Das Kernkraftwerk Krümmel hat mit einer beispiellosen Pannenserie zum Imageverlust der Atomkraft in Deutschland beigetragen. Jetzt beantragt Vattenfall den Rückbau des Meilers zur "grünen Wiese".
Schwelbrände, Schnellabschaltungen, Stromausfälle: Das Kernkraftwerk Krümmel bei Hamburg galt in den vergangenen Jahrzehnten unter Atomkraftgegnern als sichtbarster Ausdruck nuklearer Risiken in Deutschland. Mit einer nicht enden wollenden Pannenserie trug der von den Energiekonzernen Vattenfall und E.on betriebene Meiler wohl maßgeblich zum Imageverlust der Atomkraft in Deutschland bei.
Jetzt soll das Mahnmal der Atomkraftrisiken vom Erdboden verschwinden. Der operative Betreiber Vattenfall beantragte zu Wochenbeginn bei der Atomaufsicht Schleswig-Holstein den Rückbau der Anlage zur "grünen Wiese".
Nach einem langwierigen Genehmigungs- und Rückbauprozess soll in 15 bis 20 Jahren vom Meiler nichts mehr zu sehen sein: Nur ein Zwischenlager für abgebrannte Brennstäbe wird 2035 am Elbufer bei Geesthacht südöstlich von Hamburg noch an den AKW-Standort erinnern.
Neben dem Atomkraftwerk in Geesthacht befindet sich seit dem Jahre 2006 noch ein Zwischenlager, in dem vor allem Castorbehälter mit abgebrannten Brennstäben gelagert werden.
Überraschender Zeitpunkt
Der Rückbauantrag zu diesem Zeitpunkt überrascht: Beobachter hatten erwartet, dass Vattenfall das seit Jahren stillgelegte AKW so lange stehen lässt, bis die verschiedenen Schadenersatzklagen des Konzerns gegen die Bundesregierung zu den Folgen des Atomausstiegs entschieden sind. Doch die Juristen des Konzerns sind offenbar der Ansicht, dass ein Abriss der Anlage keinen Einfluss auf die Rechtsposition des Konzerns in den Verfahren hat.
Der Konzern reichte den Abrissantrag zu Beginn dieser Woche bei der zuständigen Aufsichtsbehörde, dem Ministerium für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume (Melur), in Kiel ein.
"Der Verlauf des Genehmigungsverfahrens in Brunsbüttel dient uns als Erfahrungsbasis – die Erfahrungen, die wir bereits gesammelt haben, fließen in Krümmel mit ein", erklärt Pieter Wasmuth, Geschäftsführer der Vattenfall Europe Nuclear Energy, die Entscheidung für den Antrag zum jetzigen Zeitpunkt: "Deshalb gehen wir davon aus, dass wir den Sicherheitsbericht für Krümmel schon in den kommenden Monaten einreichen können."
Informationen auf Facebook geplant
Der Sicherheitsbericht ist nach Konzernangaben ein wesentliches Element im Genehmigungsverfahren zur Stilllegung und zum Abbau des Kernkraftwerks und beschreibt den Gesamtprozess des rund 15 bis 20 Jahre dauernden Rückbaus. "Der Bericht ist öffentlich und informiert auch Dritte, zum Beispiel betroffene Anwohner, ob und wie sie durch das Vorhaben berührt sein könnten", sagte Wasmuth.
Vattenfall werde – wie schon in Brunsbüttel – die Öffentlichkeit am Verfahren über gesetzliche Bestimmungen hinaus beteiligen. Um den Dialog mit der Nachbarschaft und der breiten Öffentlichkeit zu intensivieren, werden sowohl Angebote vor Ort als auch Informationen über eine neue Website und auf Facebook geplant.
Mit dem Bau des Kernkraftwerks hatten die damaligen Betreiber HEW und Preußen-Elektra im Jahre 1974 begonnen. Der Meiler der Baulinie 69 der früheren Kraftwerk Union (KWU) ging 1984 ans Netz. Mit einer Bruttoleistung von 1400 Megawatt gehörte er zu den größten Siedewasserreaktoren der Welt.
Pannen häufen sich
Bereits im Mai 1986 wurde das AKW jedoch erstmals wegen eines Defektes abgeschaltet. Später häuften sich weitere Pannen. Nachdem es im Juni 2007 zu einem Brand der Transformatoren – außerhalb des Sicherheitsbereichs – gekommen war, wurde der Reaktor bis 2009 abgeschaltet.
Nach dem Wiederanfahren der Anlage im Juni 2009 kam es allerdings innerhalb weniger Wochen zu weiteren Zwischenfällen, bis hin zu einer Reaktorschnellabschaltung am 4. Juli. Das führte zu einem Teil-Blackout in Hamburg: In der Großstadt fiel der größte Teil der Ampelanlagen aus, in Einkaufszentren fehlte über Stunden Licht.
Weil auch Wasserpumpen durch den Stromausfall lahmgelegt wurden, kam es in der Folge zu Rohrbrüchen, sodass viele Haushalte von der Wasserversorgung abgeschnitten waren. Die Atomaufsicht in Kiel ordnete daraufhin eine "Zuverlässigkeitsprüfung" des Betreibers Vattenfall an.
Nach dem Nuklearunfall in Fukushima 2011 verhängte die Bundesregierung ein Moratorium. In dieser Zeit mussten die sieben ältesten Kernkraftwerke und Krümmel vom Netz genommen werden. Im August 2011 trat dann die 13. Änderung des Atomgesetzes in Kraft und unterstrich die politische Bereitschaft, aus der Atomenergie auszusteigen.
Infolgedessen wurden acht der 17 Kernkraftwerke – einschließlich der Vattenfall-Anlagen Krümmel und Brunsbüttel – sofort und endgültig vom Netz genommen. Die verbleibenden neun werden schrittweise bis Ende 2022 stillgelegt.