Fast jede Woche brennen Asylunterkünfte, es gibt gewalttätige Ausschreitungen gegen Flüchtlinge und zahlreiche Übergriffe: All dies ist weder spontan noch unorganisiert…
Der bundesdeutsche Alltag ist seit Wochen geprägt von rassistischen Anschlägen auf Flüchtlinge und ihre (geplanten) Unterkünfte. Inszenieren sich die Täterinnen und Täter oft selbst als besorgte Bürger/innen, zeigt sich in der Auseinandersetzung mit dem Thema einerseits, dass das Weltbild derjenigen, die sich gegen die Aufnahme von Flüchtlingen mit Worten oder mit Gewalt stark machen, zentrale Elemente rechtsextremen Denkens umfasst und vielfach auch mit Schlüsselbegriffen und Schlagworten aus der rechtsextremen Rhetorik aufwartet. Zugleich zeigt sich andererseits anhand des organisierten Vorgehens sowohl bei Demonstrationen wie ähnlichen Protestaktionen, aber auch bei Übergriffen und Anschlägen, dass auf die Erfahrungen rechtsextremen Organisationen zurückgegriffen wird, wenn diese nicht sogar selbst als Aufstacheler und/oder Organisatoren involviert sind. Der rassistische Protest gegen Flüchtlinge ist somit weder spontan, noch unorganisiert – und er ist Ausdruck eines rechtsextremen Weltbildes, bei dem sicher nicht alle, die gegen die Flüchtlinge demonstrieren, über ein geschlossen rechtsextremes Weltbild verfügen, aber niemand demonstriert gegen Flüchtlinge, wenn nicht mindestens einzelne Facetten dieses Weltbildes vorliegen.
Der rechtsextremen Szene ist dabei jüngst in Deutschland erfolgreich gelungen, ihre Anliegen vermehrt in die Öffentlichkeit zu tragen und auch in erheblichem Maß durch Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte, wie auch auf jüdische Einrichtungen, das Klima der Angst und Bedrohung zu verschärfen. Andererseits ist die subjektive Wahrnehmung vieler Menschen in der Bundesrepublik geprägt von Ängsten – sozialen, ökonomischen, politischen – die zwar selten rationaler Prägung sind, aber damit gleichwohl präsent und als Agitationsfolie für den Rechtsextremismus nutzbar. Denn die Bundesrepublik zählt zwar nach wie vor zu den weltweit führenden Industrienationen und ist im internationalen wie europäischen Vergleich weder zentrales Ziel des islamistischen und antisemitischen Terrorismus, noch der massiv durch ihn verstärkten weltweiten Flucht- und Migrationsbewegungen, aber trotzdem fungieren diese Themenfelder als agitatorische Gelegenheitsstrukturen für den Rechtsextremismus.
Dass eine Phase der Beschleunigung immer eine schwere Zeit für Demokratinnen und Demokraten ist, kann man spätestens seit und wegen Carl Schmitt wissen, der als wesentlicher Denker der Konservativen Revolution und Vordenker des Nationalsozialismus auch zu einem der maßgeblichen Idole im (vor allem: intellektuellen) Rechtsextremismus geworden ist: schon Schmitt pries den Modus der Beschleunigung als wesentliche Methode zur Bekämpfung von Parlamentarismus und Demokratie, sind doch Zeiten der Beschleunigung eben Zeiten, in denen weniger nachgedacht, abgewogen und reflektiert wird, in denen es weniger um Verstand und mehr um Affekte geht, in denen der Eskalationsgrad von Konflikten strukturell höher ist, gesellschaftliche und politische Auseinandersetzungen weniger dialogorientiert geführt werden, sondern von scheinbaren Sachzwängen oder ebenso scheinbar natürlichen (und damit als unwidersprechbar unterstellten) Gesetzmäßigkeiten dominiert werden. Phasen der Beschleunigung sind Phasen der Gegenaufklärung.
Zugleich engagieren sich aber – im Unterschied zu den rassistischen Anschlägen Anfang der 1990er Jahre – gegenwärtig immer mehr Menschen gegen Rassismus und für die Demokratie, auf vielfältige Weise. Und auch das mediale Klima ist, trotz aller Probleme, viel stärker als noch vor 25 Jahren sensibilisiert gegen Rassismus und Rechtsextremismus. Bei allem Engagement der Zivilgesellschaft darf aber auch nicht übersehen werden: dringend gefordert sind auch Polizei und Justiz, um den bestehenden rechtlichen Rahmen gegen den rassistischen Mob mit aller Härte auszuschöpfen – wer die Sprache der Gewalt spricht, sei es verbal oder in körperlichen Taten, dem ist nicht mit guten Worten beizukommen, sondern nur mit einer starken, wehrhaften Demokratie, in der polizeiliche Möglichkeiten vollumfänglich genutzt und bei juristischer Strafmaßermittlung die Schwere und Vorsätzlichkeit der Taten vollumfänglich berücksichtig wird. Und hier liegt eine der zentralen Diskrepanzen im bundesdeutschen Föderalismus: Während es aufgrund des vorhandenen politischen Willens und des polizeilichen Engagements in Niedersachsen gelingt, Tatverdächtige eines rassistischen Mordanschlagversuchs nach einem Tag Ermittlungsarbeit zu verhaften, hat man in Sachsen den Eindruck, dass weder Politik noch Polizei auch nur ein minimales Interesse an der ernsthaften Bekämpfung von Rassismus und Rechtsextremismus haben.