EU-Ausländer: Deutschland kann Hartz IV verweigern

Erstveröffentlicht: 
16.09.2015

EuGH-Urteil: Sozialsysteme dürfen von Zuwanderern nicht ausgenutzt werden

 

Von Andreas Debski und Marion Trimborn


Luxemburg/Leipzig. Der Europäische Gerichtshof hat ein Grundsatz-Urteil mit weit reichenden Konsequenzen gefällt: Deutschland darf EU-Ausländern Hartz-IV-Leistungen verweigern - selbst wenn sie hier gearbeitet haben. Das heißt, dass arbeitslose Zuwanderer aus EU-Staaten spätestens nach sechs Monaten keine staatlichen Leistungen mehr erhalten müssen. In ihrem Urteil verweisen die Luxemburger Richter ausdrücklich darauf, dass ein Staat das Recht hat, seine Sozialsysteme vor Überlastung zu schützen und die "unangemessene Inanspruchnahme" zu verhindern.


Im konkreten Fall ging es um eine Frau, die in Bosnien geboren wurde, die schwedische Staatsangehörigkeit besitzt und seit 2010 mit ihren drei Kindern in Deutschland lebt. Die Mutter und ihre älteste Tochter hatten ein knappes Jahr lang gearbeitet, danach erhielten beide zunächst Arbeitslosengeld, die jüngeren Kinder bekamen Sozialgeld. Das Jobcenter Berlin-Neukölln stellte die Zahlungen nach einem halben Jahr ein - nach deutschem Recht hat nur derjenige einen dauerhaften Anspruch, der länger als ein Jahr am Stück gearbeitet hat.


Diese Regelung bestätigt nun der EuGH, der im November 2014 einen ähnlichen Fall bereits entsprechend entschieden hatte. Damals ging es um eine Rumänin, die in Leipzig lebt, und unter anderem Hartz IV beantragt hatte. Vor knapp einem Jahr hieß es dazu aus Luxemburg: Deutschland darf Menschen aus anderen EU-Mitgliedstaaten von staatlichen Zahlungen ausschließen, wenn sie nur zum Bezug von Sozialleistungen einreisen.


Die neuerliche Entscheidung wird von vielen Seiten begrüßt. "Hartz IV ist ein komplexes und sensibles Thema. Ich bin froh, dass es nun Rechtssicherheit gibt", sagt Sachsens Sozialministerin Barbara Klepsch (CDU) der LVZ. Hermann Winkler, der Sprecher der ostdeutschen CDU-Abgeordneten im Europaparlament, macht klar: "Freizügigkeit ja - aber keine Zuwanderung in die Sozialsysteme. Ich begrüße das Urteil des EuGH, weil ich zwar die Freizügigkeit in der EU wahren, allerdings die Ausnutzung unseres Sozialsystems verhindern möchte. Dies ist ein wichtiges Signal in der gegenwärtigen Situation." Auch die EU-Kommission sieht das EuGH-Urteil positiv: "Jetzt besteht Klarheit. Das Recht auf Freizügigkeit beinhaltet nicht das Recht auf freien Zugang zu den sozialen Sicherungssystemen." Ähnlich äußern sich der Deutsche Städtetag und Arbeitgeberverbände. Dagegen sehen die Grünen das Urteil als fragwürdig an: "Wer zu uns kommt und nach Arbeit sucht, braucht Unterstützung", kritisiert der sozialpolitische Sprecher im Bundestag, Wolfgang Strengmann-Kuhn.


Die Zahlen der Arbeitsagenturen zeigen, dass der Anteil von Hartz-IV-Empfängern aus der EU in Mitteldeutschland unter zwei Prozent liegt.