Brandanschlag in Boizenburg

Boizenburg

In der Nacht von Sonntag auf Montag den 12.10. wurde gegen 22 Uhr in Boizenburg (Landkreis Ludwigslust-Parchim) ein Brandanschlag auf eine geplante Unterkunft für Geflüchtete verübt. Dort sollten in den nächsten Tagen 40 Menschen, die aus Syrien geflohen sind einziehen. Drei Wochen zuvor, am 21.09., marschierte Mvgida durch den kleinen Ort in Mecklenburg-Vorpommern.

 

Die Diskussionen und Reaktionen in sozialen Netzwerken über diesen Anschlag sind erschreckend. Die Hauptsorge vieler Menschen in Boizenburg scheint derzeit der finanzielle Schaden und ein Imageverlust der Stadt zu sein. Der Kommentar mit der größten Zustimmung ist momentan von Dennis Witte, er fragt ganz ungeniert: „Oder waren es eventuell die Rumänen die dort zuvor drinn wohnten und raus mussten?“ [sic!]. Auch findet folgende rassistische Aussage großen Zuspruch: „Wurde doch schon aufgezeigt das hinter den Meisten Brandanschlägen die Flüchtlinge selber stecken damit was bezweckt wird... genau das was hier geschieht. .. wacht auf ihr Willkommenheisser und gutmenschen“ [sic!].

 

So wundert es nicht, dass sich NPD-Politiker hier wohlfühlen und Andreas Theißen (NPD) versucht im Zuge der Diskussion in verschwörungstheoretischer Manier Antifaschist_innen ein Motiv zu unterstellen: „Komisch, gerade hatte die linksradikale Antifa sich noch beschwert, daß es in Boizenburg keinen "zivilgesellschaftlichen" Widerstand geben würde. Wem nützt also ein solcher Brand? Wenn es Brandstiftung sein sollte, stecken mit vermutlich wieder einmal Leute dahinter die das Volk zum Pack degradieren wollen. Ekelhaft“ [sic!]. 

 

Boizenburg steht nicht das erste mal aufgrund rechter Anschläge in der Öffentlichkeit. Bereits im September 1992 gab es in Boizenburg einen Brandanschlag auf eine bewohnte Unterkunft [1].

Von der kleinen Ortschaft wird oft auch als „braune Hochburg“ gesprochen. Seit Jahren kommt es immer wieder zu rassistisch motivierten Angriffen oder Überfällen auf Antifaschist_innen. Die Liste der rechten Aktivitäten in Boizenburg ist lang. Von zerstochenen Reifen, eingeschlagenen Fenstern, einer abgebrannten Gartenlaube und einem brennenden Motorrad bis hin zu zahlreichen Angriffen auf linke Jugendliche und Menschen anderer Herkunft [2].

 

Wie die meisten Brandanschläge, die derzeit in Deutschland verübt werden, hat auch der in Boizenburg eine Vorgeschichte und ist im Kontext der rassistischen Demonstrationen diesen Jahres zu betrachten.

 

Mvgida, NPD und „Deutschland wehrt sich“

 

Seit Anfang des Jahres marschiert Mvgida fast jeden Montag durch Mecklenburg-Vorpommern. Anfänglich im Wechsel zwischen Stralsund und Schwerin konnten zu Hochzeiten teils bis zu jeweils 700 Menschen mobilisiert werden. Von Beginn an waren diese Aufmärsche maßgeblich von der NPD organisiert und das Auftreten der Teilnehmer_innen äußerst aggressiv. Pressearbeit musste teilweise eingestellt werden, weil die Polizei Attacken nicht unterbinden konnte, Gegendemonstrant_innen wurden attackiert und verletzt.

So zeigte sich zu Beginn am 12.01. in Schwerin eine Reihe der NPD Partei- „Prominenz“ wie Thomas Wulff, Torben Klebe, Michael Grewe, Stefan Köster, sowie Udo und Marianne Pastörs. Die Aufmärsche wurden von Kameradschaftsszene, rechten Hooligans und NPD-Anhängern dominiert. Anfangs schlossen sich auch „besorgte Bürger_innen“ bei Mvgida an [3].

Zwecks Organisation und letzter Absprachen trifft sich die NPD Montags vor den Aufmärschen an nahe gelegenen Orten, wie beispielsweise einer Tankstelle im Umkreis des Aufmarschortes. Vor einer Demonstration in Schwerin trafen sich unter anderem Andreas Theißen, Torgai Klingebiel, Silvio Will, Arne Voss, Martin Götze, Dirk Sokol und Stefan Köster mitsamt Lautsprecherwagen, Transparenten und einer handvoll Ordner. 

Nach kurzer Zeit brachen die Zahlen der Teilnehmenden allerdings massiv ein. Einige Anhänger_innen beschwerten sich über die Federführung der NPD, sodass sich die Mvgida Märsche schnell zu reinen neonazistischen Demonstrationen verwandelten.

Um Anfangs den Schein zu wahren meldete Enrico Naumann, lediglich NPD-Sympathisant, jedoch kein Parteimitglied, die Veranstaltungen an. Als dieser dann im März absprang, übernahmen die Anmeldungen gänzlich NPD-Mitglieder. Beispielsweise stellte Antje Mentzel, Landesvorsitzende der „Ring Nationaler Frauen“, die Anmelderin in Stralsund. 

Nach einer Pause von Ende April bis September zeigt sich Mvgida mit einem neuem Konzept erneut auf der Straße. Kleine Städte in Mecklenburg-Vorpommern stehen nun im Fokus der politischen Agitation. Der erste Aufmarsch fand am 21.09. in Boizenburg (Elbe) statt. War man anfangs noch um Anschlussfähigkeit bemüht und markierte Mvgida nicht as NPD Veranstaltung, ist man mittlerweile dazu übergegangen alte NPD-Plakate (mit abgeschnittenem Partei-Logo) zu nutzen, sowie Udo Pastörs und Andreas Theißen am Mikrofon hetzen zu lassen.

 

Seit September diesen Jahres marschiert derweil eine weitere rassistische Gruppe in Mecklenburg-Vorpommern. Die NPD-Sympathisanten Torsten Schramke und David Bühring haben die Gruppierung „Deutschland wehrt sich“ (DWS) ins Leben gerufen. Schramke meldete in der Vergangenheit bereits Mvgida Aufmärsche an. Bemerkenswerte Unterschiede zwischen „DWS“ und den Mvgida Demonstrationen lassen sich nicht feststellen. Die Teilnehmer_innen der „DWS“ Demonstrationen treten häufig noch gewaltbereiter auf, ein großer Teil ist oft stark alkoholisiert. So kam es bereits zu einem Durchbruchversuch von einer Polizeikette und mehreren Angriffen auf Journalist_innen während der Demonstrationen. Statt Montags wird Samstags marschiert und im Fokus stehen derzeit Wismar und Schwerin. Große Berührungsängste zu mehrfach vorbestraften Neonazis hat auch diese Gruppierung nicht, so hielt am 03.10. Thorsten de Vries eine Rede in Schwerin [4].

 

Wie eng vernetzt die beiden rassistischen Gruppierungen sind, zeigte sich auch in Boizenburg, als die Köpfe von „Deutschland wehrt sich“ auf der Mvgida Demonstration herzlichst von Udo Pastörs begrüßt wurden und sich längere Zeit mit den anwesenden NPD Funktionären unterhielten. Offensichtlich haben sich die beiden Gruppen zusammengeschlossen und verfolgen eine gemeinsame Strategie. Während Mvgida, mittlerweile offen als NPD erkennbar, ihre Anhänger_innen in den kleineren Städten mobil macht, konzentriert sich „DWS“ vor Allem darauf, die „besorgten Bürger_innen“ zu erreichen. Mantra-artig ermahnt Schramke die eigenen Leute auf Demonstration nach außen hin ein gutes Bild abzugeben. Ergänzt wird diese gemeinsame Strategie von dem früheren Mvgida Anmelder Enrico Naumann, der mittlerweile die rassistische Gruppe „MV.Patrioten“ organisiert, die zuletzt fast 700 Rechte in Stralsund auf die Straße mobilisierte.

 

Bei den zahlreichen rassistischen Demonstrationen in diesem Jahr in Mecklenburg-Vorpommern fiel der Gegenprotest äußerst rar aus. Oft konnten die Rassist_innen ihre menschenverachtende Parolen unwidersprochen auf die Straße tragen. Bei den größeren Veranstaltungen gelang auch der angestrebte Schulterschluss zwischen Neonazis und „besorgten Bürger_innen“.

Der Verfassungsschutz in Mecklenburg-Vorpommern spricht im letzten Bericht in Bezug auf Mvgida von „Bürgerprotest“ und den Versuch einer Beeinflussung durch Neonazis: „Gleichwohl hat die rechtsextremistische Szene des Landes von Anfang an versucht, die sich hierzulande bildenden PEGIDA-Ableger (ROGIDA, MEGIDA, MVGIDA) zu beeinflussen. Der Minister für Inneres und Sport des Landes hatte im Dezember 2014 öffentlich auf diese Gefahr hingewiesen und vor einer Instrumentalisierung der Bürgerproteste durch Rechtsextremisten gewarnt.“

Hier stellt sich die Frage, ob der Verfassungsschutz es nicht besser weiß oder ob hier bewusst verharmlost wird. Mvgida wird seit Beginn von NPD-Führungskadern organisiert. Die NPD beeinflusst oder instrumentalisiert hier keinen „Bürgerprotest“, sie organisieren, leiten und planen diesen ganz strategisch. Des Weiteren müssen die „besorgten Bürger_innen“ die an diesen Aufmärschen teilnehmen nicht instrumentalisiert werden, sie teilen die rassistischen Ansichten und politischen Forderungen der NPD.

 

Rassistische Angriffe und Anschläge in Mecklenburg Vorpommern

 

Derzeit kommt es in Mecklenburg-Vorpommern so gut wie jedes Wochenende zu rassistischen Angriffen auf Menschen oder Unterkünfte für Geflüchtete. Ein kurzer Überblick zu den Vorkommnissen der letzten drei Wochen.

 

Am Sonntag den 11.10. hatten in Mecklenburg-Vorpommern Unbekannte zwei mit Brandbeschleuniger gefüllte Glasflaschen gegen ein leer stehendes Gebäudes in Trassenheide auf der Insel Usedom geworfen. Das Gebäude stand im Gespräch zukünftig Geflüchtete unterzubringen [5].

Eine Woche zuvor am 07.10. warfen Unbekannte eine stinkende Flüssigkeit auf eine Unterkunft in Sellin (Rügen) [6].

In der Woche zuvor wurden mehrere Angriffe verübt. So warfen am 28.09. Unbekannte Scheiben in einer bewohnter Unterkunft in Anklam ein. Vor einer Unterkunft in Greifswald wurden rassistische Parolen gerufen. Ein Geflüchteter aus Eritrea wurde angegriffen und es wurden Hakenkreuze in Ückeritz geschmiert [7].

Die rassistische Gruppierung „Deutschland wehrt sich“ versammelte sich am 24.09. vor einer Unterkunft in Schwerin-Lankow. In der Nacht kam es zu Angriffen auf diese Unterkunft [8].

 

Quellen:

[1] 08.09.1992 Boizenburg Brandanschlag auf bewohnte Unterkunft

Hermann Langer: Flächenbrand von rechts. Verlag Jugend und Geschichte, Rostock 1993, S. 59–74 eine Auswahl von Überfällen in Mecklenburg-Vorpommern bis Ende 1992

[2] http://www.lobbi-mv.de/lobbi-neu/index.php?inhalt=chronik

[3] http://www.endstation-rechts.de/news/kategorie/demonstrationen-1/artikel/npgida-npd-kapert-schweriner-pegida-demonstration.html

[4] http://astwestmecklenburg.blogsport.eu/2015/10/04/erneuter-naziaufmarsch-in-schwerin/

[5] http://www.ostsee-zeitung.de/Vorpommern/Usedom/Brandanschlag-auf-moegliche-Fluechtlingsunterkunft

[6] http://www.ostsee-zeitung.de/Vorpommern/Ruegen/Politik/Geplantes-Asylheim-mit-stinkender-Fluessigkeit-beschmutzt

[7] http://www.nordkurier.de/anklam/unbekannter-attackiert-fluechtlingsheim-2817737009.html

[8] http://www.endstation-rechts.de/news/kategorie/sonstige/artikel/asyl-notunterkunft-naechtliche-attacke-nach-rechter-demo-in-schwerin.html