Der Innenminister erobert die Deutungshoheit zurück

Erstveröffentlicht: 
30.09.2015

Mit den neuen Asylgesetzen zeigt Thomas de Maizière Härte und Entschlossenheit - und ändert damit den Kurs der Kanzlerin in der Flüchtlingsfrage

 

Von Dieter Wonka

 

Berlin. Vor wenigen Wochen noch galt Thomas de Maizière, der Bundesinnenminister, als Zauderer und Zögerer, selbst der Koalitionspartner SPD ging den CDU-Mann mehr oder weniger offen an. Am gestrigen Dienstag allerdings, kurz nach der Beschlussfassung der Asylreformen im Bundeskabinett, konnte sich der Christdemokrat als Herr des Verfahrens präsentieren - und einen Erfolg in der Koalition genießen. Die Reform "trägt die Handschrift des Innenministers", sagte er und lächelte.


Aber ob dieses Paket auch problemlos Bundestag und Bundesrat passieren wird? Es geht um schnellere Asylverfahren, mehr Geld für Länder und Kommunen sowie darum, dass Zuwanderer vom Balkan, die politisch nicht verfolgt werden, rascher wieder in die Heimat zurückgeführt werden können. Die Grünen-Politikerin Claudia Roth sprach angesichts der Beschlüsse von einem "rabenschwarzen Tag" für die Menschenrechte - und sie trifft mit dieser Kritik auch Parteifreunde. Auch Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann von den Grünen hat Zustimmung zu dem Maßnahmenbündel im Bundesrat signalisiert, das beispielsweise Albanien, Kosovo und Montenegro als "sichere Herkunftsstaaten" festlegt. Wenn das am Ende so beschlossen wird, so befürchtet die Gruppe Pro Asyl, würden die Asylbegehren von Sinti, Roma und anderen Minderheiten nicht mehr individuell geprüft werden.


105000 Flüchtlinge sind im August nach Deutschland gekommen. 10000 sind es momentan täglich. Mindestens die Hälfte davon, so schätzt man, übertritt illegal die Grenze. Viele verlassen die Flüchtlingszüge lange vor der Ankunft in den zugewiesenen Erstaufnahmelagern. Sie steigen da aus, wo Familienangehörige, Freunde und Bekannte bereits Halt gefunden haben. Es habe sich faktisch ein selbstbestimmtes Aufenthaltsrecht eingebürgert, klagt das Bundesinnenministerium. Für Thomas de Maizière ist das ein unhaltbarer Zustand. Unter den Neuankömmlingen seien "etliche, die an der Grenze zu Deutschland registriert wurden, aber auch etliche, die auf andere Weise nach Deutschland gekommen sind und sich dann irgendwo gemeldet haben". Dies müsse "schnell in geordnete Verfahren überführt werden". Insbesondere hätten Flüchtlinge kein Wahlrecht für den Ort ihrer Unterbringung.


Auch diese Frage wird in dem Gesetzespaket geregelt, das zum 1. November bereits in Kraft treten soll. Schon hört man aus den Reihen der CSU Rufe nach Nachbesserungen. Beispielsweise sollen mit Transitzonen entlang der deutschen und europäischen Außengrenzen Bereiche geschaffen werden, in denen nach Art des Asylverfahrens an Flughäfen die Asylanträge von Flüchtlingen innerhalb von 48 Stunden beurteilt und auch abgelehnt werden können.


De Maizière begreift den gestrigen Kabinettsbeschluss offenbar als Einstieg in den Ausstieg aus einer Politik, die ganz eng mit Angela Merkel in Verbindung gebracht wird. Seit die Kanzlerin sagte "Wir schaffen das" und sich damit dann die unmenschliche Situation für Tausende von Flüchtlingen an der ungarischen EU-Außengrenze entspannte, ist vieles in Bewegung geraten. Bundestagsabgeordnete erleben in ihren Wahlkreisen Probleme in Flüchtlingsunterkünften. Sie berichten nicht nur der Unions-Fraktionsführung, dass immer mehr Bürger an Merkels Botschaft zweifelten. Viele Menschen seien überfordert, äußerten Besorgnis angesichts dessen, was noch kommen könne.


Angela Merkel erklärte nach ihrer Rückkehr von der UN-Vollversammlung gegenüber Vertrauten: "Für uns steht nun das Flüchtlingsthema an." Sie wisse, wie viele das Thema umtreibe, aber sie habe nicht anders handeln können, als die Aufnahmebereitschaft zu betonen. Außerdem könne sie die Welt nicht so machen, wie es der CDU gefalle.