NPD-Verbot: Staatliche Abschiedsgeschenke für NPD-Funktionäre

Erstveröffentlicht: 
20.10.2015
Für das NPD-Verbotsverfahren musste der Verfassungsschutz Spitzel abschalten. Vertrauliche Akten belegen: Es gab Geldgeschenke und nette Abschiedsworte für die V-Leute.

 

Der Rechtsextremist machte keine Probleme. Anstandslos unterschrieb er, was ein baden-württembergischer Verfassungsschützer ihm vorlegte: "Mein Verhältnis zu der Dienststelle endet in beiderseitigem Einvernehmen mit dem heutigen Tage." Damit war sein Rauswurf als V-Mann des Inlandsgeheimdienstes besiegelt. Ein wichtiger Schritt für das NPD-Verbotsverfahren, schließlich würden Zuträger wie der V-Mann aus der NPD-Führung in Baden-Württemberg den Prozess vor dem Bundesverfassungsgericht gefährden. Doch das geheime Abschiedstreffen der Topquelle mit ihrem staatlichen Kontaktmann verlief weniger nüchtern, als man es von einer dienstlichen Besprechung zwischen einem Landesbeamten und einem Rechtsextremisten erwarten würde.

Als "kleines Trostpflaster" für die "doch recht abrupte" Trennung habe man dem NPD-Politiker einen "Geldbetrag" überreicht, protokollierte der Stuttgarter Verfassungsschützer in einer vertraulichen Erklärung, die ZEIT ONLINE vorliegt. Das Mitleid des Verfassungsschützers mit dem abservierten Rechtsextremen spürt man in vielen Zeilen dieses geheimen Behördenvermerks. So notierte der Beamte auch: Früher habe der V-Mann sich "sehr überschwänglich für Zuwendungen außer der Reihe bedankt und stets hocherfreut gezeigt". Bei diesem Abschiedstreffen im Dezember 2011 aber habe man ihm angemerkt, "dass das Geld nur ein sehr kleiner Trost war".

Das bemerkenswerte Abschaltprotokoll gehört zu einem geheimen Beweispaket, das die Innenminister der Bundesländer im Mai 2015 für das NPD-Verbotsverfahren nachgeliefert haben. Denn die Karlsruher Richter hatten konkrete Belege dafür verlangt, dass die Sicherheitsbehörden wirklich alle V-Leute in den NPD-Führungsgremien abgeschaltet haben – eine Konsequenz aus der Blamage in dem ersten NPD-Verbotsverfahren vor zwölf Jahren. Damals hatte das Gericht das Verfahren eingestellt, weil der Staat über V-Leute selbst erheblich in jener Partei mitmischte, die er verbieten lassen wollte. So überlebte die NPD das erste Verbotsverfahren absurderweise auch dank des Verfassungsschutzes. Genau das soll sich nicht wiederholen.

In ihrer Hunderte Seiten starken Nachlieferung dokumentieren die Behörden deshalb ihren Abschied von bundesweit elf V-Leuten, die dem Bundesamt für Verfassungsschutz und sechs Landesverfassungsschutzämtern zuletzt noch Insiderinformationen aus NPD-Führungsgremien geliefert haben. Zwar sind die Namen aller V-Leute und viele Textpassagen in den Akten geschwärzt. Trotzdem bieten die Unterlagen einen raren Einblick in die Welt dieser Spitzel. Sie lassen erahnen, wie befremdlich eng das Verhältnis zwischen einigen Verfassungsschützern und ihren Neonazi-Quellen gewesen sein muss.

In zwei Vermerken notiert der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz, die letzten Treffen mit seinen beiden Topquellen aus der NPD-Führung seien "in einer harmonischen Atmosphäre" verlaufen. Das Bundesamt für Verfassungsschutz, das zuletzt angeblich noch drei wichtige Quellen in der Partei hatte, hält in den Protokollen über deren Abschaltung fest: Einem V-Mann sei der Abschied "sichtlich schwer" gefallen. Er habe "die strikte und abrupte Art plötzlich allein gelassen zu werden" kritisiert. Die Zusammenarbeit sei "mit dem gegenseitigen Aussprechen guter Wünsche" einvernehmlich beendet worden.


Das Amt wünscht Neonazis "alles Gute"

Zwei anderen NPD-Führungspersonen wünschte der Kontaktmann des Bundesamtes für Verfassungsschutz laut Protokoll zum Abschied sogar "für ihre persönliche Zukunft alles Gute". Eine Standardfloskel aus dem Arbeitgeberjargon. Aber sind solche warmen Abschiedsworte der passende Umgang mit dubiosen Kadern einer Partei, die als so brandgefährlich gilt, dass das Verfassungsgericht sie verbieten soll?

 

Das NPD-Verbotsverfahren

 
Im Dezember 2013 hat der Bundesrat beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eine Klageschrift eingereicht, um die NPD als verfassungswidrige Partei verbieten zu lassen. Bundesregierung und Bundestag hatten sich dem Verbotsantrag nicht angeschlossen. Nun läuft seit knapp zwei Jahren ein Vorverfahren.

Im März 2015 forderte das Verfassungsgericht vom Bundesrat weitere Belege zur "Abschaltung" der V-Leute in der NPD-Führungsebene – denn an diesem Punkt war das erste Verbotsverfahren 2003 gescheitert.

 

V-Leute

 

V-Leute liefern an Verfassungsschutz oder Polizei Informationen aus den extremistischen Organisationen und Gruppen, denen sie angehören. Die Behörden werben solche Informanten an und bezahlen sie für die Zusammenarbeit. Um unter Ihresgleichen nicht aufzufallen, müssen sich V-Leute szenekonform verhalten – also auch strategisch mitarbeiten oder sich im Extremfall auch an Straftaten beteiligen. V-Leute sind, im Unterschied zu verdeckten Ermittlern oder Agenten, keine Mitarbeiter der Behörden.

 

Das V-Leute-Problem

 

Im Mai 2015 haben die Innenminister aller 16 Bundesländer und der Bund ein umfangreiches Beweispaket beim Verfassungsgericht in Karlsruhe abgeliefert. Darin dokumentieren sie unter anderem, ob und wie viele V-Leute in der NPD-Führungsebene abgeschaltet wurden. Den Unterlagen nach gab es zuletzt noch elf von den Verfassungsschutzämtern bezahlte Spitzel in Führungsgremien der NPD oder ihren Unterorganisationen.

Das Beweispaket für das Verbotsverfahren ist nicht öffentlich. Es liegt ZEIT ONLINE vor. Alle Namen der V-Leute sowie viele Details rund um ihre Abschaltung sind darin geschwärzt. Der Verfassungsschutz begründet dies mit dem Quellenschutz. Er will unbedingt verhindern, dass die V-Leute enttarnt werden und dass seine Arbeitsmethoden bekannt werden. Ob sich das Bundesverfassungsgericht mit den geschwärzten Unterlagen zufriedengeben wird, ist ungewiss.

 

Selbst der Präsident des Verfassungsschutzes, Hans-Georg Maaßen, charakterisierte V-Leute wenig schmeichelhaft als "Verräter" und "Schmutzfüße". Tatsächlich standen einige Zuträger des Verfassungsschutzes tief im Dreck. Das wurde spätestens während der Ermittlungen zum rechtsterroristischen NSU klar. Carsten S., Deckname Piatto, saß beispielsweise wegen versuchten Mordes an einem Nigerianer in Haft, als ihn der brandenburgische Verfassungsschutz als V-Mann anwarb. Tino Brandt, Führungsfigur aus dem Thüringer Heimatschutz und langjähriger V-Mann, wurde inzwischen wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer Haftstrafe verurteilt.

Den vertraulichen Unterlagen zufolge durften wenigstens neun der elf zentralen Quellen zum Dank eine "Abschaltprämie" einstecken. So nennen die Verfassungsschutzämter die Abfindungen für ihre V-Leute. Diese großzügige Praxis wurde offensichtlich nicht erst für das NPD-Verbotsverfahren erfunden. Auch der im Verlauf der  NSU-Ermittlungen enttarnte, langjährige Zuträger Thomas R., Deckname Corelli, soll für seine 18-jährigen Dienste als V-Mann vom Bundesverfassungsschutz eine Abschaltprämie in Höhe von 18.000 Euro kassiert haben. Laut einem Leitfaden des Verfassungsschutzes, aus dem in den Unterlagen zitiert wird, galt für Abschaltprämien die Formel "pro Jahr der Zusammenarbeit eine Monatszahlung". Sie scheint auch bei einigen V-Leuten angewandt worden zu sein, die für das NPD-Verfahren abgeschaltet wurden. Wie viel Geld wirklich an diese Rechtsextremisten aus der NPD-Führung floss, geht aus den Akten nicht hervor. Die Ämter haben die Geldbeträge geschwärzt.


"Psychische Ausnahmesituation" nach Minister-Interview

Den Verfassungsschützern war allerdings nicht nur das finanzielle, sondern auch das seelische Wohl ihrer rechtsextremen Zuträger wichtig. Das zeigen interne Diskussionen im baden-württembergischen Landesamt. Ein Beamter bescheinigt dem als V-Mann abgeschalteten rechtsextremen Parteifunktionär, sich "stets zuverlässig, loyal und ausgesprochen engagiert gezeigt" zu haben. Er bedauert, das Amt verliere einen wichtigen Zugang in die rechte Szene. So verspricht der Beamte seinem Informanten zum Abschied sogar, man werde ihn "nicht im Regen stehen lassen", falls er durch das Verbotsverfahren eines Tages Probleme bekommen sollte.

 

Noch weiter ging die staatliche Fürsorge in Niedersachsen. Dort verkündete der Verfassungsschutz einem langjährigen rechtsextremen V-Mann, er müsse "entgegen des eigenen Interesses Mitglied in der NPD bleiben und dort auch aktiv mitarbeiten". Laut Akten voraussichtlich noch etwa fünf Jahre lang, also bis 2017. Die Zwangsmitgliedschaft sollte dem Abschaltvermerk zufolge verhindern, dass die Quelle "als Spitzel erkannt" und einer "enormen Gefährdung ausgesetzt" werde. Einige der V-Leute wurden darüber hinaus mit "Notfallnummern" versorgt – als "Reißleine" etwa für den Fall ihrer Enttarnung, wie es in einem Vermerk des Hamburger Verfassungsschutzes heißt.

 

Dass V-Leute enttarnt werden könnten, scheint einigen Beamten sogar mehr Sorgen gemacht zu haben als den Rechtsextremen – zumindest in Baden-Württemberg. Als Landesinnenminister Reinhold Gall der Heilbronner Stimme im März 2012 in einem Interview verkündete, dass in Baden-Württemberg schon alle V-Leute in der NPD-Führung abgeschaltet worden seien, brach Hektik im Stuttgarter Landesamt aus. Gall hatte zwar nicht einmal gesagt, wie viele V-Leute betroffen waren. Doch das Interview wurde sofort Chefsache beim Verfassungsschutz. Der abgeschaltete V-Mann müsse sich wegen des Interviews "offenkundig in einer psychischen Ausnahmesituation befinden", warnte der zuständige Abteilungsleiter die Behördenchefin, denn die Partei werde "nun auf die Verrätersuche gehen". Die Behördenleiterin versicherte prompt, sie teile diese "Gefühlslage", und schickte ihre Leute los, den Ex-V-Mann anzurufen, um ihn seelisch "aufzufangen". Obwohl man sich gegenseitig eine Kontaktsperre verordnet hatte.

Doch die Notfallaktion für den Rechtsextremen gestaltete sich offenbar ungeahnt kompliziert. Tagelang versuchten Beamte, den ehemaligen V-Mann zu erreichen. Die Behörde ließ schließlich sogar alle auf ihn angemeldeten Telefonanschlüsse ermitteln, jemand fuhr bei ihm zu Hause vorbei. Vergeblich. Erst elf Tage später ging der frühere V-Mann schließlich ans Telefon. Er sei "ausgesprochen erfreut über den Anruf" gewesen, heißt es in dem Vermerk. Hinweise auf die befürchtete "psychische Ausnahmesituation" des Rechtsextremen fehlen allerdings in dem Protokoll ebenso wie irgendein Anzeichen für dessen drohende Enttarnung. Der V-Mann habe "gelegentlich ein flaues Gefühl" gehabt, hält das Amt fest. Und es ergänzt zufrieden: Auch dieses Telefonat mit dem früheren Zuträger sei "in der gewohnt harmonischen Atmosphäre" verlaufen.