EuGH-Urteil: Sozialsysteme dürfen von Zuwanderern nicht ausgenutzt werden
Von Andreas Debski und Marion Trimborn
Luxemburg/Leipzig. Der Europäische Gerichtshof hat ein Grundsatz-Urteil
mit weit reichenden Konsequenzen gefällt: Deutschland darf
EU-Ausländern Hartz-IV-Leistungen verweigern - selbst wenn sie hier
gearbeitet haben. Das heißt, dass arbeitslose Zuwanderer aus EU-Staaten
spätestens nach sechs Monaten keine staatlichen Leistungen mehr erhalten
müssen. In ihrem Urteil verweisen die Luxemburger Richter ausdrücklich
darauf, dass ein Staat das Recht hat, seine Sozialsysteme vor
Überlastung zu schützen und die "unangemessene Inanspruchnahme" zu
verhindern.
Im konkreten Fall ging es um eine Frau, die in Bosnien geboren wurde,
die schwedische Staatsangehörigkeit besitzt und seit 2010 mit ihren drei
Kindern in Deutschland lebt. Die Mutter und ihre älteste Tochter hatten
ein knappes Jahr lang gearbeitet, danach erhielten beide zunächst
Arbeitslosengeld, die jüngeren Kinder bekamen Sozialgeld. Das Jobcenter
Berlin-Neukölln stellte die Zahlungen nach einem halben Jahr ein - nach
deutschem Recht hat nur derjenige einen dauerhaften Anspruch, der länger
als ein Jahr am Stück gearbeitet hat.
Diese Regelung bestätigt nun der EuGH, der im November 2014 einen
ähnlichen Fall bereits entsprechend entschieden hatte. Damals ging es um
eine Rumänin, die in Leipzig lebt, und unter anderem Hartz IV beantragt
hatte. Vor knapp einem Jahr hieß es dazu aus Luxemburg: Deutschland
darf Menschen aus anderen EU-Mitgliedstaaten von staatlichen Zahlungen
ausschließen, wenn sie nur zum Bezug von Sozialleistungen einreisen.
Die neuerliche Entscheidung wird von vielen Seiten begrüßt. "Hartz IV
ist ein komplexes und sensibles Thema. Ich bin froh, dass es nun
Rechtssicherheit gibt", sagt Sachsens Sozialministerin Barbara Klepsch
(CDU) der LVZ. Hermann Winkler, der Sprecher der ostdeutschen
CDU-Abgeordneten im Europaparlament, macht klar: "Freizügigkeit ja -
aber keine Zuwanderung in die Sozialsysteme. Ich begrüße das Urteil des
EuGH, weil ich zwar die Freizügigkeit in der EU wahren, allerdings die
Ausnutzung unseres Sozialsystems verhindern möchte. Dies ist ein
wichtiges Signal in der gegenwärtigen Situation." Auch die EU-Kommission
sieht das EuGH-Urteil positiv: "Jetzt besteht Klarheit. Das Recht auf
Freizügigkeit beinhaltet nicht das Recht auf freien Zugang zu den
sozialen Sicherungssystemen." Ähnlich äußern sich der Deutsche Städtetag
und Arbeitgeberverbände. Dagegen sehen die Grünen das Urteil als
fragwürdig an: "Wer zu uns kommt und nach Arbeit sucht, braucht
Unterstützung", kritisiert der sozialpolitische Sprecher im Bundestag,
Wolfgang Strengmann-Kuhn.
Die Zahlen der Arbeitsagenturen zeigen, dass der Anteil von
Hartz-IV-Empfängern aus der EU in Mitteldeutschland unter zwei Prozent
liegt.