Innenminister Markus Ulbig über die Heidenauer Krawalle, Rücktrittsforderungen und seine Rolle als Sündenbock.
Herr Ulbig, was ist das für ein Gefühl, als sächsischer Innenminister beim Willkommensfest für Flüchtlinge in Heidenau vom Hof gejagt zu werden?
Natürlich war ich enttäuscht. Ich habe ja dazu beigetragen, dass das Fest stattfinden konnte. Dass ich von einer bestimmten Gruppe nicht unbedingt jubelnd empfangen werde, war mit vorab klar. Aber von einem Willkommensfest hätte ich eine etwas andere Willkommenskultur und weniger politisch motivierten Krawall erwartet. Auch wenn es nur eine Minderheit war.
Ein hilfloser Politiker, der vor einem Protest-Mob fliehen muss – diese Bilder liefen in allen Medien. Was sagt man dann zu Hause der eigenen Familie?
Eigentlich versuche ich, meine Familie von dem politischen Tagesgeschäft fernzuhalten. Ich gebe aber zu, das ist gerade in den vergangenen Tagen nicht immer gelungen.
Mit dem heutigen Blick auf die jüngsten Ereignisse in Heidenau: Haben Sie in dem Fall irgendwas falsch gemacht?
Der Fall Heidenau hat viele Facetten, da müsste ich alle einzeln hernehmen. Was das Willkommensfest angeht, bin ich zutiefst überzeugt, dass es völlig richtig war, sich dafür einzusetzen. Damit sollten endlich andere Bilder aus Heidenau und aus Sachsen kommen als noch eine Woche zuvor. Die zeigen, dass es hier Menschen gibt, die Willkommen sagen. Dazu stehe ich.
Der Fall Heidenau besteht nicht nur aus dem Fest, sondern aus massiver Gewalt, verletzten Polizisten und aus Demonstranten, die Andersdenkende übel beleidigen und sich dabei außerhalb von Recht und Gesetz wähnen. Haben Sie hier auch keine Fehler gemacht?
Unsere Aufgabe ist es, Menschen, die zu uns kommen, sehr kurzfristig unter feste Dächer zu bringen. Den Standort in Heidenau halte ich nach wie vor für geeignet. Die Auseinandersetzungen im Umfeld der Erstaufnahmeeinrichtung waren in dieser Dimension und Brutalität nicht vorhersehbar. Wichtig ist, dass die Polizei bei ihren Planungen künftig solche Varianten miteinbezieht, also auch mit tätlichen Angriffen rechnet, was in der Form bisher nicht der Fall war. Das was in Heidenau passiert ist, verurteile ich. Es ist unsäglich und darf sich nicht wiederholen.
Was sind also die Konsequenzen?
Die Polizeiführung hat sich bei solchen Einsätzen bisher stets darauf konzentriert, die Menschen und die Helfer sowie das Objekt selbst zu schützen. Diese Ziele sind in Heidenau übrigens alle erreicht worden. Künftig muss klar sein, dass die Straftäter konsequent verfolgt und auch verurteilt werden.
In der Öffentlichkeit werden nach jeder Panne Sie kritisiert. Es gibt aber auch andere Verantwortliche für das Asyl-Thema. Warum wehren Sie sich nicht gegen die Rolle des Sündenbocks?
Mir ist wichtig, dass endlich jedem, wirklich jedem deutlich wird, welch epochale Herausforderung wir vor uns haben. Die kann kein Einzelner bewältigen, auch in der Staatsregierung nicht. Es gibt so viele Aufgaben. Neben der Sicherheit und Ordnung ist das als Allererstes die rechtzeitige Beschaffung der benötigten Immobilien zur Unterbringung, wofür das Finanzministerium zuständig ist. Wir müssen zudem über den Tag hinaus schauen. Wenn geflüchtete Menschen bei uns bleiben dürfen, geht es auch darum, sie zügig in Ausbildung oder Arbeit zu bringen, eine Aufgabe des Wirtschaftsressorts. Sie gesundheitlich zu versorgen und schnell zu integrieren, liegt in der Zuständigkeit der Sozial- sowie der Integrationsministerin. Es gibt also in jedem Ressort eine enorme Verantwortung und deshalb können wir die Aufgabe nur als Team bewältigen. Selbstverständlich müssen dann auch die Ergebnisse als Teamleistung gesehen und bewertet werden. Ich, wie auch das gesamte Innenressort, stehen zu dieser Verantwortung.
Teamleistung heißt auch Schulterschluss, wenn was schiefläuft. Oft stehen Sie dann aber allein vor der Kamera, um Erklärungen abzugeben.
Natürlich erhofft man sich hier und da einige deutlichere Worte oder ein paar klare Positionierungen mehr. Entscheidend ist aber nicht, wer die Erklärung in der Öffentlichkeit abgibt, sondern dass alle an einem Strang in die gleiche Richtung ziehen.
Zur Kritik in Ihre Richtung kam zuletzt die Rücktrittsforderung. Warum ist das für Sie keine Option?
Es ist noch nie meine Art gewesen, bei Gegenwind das Handtuch zu werfen. Es gehört zu meinem Amtsverständnis, auch in schwierigen Zeiten Kurs zu halten. Gerade, weil ich überzeugt bin, dass dieser Kraftakt wichtig für unser Land ist. Deshalb werde ich jede Anstrengung unternehmen, dass wir die Aufgabe meistern.
Gibt es dabei aber nicht doch eine Schmerzgrenze für Sie?
Meine Erkenntnis aus den vergangenen Tagen und Wochen ist eindeutig: Das, was gerade passiert, kann nicht das Problem eines Einzelnen sein. Die Aufgaben, die vor uns stehen, können nur alle gemeinsam bewältigen. Nur muss in diesen Prozess ein Stück mehr Erkenntnis und Ehrlichkeit fließen.
Im Innenministerium kam es jetzt zu mehreren Personalwechseln im Asylbereich. Warum wurde so lange gezögert?
Es hat tatsächlich eine Weile gebraucht, um die personelle Ausstattung an die völlig geänderten Verhältnisse anzupassen. Jetzt haben wir aber Strukturen und Zuständigkeiten optimiert. Da ist manches weniger spektakulär, als darüber geschrieben wurde. Wir müssen nun nach vorn schauen.
In Ihrem Haus gibt es nun einen Leiter Stabsstelle Asyl. Sind Sie dem als Innenminister weisungsbefugt?
Ja, natürlich.
Sie sind also weiterhin in erster Position für das Thema Asyl zuständig?
Genauso ist es, aber ich brauche dafür die Unterstützung aller Ressorts und der kommunalen Ebene.
Dann gleich zum Stichwort Verantwortung: Der Bund erklärt, für die Asylaufgaben ist genug Geld da. Warum aber fehlt es in Sachsen weiter an Geld für mehr Polizeistellen?
Es gibt in Sachsen schon mehr Geld für die Polizei, dazu pro Jahr 400 Neueinstellungen. Das bisherige Stellenniveau wird so stabil gehalten. Aber wir werden natürlich nachbessern müssen. Zurzeit prüft eine Expertenkommission die Größenordnung unter Berücksichtigung der zusätzlichen Aufgaben bei der Polizei. Ich erwarte noch in diesem Jahr die neue Zielgröße.
Das ist nur eine vage Aussicht auf mehr Hilfe für Ihre gestressten Beamten.
Es gibt längst auch sehr konkrete Hilfe. So werden Polizeibeamte ihre aufgelaufenen Überstunden bezahlt bekommen. Zudem soll die Wiedereinführung der Wachpolizei für Entlastung sorgen. Nicht zuletzt werden unsere Beamten künftig stichfeste Schutzwesten erhalten. Damit wird ein jahrelanges Problem im Einsatz beendet.
Das Gespräch führte Gunnar Saft.