… reiche Leute schicken ihren Anwalt (Teil I). Andrea und Tobias sollen Mitte Oktober aus ihrer Wohnung in der Blumenthalstr. zwangsgeräumt werden, wegen Mietschulden, die inzwischen beglichen sind. Man könnte also auch sagen, die Vermieterinnen haben ihre Miete und damit ist es gut. Insbesondere die Vermieterinnen könnten das sagen.
Um den Vermieterinnen Adelheid B. und Sabine B.-H. aus Köln Gelegenheit zu geben, sich noch mal ihrer eigenen Menschlichkeit zu vergewissern, stellte Kalle (wurde - in - Köln - zwangsgeräumt, wir berichteten) bei openpetition.de eine Petition "Menschlich handeln - Andrea und Sohn sollen wohnen bleiben!" ein.
Online-Petition sind als politisches Mittel umstritten (bringt das überhaupt was; bestätigt man damit nicht den Staat; dient der Klick der eigenen Entlastung, ohne wirklich was für eine Veränderung zu tun; …), die Vermieterinnen von Andrea setzten aber zu einer ganz eigenen Kritik an: Sie schickten einen Anwalt für Medienrecht, Burkhard R., vor. Der bemängelte im Auftrag seiner Kundschaft, die Petition enthalte nachweislich unwahre und ehrverletzende Tatsachenbehauptungen. Deshalb solle Kalle mit Frist von 6 Kalendertagen eine Unterlassungserklärung unterschreiben, da "nur die fristgemäße Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung die sogenannte Wiederholungsgefahr entfallen lässt und folglich eine gerichtliche Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen entbehrlich macht."
Hier versucht sich der Medienanwalt also zunächst darin, das Handeln seiner Auftraggeberinnen als alternativlos darzustellen. Dabei haben es Andreas Vermieterinnen ja jederzeit in der Hand, nicht vor Gericht zu ziehen. Für die Meisten wird diese Möglichkeit jederzeit als einfach, angemessen und nachvollziehbar erscheinen: Man muss nicht den Prozesshansel geben. Die Vermieterinnen von Andrea freilich wählen völlig frei den Weg andere Leute aus ihren Wohnungen in die Obdachlosigkeit zu klagen und diejenigen, die das kritisieren mit Anwälten zu behelligen. Anwälten, die wesentlich die Privatsphäre der Vermieterinnen verteidigen sollen, die ihrerseits die Privatsphäre ihrer Mieterin auf juristischem Weg (durch die Räumung) angreifen.
Was aber sind die unwahren und vor allem ehrverletzenden Tatsachenbehauptungen, die Kalle nicht mehr äußern soll?
"Andrea ist 1985 in eine heruntergekommene Berliner Wohnung gezogen. Sie hat im Laufe der Jahre Zimmer für Zimmer von Fachfirmen herrichten lassen. Dafür hat sie vom Vermieter nie einen Pfennig gesehen, aber das Versprechen erhalten, sie könne dort immer wohnen bleiben und später auch ihr Sohn. Die Erbinnen aus Köln wollten davon nichts wissen und kündigten bei der ersten Gelegenheit wegen geringer Mietrückstände (inzwischen bezahlt). Denn bei Neuvermietungen lässt sich mehr absahnen" (der vom Medienfachanwalt angemoserte und nach Wunsch und Willen der Vermieterinnen von Kalle künftig nicht mehr zum Ausdruck zu bringende Sachverhalt ist unterstrichen)
Wie nachvollziehbar ist dieses Begehren der Vermieterinnen gegenüber Kalle? Für Leute, die keine Prozesshansel sein wollen wahrscheinlich gar nicht. Was für ein Versprechen die Verstorbene an Andrea gab wird sich wahrscheinlich nie wirklich klären lassen. Warum sich intersubjektiv erhärten lassen sollte, dass die Ansicht der Vermieterinnen der Wahrheit näher kommen, als Andreas Aussage, der gegenüber das Versprechen dann ja gemacht worden wäre, entzieht sich dem Schreiber dieser Zeilen. Vor allem kann hierin ja keine Ehrverletzung liegen. Die Behauptung, dass die Vermieterinnen "bei erster Gelegenheit" kündigten, lässt sich sicher bestreiten. Sie hätten schon früher kündigen können.
Ja und? Der entscheidende Dreh ist doch der nächste Satz, aus dem hervorgeht, dass Kalle Mietrückstände in der fraglichen Höhe für gering hält und daher das Vorgehen der Vermieterinnen überzogen. Denn wenn sie noch früher gekündigt hätten, wären die Mietschulden ja noch geringer gewesen. Ja und? Das zu meinen wird man Kalle schwerlich verbieten können, zu sagen wohl auch nicht. Der letzte Satz ist eine Tatsachenfeststellung. Bei Neuvermietung können Mieten stärker gesteigert werden, als bei laufendem Mietvertrag. Die Vermieterinnen geben sich wie Prinzessinnen auf der Erbse.
Ganz so alternativlos sieht der Sachverhalt also nicht aus. Vielleicht geht's ja auch gar nicht um eine Ehrgefühl, sondern bloß darum die Kritik am Obdachlosmachen von Andrea und Sohn zum Schweigen zu bringen. Vielleicht geht's ja doch einfach darum abzusahnen?:
Der Abmahnung liegt eine strafbewehrte Unterlassungserklärung bei, die Kalle innerhalb von 6 Tagen unterschreiben und zurückschicken sollte. Damit sollte Kalle "nachfolgend Schuldner genannt sich verpflicht[en]", die unterstrichenen Aussagen nie wieder so oder anders zu äußern beziehungsweise andernfalls für jeden Fall, in dem er das doch tut 5100,- EUR an die Vermieterinnen zu zahlen.
Dabei geht es sicher nicht darum "abzusahnen", sondern um's mundtot machen. Genauso wie mit dem letzten Absatz:
[Kalle sollte sich verpflichten] "die Kosten der Inanspruchnahme der R[…] M[…] Rechtsanwälte, Rechtsanwalt Burkhard R[…], […], 50674 Köln nach Maßgabe einer 1,3-Geschäftsgebühr gemäß den §§[…] zuzüglich Auslagen und Mehrwertsteuer aus dem Streitwert von 5.000,00 EUR, insgesamt *492,54 Euro*, bis zum 21.08.2015 zu erstatten."
Man kann's ja mal versuchen. Das ganze Konstrukt wirkt einfach albern. Die beiden Vermieterinnen können es sich offenbar leisten, Leute, für die 492,54 EUR ne Summe sind, über die sie schon ein Weilchen nachdenken müssen, über einen Anwalt mit Albernheiten zu beschäftigen: Auch wenn ihnen und ihm klar ist, dass sie damit nie durch kommen, bindet es doch zumindest Kraft und Ressourcen auf Seiten derer, die sich gegen diesen ganzen Wahnsinn wehren.
Die Vermieterinnen Adelheid B. und Sabine B.-H. aus Köln haben die ihnen von Kalle eröffnete Gelegenheit ungenutzt verstreichen lassen.
Achja: Kiezdemo gegen die Zwangsräumung von Andrea und ihrem Sohn. Freitag, 9.10., 17 Uhr, U-Kaiserin-Augusta-Straße. Mehr Infos dazu: hier