Am 6. Oktober wurde abermals der sächsische Verfassungsschutzpräsident Gordian Meyer-Plath in Leipzig auf ein Podium geladen. Dieses Mal fand die Veranstaltung auch wie geplant bis zum Ende statt.
Zwei frühere Veranstaltungen am 4. Dezember 2012 und am 6. Dezember 2013 waren dagegen verhindert worden. Jedoch wurde schon ein “Regionalforum Extremismus” mit Meyer-Plath am Anfang des Jahres nur noch zur Kenntnis genommen. Was hat sich also in den letzten drei Jahren im Verhältnis der Leipziger Linken zum Verfassungsschutz und seinem aktuellen Präsidenten verändert?
Konsequenzen aus dem NSU-Komplex
Nach der Selbstenttarnung des NSU, der – durch Inkompetenz, bewusstes Wegsehen und aktive Hilfe staatlicher Behörden – jahrelang unbemerkt mordend und bombend durch das Land ziehen konnte, war der Schock groß, gerade auch innerhalb der antifaschistischen und antirassistischen Szene. Eine Folge war ein von vielen als zu stark empfundenes Schweigen, gerade antifaschistische Strukturen schienen lange wort- und reaktionslos den immer neuen Enthüllungen gegenüber zu stehen.
In Sachsen, wo das “Trio” untertauchte, aber nicht mordete, sondern “nur” Banken überfiel und lebte, war es besonders schwierig, auf die Ereignisse zu reagieren. Für viele schien es lange auszureichen, die Tagespresse zu verfolgen und vielleicht hin und wieder eine Veranstaltung zum Thema zu organisieren. Ansonsten hatte die Stadt Leipzig für viele nichts mit dem NSU zu tun. Als relevante Orte in Sachsen wurden nur Zwickau und Chemnitz gesehen. Das dies nicht ausreichend war, soll nicht unerwähnt bleiben.
Mit den immer weiter bekannt werdenden Verstrickungen von Verfassungsschutz (einschließlich Gordian Meyer-Plath himself) und NSU sollte sich dies ändern. Es bestand somit die Möglichkeit, Akteuren aus dem NSU-Komplex in Leipzig zu begegnen und sie mit ihrem Handeln zu konfrontieren. Genutzt werden derartige Möglichkeiten aber offensichtlich nur in Phasen, in denen Empörung und Aufmerksamkeit vorhanden waren, wie die Ereignisse in Leipzig in diesem Jahr zeigen.
Irgendwas ist immer
So fanden sich am vergangen Dienstag nicht einmal 50 Menschen bei der Demonstration “Den Verfassungsschutz auflösen – Naziterror und Rassismus bekämpfen!” ein. Gefragt nach den Gründen der schlechten Beteiligung, waren die meisten nicht um die üblichen Ausreden verlegen. Es sei zu spät bekannt gewesen, obwohl bereits fast eine Woche vorher der Termin öffentlich diskutiert und der Aufruf zur Demonstration 4 Tage vorher veröffentlicht sowie auf vielen Wegen verbreitet wurde. Dieses Argument ist besonders unglaubwürdig, wenn bedacht wird, dass die Demonstration der Refugees aus der Messehalle am Donnerstag später und schlechter beworben wurde und sich hier fast 350 Menschen beteiligten.
Die wohl am häufigsten zu hörende Antwort ist jedoch “Es ist zu viel” – zu viele Demonstrationen gegen rassistische Aufmärsche in Sachsen und Leipzig. Generell seien alle nur noch überfordert und frustriert aufgrund der mangelnden “Erfolge”. Dabei wäre es nirgendwo leichter gewesen diesen zu erzielen als am Dienstag. Von den nicht einmal 50 Menschen der Demonstration nahm dann lediglich eine geringe Anzahl an der Podiumsveranstaltung teil, und noch weniger beteiligten sich an dem Versuch, Meyer-Plath die Propagandashow zu vermiesen. So konnte er bis zum Ende seinen Kram unter Polizeischutz von sich geben.
Nein, es muss an anderen Gründen liegen, weshalb der sächsische Verfassungsschutzpräsident in dieser Woche lernen konnte, auch in Leipzig seine Propaganda auf einer Podiumsdiskussion verbreiten zu können.
Die Betroffenheit und das schlechte Gewissen der antifaschistischen Szene über ihr Versagen im NSU-Komplex scheinen sich nach vier Jahren zumindest in Leipzig nahezu verflüchtigt zu haben. Hinzu kommt eine Haltung, die nach all den vergangenen Monaten mit Legida und anderen rassistischen Mobilisierungen auf klare Konzepte und Ansagen besteht. Wenn ihnen also nicht gesagt wird, was sie tun oder lassen sollen, findet es nicht statt. Es ist eine schlechte Entwicklung, die sich abzeichnet, verweist sie doch auch innerhalb der linken Szene auf ein zunehmendes autoritäres Gesellschaftsbild und eine immer stärkere Konsumhaltung.
Wenn die antifaschistische Szene in Leipzig etwas aus dem NSU-Komplex gelernt haben sollte, dann dass Helfern des Rechtsterrorismus wie Plath und seinen KollegInnen immer in die Parade gefahren werden muss, egal was gerade anderweitig ansteht oder wie überlastet die eigenen Strukturen sind. Gerade in einer Stadt, in der eine Ausstellung zur Geschichte des Verfassungsschutzes entstanden ist. Das ist das Mindeste.