Da wir, die Intitiative für geschichliche Verantwortung, nicht länger auf Entscheidungen des Osnabrücker Stadtrates warten wollen und uns fast täglich stört, dass es immer noch Straßen in Osnabrück gibt die einen Bezug zum Nationalsozialismus darstellen, haben wir heute zwei Straßen umbenannt. Außerdem finden wir die (Lebens-)Geschichten der neuen Namensgeber_innen deutlich bewegender und unterbreiten hiermit der Stadtverwaltung einen ernstgemeinten und gut recherchierten Vorschlag.
Aus der Carl-Diem-Straße wurde die Peter-Hamel-Straße. Aus der Giesbert-Bergerhoff-Straße wurde die Karl-Heinz-Dusbaba-Straße. Auf die Hintergründe zur Umbenennung und eine Vorstellung der neuen Namensgeber_innen wird in einem Flugblatt hingewiesen, welches auch die Anwohner_innen der betroffenen Straßen bekommen haben.
Straßenumbenennung: Giesbert Bergerhoff Straße, warum?
Giesbert Bergerhoff war während der Zeit des Nationalsozialismus Bürgermeister von Atter. Bürgermeister konnte nur sein, wer mit der nationalsozialistischen Ideologie konform ging und Mitglied in der NSDAP war; Bergerhoff bekleidete sogar das Amt des Ortsgruppenleiters der NSDAP. Zusätzlich heißt es laut NOZ (09.08.13; 14.04.15), dass er aktiv in der SA (Sturmabteilung) Osnabrücks war und sogar eine Leitungsposition innehatte; eine Kampforganisation, die die Verwirklichung der nationalsozialistischen Rassenideologie durch Gewalt zur Aufgabe hatte und maßgeblich an der Durchführung der Novemberpogrome im Jahre 1938 beteiligt war. Seine Enkelin spricht von ihm als „ein Menschenfreund und ganz liebevoller Opa“ (NOZ 14.04.15). Natürlich waren NationalsozialistInnen auch liebevolle (Groß-) Mütter, (Groß-) Väter und FreundInnen; Millionen von ermordeten Menschen inner- und außerhalb der Konzentrationslager zählten jedoch leider nicht zu den geschätzten und geliebten Personen.
Auch nach dem Kriegsende und der Neuordnung des besiegten deutschen Reiches stand Bergerhoff politisch weiterhin Rechtsaußen. 1961 wird er Mitglied der Deutschen Partei, deren Ziel die erneute nationale Einheit war; also ein wiederaufleben des dumpfen Nationalismus, der in Deutschland 28 Jahre zuvor zur Ermordung von Millionen von Menschen geführt hatte. Diese Erkenntnisse führen unweigerlich zu dem Schluss, dass Giesbert Bergerhoff ein überzeugter Nationalsozialist war, der auch nach der Niederlage Deutschlands im Zweiten Weltkrieg an völkisch- nationalistischen Positionen festhielt und somit nicht als der Namensgeber einer Straße fungieren sollte.
In Osnabrück wird zwar über eine Umbenennung diskutiert, jedoch wird diese seit Jahren nicht durchgeführt. Dies nehmen wir als Anlass, den Prozess zu beschleunigen und schlagen folgende Umbenennung vor:
Karl- Heinz Dusbaba Straße
Mit drei Jahren (1941) wurde Karl-Heinz Dusbaba, ein in Osnabrück lebender Sinti, gemeinsam mit seiner Familie in das Konzentrationslager Auschwitz deportiert. 1945 wurde das Lager befreit und sie gingen zurück nach Osnabrück. Dusbaba war zu diesem Zeitpunkt sieben Jahre alt und litt unter erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Sein Vater beschrieb ihn als unterernährt; er wies Hungerödeme auf und kämpfte mit schweren seelischen Schäden. Weiter vermutete sein Vater ein Herzleiden. Aus diesen Gründen habe er ihn erst später zur Schule geschickt. Für den damaligen Schulleiter der Pestalozzi-Schule stellte dies keinen Einzelfall dar und bedürfe aufgrund des immer noch schlechten Zustandes von Karl-Heinz Dusbaba 1949 keiner Überprüfung.
Der Vater von Karl-Heinz Dusbaba forderte in mehreren Verfahren die Anerkennung der gesundheitlichen Beeinträchtigungen sowie der daraus resultierenden beruflichen Einschränkungen seines Sohnes in Form von Entschädigungen. In mehreren ärztlichen Gutachten wurden keine körperlichen, krankhaften Befunde festgestellt. Der Amtsarzt argumentierte hierzu 1955: „[...] Zum Zeitpunkt der Verfolgung war das Kind D. 5-7 Jahre alt. Es ist unwahrscheinlich, dass jetzt noch aus dieser Zeit Schäden vorliegen.“ Langzeitschäden, die Kinder in Folge einer KZ-Inhaftierung zu erleiden hatten, wurden somit geleugnet.
Auch erhielt Karl-Heinz Dusbaba keine Invalidenrente: Er hätte direkt nach KZ-Entlassung zur Schule gehen können, um somit die vorberuflichen Voraussetzungen zu schaffen. Eine Berücksichtigung seines gesund heitlichen Zustandes hat hier nicht stattgefunden.
Tatsächlich ist Dusbaba mit 25 Jahren an einem Herzleiden verstorben. Er hinterließ seine schwangere Frau, die gemeinsam mit seinem Vater noch jahrelang um Entschädigung prozessierte – ohne Erfolg.
Statt überzeugten Nationalsozialisten mit der Benennung einer Straße zu erinnern, fordern wir die Stadt auf, diese Art des Gedenkens zu nutzen, um Menschen zu gedenken, die, wie oben beschrieben, unter der Verfolgung von TäterInnen wie Giesbert Bergerhoff zu leiden hatten
Straßenumbenennung: Carl Diem Straße, warum?
Carl Diem (* 24. Juni 1882 in Würzburg; † 17. Dezember 1962 in Köln) war ein deutscher Sportfunktionär und Publizist in der NS-Zeit und wurde von 1939-1945 mit dem Amt als Reichssportführer betraut.
Während des NS-Regimes leitete er Planung und Durchführung der olympischen Spiele und inszenierte den sogenannten Fackellauf, welcher bis heute eine fragwürdige Tradition hat. Von 1939-1945 schrieb er als Autor das dreibändige Buch „Olympische Flamme“, in welchem er u.a. die nationalsozialistische Sportpropaganda verkörperte und hoch anpries. In verschiedenen Medien propagierte Carl Diem den Nationalsozialismus, wie z.B. in der von Joseph Goebbels überwachten Wochenzeitung, in welcher er „mit atemloser Spannung und steigender Bewunderung diesen Sturmlauf, diesen Siegeslauf“ durch Frankreich feierte und den „Sturmlauf durch Polen, Norwegen, Holland, Belgien und Frankreich“, als „Siegeslauf in ein besseres Europa“ sah. Noch kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges rief er die Hitlerjugend (teilweise Jugendliche in den 14. Lebensjahren) in einer öffentlichen Rede zum „finalen Opfergang für den Führer“ auf und schickte so hunderte von Kindern in den Tod.
Eine Person, welche der oberen Führungsriege angehörte, muss vom Holocaust gewusst haben. Carl Diem blieb seinem Amt als Reichssportführer jedoch treu, beschimpfte in seinen später aufgedeckten Tagebüchern Juden als „Semitenbande“ und zeigte nach der Befreiung keine Reue an seinen Taten und Äußerungen in der NS-Zeit, sondern stellte sich stets als Opfer des Hitlerregimes dar. Schon in den letzten zwanzig Jahren bekamen Schulen, Turnhallen und Straßen, die nach Carl Diem benannt waren, andere Namen. Würzburg, die Geburtsstadt Diems, strich seinen Namen aus dem Stadtbild. Auch in Köln, Sitz der von Carl Diem gegründeten Sporthochschule, setzte ein Bezirk, trotz massiver Proteste seitens der Sportuniversität, eine Umbenennung des Carl-Diem-Weges durch.
In Osnabrück wird zwar über eine Umbenennung diskutiert, jedoch wird diese seit Jahren nicht durchgeführt. Dies nehmen wir als Anlass, den Prozess zu beschleunigen und schlagen folgende Umbenennung vor:
Peter-Hamel-Straße
In der Nacht zum 14. September 1994 wurde gegen 1.30 Uhr der gebürtige Brite, damals in Osnabrück lebende und als Türsteher arbeitende Peter Hamel Opfer seines ehrwürdigen und couragierten Handelns.
Am Abend des 13.9.1994 machten sich drei Heranwachsende aus dem Landkreis auf den Weg nach Osnabrück, um, so wurde es im späteren Prozess geäußert, „Schwule aufzumischen“. Sie trafen an der Heinrich-Heine-Straße auf zwei junge Männer, die sie als schwul zu erkennen glaubten und begannen unmittelbar mit Beleidigungen, denen ein tätlicher Angriff folgte. Beide Opfer konnten rechtzeitig in ihr Auto steigen und versuchten zu flüchten. Der 20jährige Haupttäter spuckte und schlug gegen das Auto, sodass infolge eine Fensterscheibe zu Bruch ging. In diesem Augenblick näherte sich der 34jährige Peter Hamel dem Geschehen und machte das, was wir alle uns in einer solchen Situation wünschen würden; er zeigte Zivilcourage. Eine Entscheidung, die Peter, der von seinen Freunden als herzensguter Mensch bezeichnet wurde, wenige Stunden später im Krankenhaus mit seinem Leben bezahlen musste. Der Haupttäter schlug Peter Hamel mit einer Bierflasche auf den Kopf und trat 10-20 mal auf das am Boden liegende Opfer ein. Dabei handelte es sich ausschließlich um Tritte gegen Kopf und Oberkörper. Von der Brutalität erschrocken, versuchten die Mittäter und die zuvor attackierten Opfer, den Täter von weiteren Tritten abzuhalten. Es gelang ihnen, den Täter festzuhalten, bis die Polizei am Tatort eintraf und den 20jährigen festnahm.
Die folgenden Wochen waren gekennzeichnet von großer Anteilnahme. Über mehrere Tage veranstalteten verschiedenste Initiativen am Tatort eine Mahnwache und verteilten Flugblätter. Auf einer zentralen Gedenkfeier am 24.9.1994 auf dem Nikolaiort sprachen neben mehreren Initiativen auch Vertreter_innen der Ratsfraktionen. Alle verurteilten die Gewalttat und zeigten sich empört über die zunehmende Gewalt gegen „Minderheiten“. Auch wurde über die Motive der Täter spekuliert. Die Polizei ließ verlauten, dass der Haupttäter nicht der rechten Szene zuzuordnen sei. Dennoch lässt die homophobe Gewalttat ein rechtes Weltbild der Täter vermuten. Im nachfolgenden Prozess, durch den der Haupttäter zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt wurde, wurden die Ursachen im privaten Umfeld, des bereits wegen mehrerer Gewaltdelikte in Erscheinung getretenen Täters, gesucht. Er sei ein Opfer seiner selbst gewesen und würde den Hass auf sich selbst, durch Gewalttaten, gegen Andere richten.
Mit dem Urteil vom 14.3.1995 wurde leider auch das Gedenken an Peter Hamel leiser. Dieses möchten wir mit der Umbebennung dieser Straße ändern. Über 20 Jahre nach der Entscheidung Peters nicht wegzuschauen sondern zu handeln, wenn andere Menschen Hilfe benötigen, ist dieses das Mindeste, was wir und die Stadt Osnabrück ihm bieten können.