Dresden. Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) hat in einer Rede im Landtag fremdenfeindliche Gewalt und Hass gegen Flüchtlinge scharf verurteilt. "Eine enthemmte Minderheit besudelt und beschämt unser ganzes Land in einer Art und in einem Ausmaß, die ich mir nicht vorstellen konnte", sagte er gestern in Dresden bei einer Sondersitzung des Parlaments zum Thema Asyl und Integration.
"Hier erheben sich Menschen über Menschen, ohne sich auch nur irgendwie
für deren Leben und deren Schicksale zu interessieren", fügte er hinzu.
Gewalttätige Extremisten und alle, die sie haben gewähren lassen,
hätten "unsere Grundordnung verlassen", sagte Tillich. Zugleich forderte
er "einen spürbaren Ruck der Barmherzigkeit" und einen "Aufstand der
Anständigen".
Nach Protesten und Hasstiraden gegen Flüchtlingsunterkünfte in Freital,
Meißen und zuletzt den Gewaltausbrüchen in Heidenau ist die Stimmung im
Land aufgeheizt. Linken-Fraktionschef Rico Gebhardt rief deshalb zur
Überparteilichkeit auf. Während er der schwarz-roten Regierung eine
Zusammenarbeit beim Kampf gegen Rechtsextremismus und bei der
Integration der Flüchtlinge anbot, warf Grünen-Kollege Volkmar Zschocke
der Koalition ein Glaubwürdigkeitsproblem vor. Er verlangte ein Ende der
Verharmlosung des Rechtsextremismus. Die Ursachen für die Eskalation
seien offensichtlich: "Zu lange Verständnis für Pegida. Zu lange
Schönreden, Relativieren oder Ignorieren. Zu langes Schweigen der
Mehrheit."
AfD-Fraktionschefin Frauke Petry attackierte Tillich scharf und nannte
dessen Rede eine "Schande", da die wahren Probleme darin nicht
vorgekommen seien. "Ihre Sandmann-Rede hat wieder einmal den Bürgern
Sand in die Augen gestreut und nicht die wahren Probleme adressiert",
sagte sie. "Das ist eigentlich für eine Sondersitzung eine Schande. Und
ich möchte das Wort ganz bewusst benutzen, weil so viel immer wieder von
Schande gesprochen wird, wenn es um die Bürger geht, die sich angeblich
oder tatsächlich falsch verhalten haben", sagte Petry.
"Wie muss sich jemand fühlen, der vor Bomben und Granaten geflohen ist,
vor Schüssen und Hetzjagden, und jetzt bei uns mit Sprengkörpern und
Hasstiraden empfangen wird", fragte der SPD-Fraktionsvorsitzende Dirk
Panter. Der CDU-Fraktionsvorsitzende Frank Kupfer sprach von einer
"neuen Qualität im Rechtsextremismus" und den großen Herausforderungen
bei der Unterbringung von Flüchtlingen. Er äußerte Verständnis für die
Sorgen der Bürger und verwies auf Unterschiede zwischen Christen und
Muslimen bei Eheschließungen und etwa auch beim Konsum von
Schweinefleisch und Alkohol. Nicht alle, die Fragen stellten, seien
Rechtsextremisten.
Innenminister Markus Ulbig (CDU) erläuterte das Konzept der sächsischen
Regierung zur Erstaufnahme, mit dem der Anstieg bei den
Flüchtlingszahlen aufgefangen werden soll. "Jetzt rechnen wir mit einem
Bedarf von 13500 Plätzen. Das bedeutet, dass wir bis zum Erreichen
dieser Zielzahl in jeder Woche eine Einrichtung in der Größe von 500
Plätzen ans Netz bringen müssen und werden."
Asyl-Debatte: Tillichs "Ruck-Rede" und das Liebäugeln der CDU mit der AfD
Regierungschef macht Front gegen Gewalttäter / Unionsfraktionschef Kupfer gibt den Hardliner
Von Jürgen KOchinke
Dresden. Eine klare Ansage vom Chef, gleich zwei
Fachregierungserklärungen nacheinander und zwischendurch fünf
Stellungnahmen der versammelten Fraktionschefs: Was sich gestern im
sächsischen Landtag bei der Sondersitzung zum Streitthema Asyl
abspielte, hat Seltenheitswert. Der Lage entsprechend war auch die
Besuchertribüne gut gefüllt. Dabei stand von Anfang an fest:
Regierungschef Stanislaw Tillich (CDU) wird die Rederunde eröffnen, der
Rest antwortet darauf - mehr oder weniger.
Was sagt der Regierungschef?
Tillich hat das getan, was er in den vergangenen Wochen öfter getan hat
- nur noch einen Zacken schärfer. Tillich hat in aller Deutlichkeit die
Problemlage benannt und erneut Front gemacht gegen Rassisten und
Gewalttäter. Tenor: "Eine enthemmte Minderheit besudelt und beschämt
unser ganzes Land in einem Ausmaß, das ich mir nicht vorstellen konnte",
rief er in den Saal.
Letztlich war Tillichs Beitrag das, was man eine "Ruck-Rede" nennt.
Nicht zufällig wiederholte er dabei auch jenen Gedanken an die Adresse
der Mitläufer. "Gewalttätige Extremisten und alle, die sie gewähren
lassen, die sie unterstützt haben, haben vor der Unterkunft in Freital
und an dem Wochenende von Heidenau unsere Grundordnung verlassen und
unseren gesellschaftlichen Frieden bedroht." An vielen Stellen erhielt
Tillich nicht nur Applaus von den Koalitionsfraktionen CDU und SPD,
sondern auch von Linken und Grünen. Nur bei der AfD rührte sich nichts.
Was ist die Position der Koalitionsfraktionen von CDU und SPD?
Zwischen beiden liegen seit gestern Welten, was vor allem an
CDU-Fraktionschef Frank Kupfer lag. Zwar sprach auch der mal kurz davon,
dass Sachsen ein Rechtsextremismus-Problem habe. Der Rest seiner Rede
aber war vom Inhalt wie vor allem vom Duktus her der alte
Hardliner-Stil. Kostprobe: "Dass Muslime kein Schweinefleisch essen und
keinen Alkohol trinken, kann man ja noch tolerieren, ist ja sogar
gesund." Im Kern aber, so der Tenor danach, sind diese vollkommen fremd.
Anschließend ging Kupfer die Linke mehrfach an und mahnte, die Sorgen
der Bürger ernst zu nehmen - die der deutschen natürlich.
Bei all dem hatte sich die Stimmung im Plenum komplett gewandelt: Statt
zu klatschen, protestierten Linke und Grüne jetzt, dafür erhielt Kupfer
Applaus von der AfD. Bei SPD-Fraktionschef Dirk Panter drehte sich das
Szenario dann wieder komplett. Denn der sprach sich erst dafür aus,
"dass alle ihre ideologischen Scheuklappen ablegen und am Gemeinsamen
arbeiten" sollten. Und dann platzierte er einen bemerkenswerten Satz:
"Ich hoffe, dass wir das in zwei, drei Jahren besser hinbekommen" - und
es fehlte nur noch der Zusatz "als jetzt".
Was ist die heimliche Botschaft?
Was Panter damit andeutete, war nichts weniger als eine verkappte
Kampfansage an die Adresse von Kupfer und an die CDU. Denn in drei
Jahren nähern sich bereits die nächsten Landtagswahlen in Sachsen, und
klar ist: Mit dem CDU-Fraktionschef verbindet SPD-Mann Panter reichlich
wenig bis nichts - was allerdings auf Gegenseitigkeit beruhen dürfte.
Schließlich hielt Kupfer nicht nur eine gefühlte Gegenrede zum Beitrag
von Tillich, sondern auch er machte faktisch ein politisches Fenster für
die Zeit nach 2019 auf. Damit wird klar: Die Kupfer-CDU macht sich
spätestens beim Thema Asyl nach rechts auf den Weg. Und irgendwann, so
die Spekulation, wird aus der Liebäugelei womöglich eine handfeste
Koalition.
Wie geht es weiter im schwarz-roten Bündnis?
Dem stehen schwere Zeiten bevor. Selten war so deutlich wie gestern zu
erkennen, wie tief der Graben zwischen der großen Schar von
Kupfer-Anhängern in der CDU-Fraktion und der SPD mittlerweile ist. Und
so war es kein Wunder, dass Vize-Regierungschef Martin Dulig (SPD) bei
der Rede des CDU-Manns das Gesicht regelrecht einschlief.
Welche Rolle spielten die beiden betroffenen Fachminister?
In diesem Falle keine besonders große. Innenminister Markus Ulbig (CDU)
hielt wie meistens zuletzt eine uninspirierte, fahrige Rede ohne
jeglichen Neuigkeitsgehalt. Integrationsministerin Petra Köpping (SPD)
wiederum tat das, was sie so wie immer am liebsten tut: Sie betonte das
"Gemeinsame" in der "Gesamtaufgabe Asyl". Wie so oft galt auch hier:
Während der bedauernswerte Innenminister von einem Problem zum nächsten
hetzt, pickt sich die SPD-Frau die eher netten Seiten beim Thema heraus.
Was sagt die Opposition?
Linke-Fraktionschef Rico Gebhardt lobte Tillich für dessen "neue Töne
der Nachdenklichkeit" - um umgehend sein Angebot zu erneuern: "Herr
Ministerpräsident, das ist eine Grundlage, die gemeinsames Handeln
ermöglicht." Gebhardts Grünen-Pendant Volkmar Zschocke sah das genauso:
"Herr Tillich, Ihr Appell an die Herzen, an die gemeinsame Anstrengung
für Mitmenschlichkeit klingt richtig gut." Allerdings müsse das auch
Konsequenzen haben - "Schluss mit dem Pegida-Verständnis" vor allem.
Dagegen warf AfD-Fraktionschefin Frauke Petry Tillich vor, "den Bürgern
Sand in die Augen gestreut und nicht die wahren Probleme" benannt zu
haben. Beachtlich dabei: Gleich von mehreren CDU-Abgeordneten bekam
Petry Applaus.