Ausweichen, ducken, weiterwursteln = Angela Merkel

Erstveröffentlicht: 
11.07.2015

Ausweichen, ducken, weiterwursteln Von Markus Somm.  Die Deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel ist ein Phänomen. Ohne offensichtliche Talente hat sie es sehr weit gebracht, indem sie immer im richtigen Moment – nichts tat.

Wenn es nach dem Zeitplan der EU geht, sollten wir morgen Sonntag wissen, ob Griechenland im Euro bleibt oder nicht. Noch einmal hat Griechenland in Brüssel Vorschläge unterbreitet, wie es sich reformieren will, um finanzielle Hilfe zu erhalten; noch einmal wird Hektik und Seriosität verbreitet, wo längst Verzweiflung und Unfähigkeit herrschen. Vielleicht hat niemand mehr an Glanz eingebüsst in diesen letzten Tagen als Angela Merkel, Bundeskanzlerin. Das wäre zu hoffen. Denn als Chefin des wichtigsten Landes der EU, Deutschlands, trägt sie die Verantwortung für dieses Chaos. Nicht die Griechen? Nicht die Franzosen? Nicht die EZB? Natürlich die Griechen auch und die übrigen Länder und Institutionen – aber die deutsche Regierung hat es in der Hand, das erbärmliche Schauspiel in den Ruinen von Athen zu beenden. Entweder erlässt man alle Schulden oder man entlässt Griechenland aus dem Euro. So einfach ist die Wahl inzwischen.

 

Es ist ein Stück, das auch den Deutschen, so wird mir versichert, längst zuwider ist. Merkel ist ein Phänomen. Ohne offensichtliche Talente hat sie es sehr weit gebracht, indem sie immer im richtigen Moment – nichts tat. Sie hat Kohl überlebt und virtuell gemeuchelt, ohne den Dolch in der Hand zu halten, sie hat sämtliche Nachwuchshoffnungen der CDU zerschlissen, ohne einen Finger zu rühren, sie hat Deutschland zum Blühen gebracht – ohne irgendetwas dafür geleistet zu haben. Schröder, der ungeliebte Vorgänger, hat alles getan – und durfte sich dafür abwählen lassen. Ein Kind des Glückes, könnte man meinen, aber nun dürfte Merkel zum Unglück Europas werden. Es führt nichts daran vorbei: Sie muss sich einmal entscheiden. Die ostdeutsche Pastorentochter sollte einmal etwas unternehmen, das man sieht. Meine Prognose: Sie wird es nicht fertigbringen. Ihr Weg zur Macht war ein Spaziergang, ihr Ausharren an der Macht ein Aufenthalt in der Schlafklinik, ihr Sturz von der Macht aber könnte furchtbar sein.

 

Vom Wesen der Aktion

Warum handelt Merkel nicht? Ich sage es ungern: Aber nach meinem Eindruck hat es mit ihrer Herkunft aus der DDR zu tun, einem Land, das insofern der Eurozone gleicht, als auch in der DDR jeder Bankrott jahrelang verleugnet wurde, dass auch hier ein spezieller Umgang mit der Realität eingeübt wurde, der am Ende zum Absturz führen musste. Merkel hat es verstanden, in dieser biederen Diktatur zu überleben, sie hat das geschafft, ohne sich allzu sehr zu diskreditieren, ebenso wenig aber hat sie sich durch Mut oder Dissidenz hervorgetan. Nie entschied sie etwas, das schwerwiegende Folgen gehabt hätte. Sie wich aus, sie streckte sich oder schrumpfte, sie wurstelte sich durch – in einem Land der Vierjahrespläne, der dauernd steigenden Produktionszahlen, die nie und nimmer stimmten, dem Land der gefälschten Statistiken und der geschönten Zahlen. Willkommen in Griechenland. Merkel war bestens dafür vorbereitet.

 

Oder eben auch nicht. Zu lange hat sie zugesehen. Noch heute, so macht es den Anschein, würde sie am liebsten ein wenig umschulden, den Griechen ein paar kosmetische Reformen abverlangen, die sie zu Hause als einschneidend darstellen könnte. Wäre nicht der Wähler in Deutschland, der zusehends unruhiger auf seinem Stuhl herumrutschte: Merkel würde das griechische Drama auf wagnerianische Längen ausdehnen. Finanziell wäre das wohl denkbar: Inzwischen hat man alle privaten Banken in Frankreich und Deutschland von ihren Ausständen in Griechenland befreit, indem die EZB, also der Staat, diese Schulden übernommen hat. Auf Kosten der Steuerzahler (vorwiegend in der Bundesrepublik) könnte man diese nun abschreiben. Dass man das nicht tut, wie es Sinn machen und die Griechen entlasten würde, liegt am Widerwillen der Politiker, also vor allem von Merkel, dem deutschen Steuerzahler und Wähler das volle Ausmass des eigenen Versagens zu offenbaren. Man hat Milliarden in der Ägäis versenkt – und nichts dafür bekommen, ausser Hass und Spott und eine linksextreme Regierung. Ob sich die Deutschen dessen bewusst sind? Ob sie Angela Merkel je dafür zur Rechenschaft ziehen?

 

Atlantis ging auch unter – eventuell in der Ägäis, aber dieser Kontinent hinterliess wenigstens ein paar schöne Geschichten.

 

Worauf es ankommt


Es sind nicht die finanziellen Risiken, die zu denken geben müssten, sondern die menschlichen und politischen Verheerungen. Wenn Griechenland länger auf diesem Austeritätskurs gehalten wird, der bisher nicht zum Ziel geführt hat, wird dort die politische Lage vollends ausser Kontrolle geraten. Das einzig Richtige wäre, Griechenland sich selbst zu überlassen. Ein Austritt aus dem Euro wäre wohl unvermeidlich, aber auf lange Sicht heilsam. Eine rasche Entwertung der neuen eigenen Währung gäbe der griechischen Wirtschaft den nötigen Schub, dann wären auch Reformen möglich, am liebsten liberaler Natur, was aber unwahrscheinlich scheint angesichts der griechischen Geschichte. Aber es wäre nicht mehr das Problem des deutschen Wählers, sondern des griechischen.

 

Das ist nämlich die eklatante Schwäche der EU im Vergleich zu einem normalen Land wie etwa den USA. Wenn es schon eine Haftung über die Grenzen hinweg geben soll, wenn es denn eine Transferunion sein soll, dann geht das nicht ohne mehr, transnationale Demokratie. Aus Sicht der Deutschen ist es nämlich nicht ganz fair, dass sie die Rechnungen der Griechen begleichen müssen, für Fantasiegehälter und Luxusrenten, die sich die Griechen politisch gegönnt haben. Auf Dauer gibt es keine europäische Solidarität, die ein solches Arrangement aushält. Es erinnert an Zustände in einer dysfunktionalen Familie, wo die Kinder ohne Erlaubnis der Eltern einen BMW kaufen können oder eine Ferienwohnung auf Mallorca, die die Eltern aber bezahlen müssen. Tun sie es nicht, werden sie für unsolidarisch oder für Nazis erklärt.

 

In einem echten Bundesstaat von Europa hätten auch die Deutschen jene Regierung gewählt, die in Griechenland (oder Deutschland) die grosszügigsten Renten der Weltgeschichte eingerichtet hat. Vermutlich wäre eine solche Regierung aber gar nie gewählt worden. Und die Griechen hätten sich auch nie dermassen verschulden können, selbst wenn sie das gewollt hätten. Die zentrale Regierung in Brüssel hätte das durchkreuzt.

 

Die Zukunft der EU

 

 

Heisst das, man muss auf eine weitere Zentralisierung und Demokratisierung der EU setzen? Wenn man daran glaubt, sicher. Die Frage ist bloss, ob das je funktionieren kann. Griechenland zeigt, dass die Unterschiede zwischen den alten Nationalstaaten Europas eben doch erheblich und wohl kaum je zu überwinden sind. In Amerika beruhen das Gesetz und das politische System in allen Bundesstaaten auf der englischen Tradition. Was 1215 mit der Magna Charta in England begann, setzte sich eben auch in Amerika fort. England und die USA gleichen sich politisch und institutionell viel mehr als England und Frankreich, nach wie vor. In Texas, das lange zu Spanien gehörte, finden sich keinerlei Spuren dieser Kolonialherrschaft in den Gesetzen oder den Institutionen. Kulturell mag es Differenzen geben, winzige, die sich in den Restaurants – ein wenig – erweisen, aber sonst? Texas unterscheidet sich von Ohio viel, viel weniger als der Kanton Tessin vom Kanton Baselland. Und immerhin gehören beide, das Tessin und Baselland, seit dem 16. Jahrhundert zur Eidgenossenschaft (1503 bzw. 1501). In Europa sind diese Unterschiede noch extremer. Alle, die wir in Europa aufgewachsen sind, wissen das. Und sind wir nicht stolz darauf? Der Preis dafür ist, dass die Vereinigten Staaten von Europa nie realisiert werden dürften. Es gibt Alternativen jenseits des Nationalstaates. Eine liberale Freihandelszone wäre schon ein Anfang. Aber Merkels Wurstelstaat mit dem Realitätssinn einer SED ist es nicht.

 

 

Sollte sich die EU morgen mit Griechenland einigen, werden wir in ein paar Monaten wieder über das gleiche Drama berichten. Fortsetzung folgt.

(Basler Zeitung)