Ein Besuch in der Messehalle 4: Nur kleinere Rangeleien - aber immer noch fehlende Privatsphäre
VON JOSEPHINE HEINZE
Leipzig. Seit 16 Tagen leben
Flüchtlinge in der Messehalle 4 in Leipzig. Die Erstaufnahmeeinrichtung
ist eins von 31 Objekten, das die Landesdirektion Sachsen betreibt.
Gestern öffnete die Unterkunft ihre Tore.
Orientalische Musik
dröhnt aus Lautsprechern über die Freifläche vor der Messehalle. Auf
Bierbänken stehen Menschen, klatschen, jubeln, wollen einen Blick auf
das Geschehen erhaschen. Sie sind jung und alt, haben verschiedene
Hautfarben, sprechen unterschiedliche Sprachen. Und sie sind
Flüchtlinge, untergebracht in der Erstaufnahmeeinrichtung auf der Neuen
Messe. "Mitarbeiter vom Verdi-Kongress haben eine Akrobatik-Show für die
Leute hier in der Halle organisiert", erklärt Doreen Rößler. Sie ist
Mitarbeiterin des Deutschen Roten Kreuz (DRK) und als Campmanagerin für
die Unterkunft zuständig.
Ende letzter Woche war Kritik an der
Einrichtung laut geworden. Die Flüchtlinge prangern unter anderem eine
schlechte Essensversorgung, zu wenige Sanitäranlagen und mangelnde
medizinische Hilfe an. Unterstützt von zwei Leipziger Initiativen hatten
die Bewohner deswegen am Mittwoch ein Protestcamp errichtet. Neben den
Mängeln bei der Unterbringung war dabei vor allem ein Kritikpunkt laut
geworden: der große Verzug bei der Registrierung der Flüchtlinge und
damit verbundene Ratlosigkeit und Resignation.
"Soweit ich weiß,
ist derzeit noch keiner der hier lebenden Menschen registriert", erklärt
Jana Klein von der Landesdirektion. Grund ist, dass diese
Registrierung sachsenweit bisher allein in Chemnitz möglich ist. Die
Verhandlungen dazu laufen, ab Mitte Oktober soll es im Klinikum St.
Georg eine weitere Erstaufnahmestelle geben. Der Freistaat sei
regelrecht überrollt worden, so Klein. Dadurch gerate man in Verzug.
"Wir sind froh, dass wir den Menschen ein Dach über dem Kopf anbieten
können."
In der 20000 Quadratmeter großen Halle leben momentan 1800
Menschen. Damit ist die Unterkunft mit etwa 100 Personen überbelegt.
Nicht alle haben einen Platz in einer der rund 200 Kabinen bekommen, die
für die Menschen der einzige Rückzugsort sind. "Das wollen wir so
schnell wie möglich ändern", erklärt die Campmanagerin. Auch
Spielbereiche für die 300 bis 400 in der Halle lebenden Kinder mussten
neuen Schlafstätten weichen. Die Bewohner haben viele der etwa 35
Quadratmeter großen Kabinen provisorisch mit Laken oder zerschnittenen
Plastiktüten verhängt, um Privatsphäre zu schaffen. Richtige Türen seien
wegen des Brandschutzes nicht möglich, heißt es.
Seit Montag hat
das DRK eine tägliche Ärzte-Sprechstunde in einer Art Krankenstation,
dem "Medi- point", eingerichtet. Dass Flüchtlinge mit ihren Problemen
allein gelassen werden, käme nicht vor. Gegenüber LVZ.de hatte ein Mann
erklärt, seine Kinder wären nicht behandelt worden. "Ich war bei den
Ärzten, aber sie haben uns weggeschickt", so der Syrer. Der Ausschlag
war bei zwei seiner Söhne deutlich zu sehen.
"Ich kann nicht
verstehen, woher diese Diskrepanzen kommen", entgegnet Reiko Pöschl,
Koordinator vom DRK. "Letztlich ist es eine Entscheidung des Arztes, wie
behandelt wird." Möglichen sei aber, dass es bei der Übersetzung
zwischen Arzt und Patient zu Missverständnissen gekommen ist. Neben fünf
festangestellten Übersetzern arbeiten Ehrenamtliche, um Farsi, Kurdisch
oder Persisch zu dolmetschen.
Mehr als die Hälfte der Menschen vor
Ort kommt aus Syrien. Die anderen seien vor allem Pakistani, Afghanen,
Inder. Um Konflikte zu vermeiden, wurden die Bewohner in der Halle nach
Nationalitäten separiert. "Die Stimmung ist momentan aber sehr gut",
erklärt Rößler. Kleine Rangeleien zwischen Flüchtlingen kommen vor,
größere Vorfälle habe es nicht gegeben.
Wie Messesprecher Steffen
Jantz erklärt, müssen die Flüchtlinge Mitte Dezember in eine kleinteilig
gegliederte Unterkunft umziehen. Auf knapp 40000 Quadratmetern
Freifläche der Messe sollen temporäre, winterfeste Quartiere entstehen.