Heidenau und kein Ende? Warum sich Eskalationen so schwer vorhersagen lassen

Erstveröffentlicht: 
21.09.2015

Die jüngsten MDR-dimap-Umfragen haben es noch einmal belegt: Die Menschen in Mitteldeutschland haben sehr viel mehr Angst vor Flüchtlingen als ihre Landsleute in Westdeutschland - den eigentlichen Regionen mit hohem Ausländeranteil. Über die Hintergründe wird ebenso spekuliert wie über ostdeutsche Gewalt-Eskalationen, allen voran die im sächsischen Heidenau. Unser Chefreporter erklärt, warum es so schwer ist, derartige rechte Exzesse vorherzusehen.

 

von Sebastian Hesse, MDR-INFO-Chefreporter

 

Die Bundeskanzlerin sprach von einer neuen Qualität rechter Gewalt in Heidenau. Deshalb hätten die Frühwarnsysteme nicht angeschlagen, etwa beim Verfassungsschutz. Auch dessen sächsischer Präsident, Gordian Meyer-Plath, hat die Krawallnächte nicht kommen sehen: "Die Bilder von Heidenau haben uns in dieser Form auch überrascht. Wir wussten, dass diese Demonstration viele Menschen anlocken würde, dass viele Menschen teilnehmen würden. Aber dass es im Nachgang dann zu so viel Gewalt, insbesondere auch gegen die Polizeibeamten, kommen würde, darauf hatten wir keine konkreten Hinweise."

 

"Es gab keine Indikatoren für den Ausbruch der Gewalt"

 

Der Mangel an Hinweisen liegt auch an der Imagepolitur der rechtsextremen NPD, die in Heidenau wieder einmal an der Spitze der Protestzüge marschierte. Auch in Tröglitz war das so. Die Partei bemüht sich jedoch seit langem, sauber daher zu kommen. Sprich: zwar den Anti-Asyl-Protest zu initiieren und anzuführen, das aber auf dem Boden von Recht und Gesetz. Polizisten anzugreifen, wie in Heidenau geschehen, gehört eigentlich nicht zum Repertoire der obrigkeitshörigen NPD, sagt Meyer-Plath: "Dass man diese Strategie offenbar hat fallen lassen und gesagt hat: Jetzt muss es gewalttätiger werden - dass das ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt und an diesem Ort passieren würde, dafür gab es eigentlich keine Indikatoren. Denn die Demonstrationen am selben Ort, jeweils wenige Tage davor, verliefen friedlich. Auch in der gesamten Sächsischen Schweiz war der von der NPD inszenierte asylfeindliche Protest eben gerade nicht von solchen Bildern geprägt."

 

Besondere Zusammensetzung der protestierenden Gruppe


Ein wesentlicher Aspekt in Heidenau war sicherlich die besondere und eben explosive Mischung von Teilnehmern und Interessengruppen, deren Zusammenspiel in der Eskalation mündete. "Da ist ja - wahrscheinlich auch in Heidenau - eine Klientel unterwegs gewesen, die wir gar nicht als politische Extremisten auf dem Schirm haben", diagnostiziert Verfassungsschützer Meyer-Plath. "Offenbar waren gewaltbereite Personen dabei, auch an der Nahtstelle zu Fußball-Hooligans und Rechtsextremisten, deren Aktivitäten ohnehin nicht per se in unsere Zuständigkeit fallen. Das macht die Prognosefähigkeit von solchen Gemenge- und Mischlagen natürlich noch schwieriger." 

 

Ulbig: Polizei zieht Konsequenzen


Sachsens Innenminister Markus Ulbig betont, dass die Sicherheitskräfte landesweit versuchen, die Erfahrungen von Heidenau zu Lehren auszuwerten und ihre Strategien entsprechend anpassen - auch was das Beobachten der lokalen NPD-Agitation betrifft: "Die Polizeipräsidenten haben natürlich die Erfahrungen aus Heidenau jetzt in ihren zukünftigen Einsatzplanungen mit zu berücksichtigen."

 

"Ins Gespräch kommen" - hilft das?


Bleibt die Frage, wie man Durchschnittsbürger, die nicht als notorisch rechtsextrem einzustufen sind, davon abbringt, Hasspredigern und Gewalttätern hinterher zu laufen, wie in Heidenau geschehen. "Mit ihnen ins Gespräch kommen", das wird Politikern immer gerne empfohlen. Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich hat genau das in Heidenau versucht: "Ich kann zum Beispiel fragen, warum Sie mit diesem rechten Pack sympathisieren: Warum sympathisieren Sie mit denen?". Statt Antworten erhielt der Landesvater Gegenfragen: "Herr Tillich, ich habe mal eine Frage an Sie: Haben Sie schon mal darüber nachgedacht, ob ich einen Menschen als menschlich ansehen muss, der niedere Beweggründe hat herzukommen - um durchgefüttert zu werden, auf Deutsch gesagt?".

 

Heidenau könnte abschreckenden Charakter haben


Auf diese Frage fiel Tillich weder auf Deutsch, noch irgendeiner anderen Sprache etwas ein. Bleibt die Hoffnung auf eine möglicherweise nachhaltig abschreckende Wirkung der Heidenau-Bilder, wie Gordian Meyer-Plath sie hegt: "Das ist vielleicht das einzig Gute, was von Heidenau ausgeht: dass diese Menschen sich dann zweimal überlegen, ob sie sich da noch einmal für vereinnahmen lassen."