevölkerung zu verankern und dabei insbesondere Jugendlichen aufzuzeigen, dass der eigentliche Charakter des Faschismus rückschrittlich ist und ihnen keine gesellschaftliche Perspektive bieten kann. Den rassistischen Spaltungsversuchen der Nazis halten wir dabei die internationale Solidarität und das Bewusstsein darüber entgegen, dass die eigentlichen Grenzen dieser Gesellschaft nicht zwischen unterschiedlicher Hautfarbe, Herkunft, oder Nationalität, sondern zwischen den ungleichen Besitzverhältnissen verlaufen
Gleichzeitig ist es notwendig, den Faschisten offensiv entgegenzutreten. Egal wie und wo sie auftreten und sich öffentlich präsentieren: Es gilt die Präsenz von Faschisten nicht zu Normalität werden zu lassen, ihnen Niederlagen zu bereiten und ihre Außenwirkung durch antifaschistische Aktivitäten zu überschatten.
Der alte Spruch „Allein machen sie dich ein“ bestätigt sich dabei immer wieder aufs Neue. Nur wenn wir uns zusammentun, gemeinsam diskutieren, organisieren und handeln, können wir den Faschisten wirklich etwas entgegensetzen.
Egal ob SchülerInnengruppen, oder breite lokale Bündnisse gegen Rechts, ob Kulturgruppen, die Konzerte und ähnliches organisieren, oder Antifagruppen, deren politischer Anspruch die kontinuierliche Arbeit gegen Nazistrukturen ist: Wichtig ist das gemeinsame Organisieren, denn nur so können wir den faschistischen Tendenzen entgegenwirken!
Antifaschistisches Aktionsbündnis Stuttgart & Region im Januar 2010