SPD-Chef Dulig: Sachsen hat ein Rassismus-Problem

Erstveröffentlicht: 
29.09.2015

CDU-Generalsekretär Kretschmer spricht von "Bodensatz an Rechtsextremen"

 

Von Jürgen Kochinke und Anita Kecke


Dresden/Leipzig. Sachsen hat nach Ansicht von SPD-Landeschef und Wirtschaftsminister Martin Dulig ein massives Problem mit Rassismus. "Wir dürfen nicht zulassen, dass das verharmlost wird", sagte der stellvertretende Ministerpräsident gestern dem Sender MDR Info. Er frage sich, warum Menschen sich berechtigt fühlen, andere Menschen anzugreifen und verwies auf eine Attacke auf Helfer des Technischen Hilfswerkes in einer Flüchtlingsunterkunft in Niederau bei Meißen am Wochenende. "Das finde ich inakzeptabel, und das ist beschämend für unser Land."


Ex-Regierungschef Kurt Biedenkopf hatte vorige Woche in einem LVZ-Interview gesagt, die große Mehrheit der Sachsen sei immun gegen Rechtsextremismus. Und: Überwiegend seien es Westdeutsche, die den Rechtsextremismus in den Osten bringen. Für Dulig ist das eine Art Verharmlosung. Erkennbar seien in Sachsen "nicht nur Einzeltäter am Werk", auch sei das keineswegs nur ein lokal begrenztes Problem.


Für Dulig stellt Rassismus eine "fatale Zukunftsbarriere" dar. "Er gefährdet nicht nur das Mitmenschliche, sondern auch den Wirtschaftsstandort Sachsen." Nur ein vielfältiges, kulturell offenes Land werde eine gute Zukunft haben. Sachsens CDU-Generalsekretär Michael Kretschmer verteidigt Biedenkopf: "Er ist ein sehr kluger und erfahrener Mensch", sagte er. "Man beleidigt ihn, wenn man ihm unterstellte, dass er den Rechtsextremismus unterschätzt." Vielmehr habe Biedenkopf in dieser Sache "seine ganze Autorität" in die Waagschale geschmissen. "Damit hat er für alle im Freistaat ein Zeichen gesetzt." Für Kretschmer stehe "außer Frage", dass es in Sachsen einen Bodensatz an Rechtsextremen gibt.


Für DGB und Grüne geht die CDU-Lesart an der Problemlage vorbei. "Sachsen hat vor allem ein Problem, sich dem allgegenwärtigen Rassismus zu stellen und durch klare Positionierungen eine Grenze zu ziehen", sagte DGB-Landeschefin Iris Kloppich. "Neonazis zu verharmlosen und als Übergangsphänomen darzustellen, hat die Szene erst gestärkt." Der Fraktionschef der Grünen, Volkmar Zschocke, meint: "Sachsen hat seit Jahrzehnten ein Problem mit Rassismus, das nun wieder offensichtlich geworden ist. Doch anstatt sich diesem Problem zu stellen, pflegte die sächsische Staatspartei CDU lieber fragwürdige Diskurse über Patriotismus, Sachsenstolz und nationale Identität."


Gestern wurde bekannt, dass die Familie des Sprechers "Dresden für Alle", Eric Hattke, am Wochenende massiv bedroht worden ist. Per Telefon hätten die Täter gesagt, sie würden den Aufenthalt seiner Familie und auch von ihm selbst kennen. Er solle aufhören "sich für Ausländer einzusetzen", sonst würde er "platt gemacht". Als Drohung sei gefallen: "Wir schießen durch die Fenster." Am Wochenende war auch das Bürgerbüro von Dulig mit Pflastersteinen attackiert worden.


Von den Sachsen selbst sind nur 29 Prozent der Meinung, dass die Ausländerfeindlichkeit in ihrem Bundesland größer ist als im übrigen Bundesgebiet. Deutschlandweit ist der Blick auf Sachsen aber wesentlich kritischer. Mehr als jeder zweite Bundesbürger (53 Prozent) hält die Sachsen für besonders ausländerfeindlich. Das ergab eine LVZ-Umfrage, die in der vergangenen Woche veröffentlich wurde. Dafür hatte das Leipziger Institut Uniqma Mitte September 1351 Erwachsene aus ganz Deutschland befragt.


Laut dieser Umfrage haben die Sachsen deutlich mehr Vorbehalte gegen Flüchtlinge als der Bundesdurchschnitt. Ein großer Teil von 39 Prozent vertritt die Ansicht: "Das Boot ist voll." Nur 32 Prozent widersprechen diesem Standpunkt. Bundesweit sind nur 29 Prozent der Meinung, das Boot sei voll. 41 Prozent widersprechen diesem Standpunkt.