"Fast jeder zweite Asylbewerber klagt gegen Abschiebung"

Erstveröffentlicht: 
23.09.2015

Sachsens Justizminister Sebastian Gemkow (CDU) über neue Richterstellen und schnellere Asylverfahren

 

Leipzig. Sachsens Justizminister Sebastian Gemkow (37, CDU) sieht durch steigende Flüchtlingszahlen neue Herausforderungen auf Gerichte zukommen. Beim LVZ-Redaktionsgespräch äußert er sich zu den Folgen für Sachsen.

Der dramatische Anstieg bei den Flüchtlingszahlen sorgt in sächsischen Verwaltungsgerichten für eine vielfach erhöhte Arbeitsbelastung. Die Zahl der Asylverfahren steigt sprunghaft. Wie wollen Sie gegensteuern?

 
Wir haben im Juli 20 Richterstellen zusätzlich für die drei Verwaltungsgerichte in Leipzig, Dresden und Chemnitz beantragt, dazu noch sechs Beamte für die Geschäftsstellen. Das haben wir von Finanzminister Georg Unland und dem Landtag im Juli genehmigt bekommen.


Wie sind diese Stellen verteilt?

 
Das ist abhängig vom Personalbedarf, aber jedes Verwaltungsgericht erhält neue Mitarbeiter, um die anhängigen Asylverfahren so schnell wie möglich abzuarbeiten.


Wann nehmen die neuen Richter ihre Arbeit auf?

 
Die erste Hälfte startet jetzt im Oktober, die zweite Hälfte zum 1. Januar 2016.


Die Belastung der Verwaltungsgerichte bei Asylverfahren ist ja vor allem abhängig von Einsprüchen gegen eine Abschiebung. Wie ist die Quote im Freistaat?

 
Gegen 48 Prozent der Entscheidungen gehen Asylbewerber in Rechtsmittel, fast jede zweite Entscheidung wird also beklagt.


Wie lange dauert aktuell und im Durchschnitt ein gerichtliches Asylverfahren in Sachsen?


Ein normales Hauptsacheverfahren läuft jetzt über etwa neun Monate, im Eilverfahren ist es mittlerweile durchschnittlich nur noch knapp über ein Monat.


Wird sich das mit den zusätzlichen Richterstellen beschleunigen? Von einer möglichst schnellen Rückführung abgelehnter Asylbewerber hängt ja auch die Gesamtakzeptanz des Flüchtlingsthemas in der Bevölkerung ab.


Wir gehen davon aus, dass wir damit effektiver werden. Es ist wichtig, rechtsstaatliche Prinzipien einzuhalten. Das betrifft das Asylverfahren genauso wie das Rückführungsverfahren. All das wird man beschleunigen müssen, um die gegenwärtig angespannte Situation in den Griff zu bekommen.


Bei den Richterstellen können Sie aufstocken, bei den Justizvollzugsbeamten gibt es weiter massive Lücken. Bewegt sich da etwas?


Die Nachsteuerung im Strafvollzug ist ein großer Brocken für den nächsten Haushalt. Wir brauchen zum Beispiel auch Dolmetscher, das ist jetzt schon abzusehen. Aktuell lösen wir das zum Teil mit Ehrenamtlichen im Strafvollzug, aber das ist natürlich keine Dauerlösung.


Werden durch die aktuelle Flüchtlingsentwicklung künftig auch mehr Haftplätze in Sachsen benötigt?


Momentan sehe ich diese Entwicklung noch nicht, aber es könnte mit gewisser Verzögerung so eintreten. Der gegenwärtige Häftlingsbestand hat allerdings auch schon eine gewisse Aussagekraft.


Inwiefern?


Der Anteil ausländischer Gefangener in den sächsischen Gefängnissen ist zuletzt gestiegen, wenn auch noch nicht auf den Stand wie Ende der 90er-Jahre. Das stellt uns vor neue Herausforderungen, so müssen beispielsweise kulturelle Besonderheiten auch im Strafvollzug berücksichtigt werden.


Das Flüchtlingsmanagement hat der sächsischen Landesregierung viel Kritik eingebracht. Inzwischen hat der Ministerpräsident klare Worte gefunden. Reicht das aus, um rassistischen Strömungen in Sachsen nicht das Feld zu überlassen?


Die aktuelle Situation erzeugt in der Bevölkerung viele diffuse Ängste. Viele haben das Gefühl, dieser Entwicklung wenig entgegensetzen zu können. Deshalb ist es wichtig, dass der Rechtsstaat deutlich macht, dass er funktioniert. Wir sorgen für die Sicherheit - diese Botschaft müssen wir aussenden. Die Menschen sollen sich nicht alleingelassen fühlen. Sie dürfen nicht das Gefühl bekommen, dass ein Sicherheitsproblem entsteht. Der Staat muss verdeutlichen, dass er für Stabilität in der Gesellschaft sorgt. Da stehen wir alle für Sachsen in der Pflicht.


Viele Menschen werden Sie wohl gar nicht mehr erreichen, die bewegen sich ohnehin schon an den extremistischen Rändern aller Couleur.


Man muss aber versuchen, die Menschen, die aus Ängsten heraus handeln, denjenigen zu entreißen, die aus einer vorgeprägten Ideologie heraus von Ängsten profitieren wollen.


Das klingt wie eine Warnung vor dem Zugriff der AfD.


Was nicht passieren darf ist, dass einige Parteien das Thema innere Sicherheit in ihrer speziellen Art und Weise besetzen. Da wird suggeriert, dass andere Parteien nicht handlungsfähig auf dem Gebiet sind. Christlich demokratische Politik muss ihren Markenkern deutlich betonen und das spiegelt sich in der Politik der Landesregierung wider. Es gibt Neueinstellungen bei der Polizei und bei der Justiz wird nachgesteuert. Die innere Sicherheit in Sachsen ist ein Schwerpunkt, daran lassen wir keinen Zweifel.


Und der für seine Sparsamkeit bekannte Finanzminister macht da klaglos mit?


Es gibt natürlich immer Auseinandersetzungen um die Mittel, die zur Verfügung stehen. Letzten Endes gibt es aber bei allen Mitgliedern der Landesregierung die Überzeugung, dass gehandelt werden muss und dies nicht zu Lasten bestehender Aufgaben gehen darf. Das ist ein wichtiges Signal nach außen.


Warum ist das Signal so existenziell?


Es darf nicht so sein, dass sich Gerichtsverfahren von Bürgern verlängern, um Asylverfahren zügig durchzuführen. Wir müssen verdeutlichen, dass die zusätzlichen Aufgaben auch mit zusätzlichen Kräften gestemmt werden. Das hilft, in der Bevölkerung Ängste abzubauen.


Interview: Jan Emendörfer, André Böhmer, Anita Kecke