"Deutsche Verbrechen in Namibia waren Völkermord"

Erstveröffentlicht: 
09.07.2015

Bundestagspräsident Norbert Lammert rechnet mit dem Verhalten des Kaiserreichs vor 100 Jahren ab / Zehntausende wurden ermordet

 

Von Christoph Sator

 

Berlin. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hat die deutschen Kolonialverbrechen im heutigen Namibia als "Völkermord" bezeichnet. Wer vom Genozid an den Armeniern 1915 im Osmanischen Reich spreche, der müsse auch die Verbrechen gegen die Bevölkerung in Deutsch-Südwestafrika so bezeichnen, schreibt Lammert in einem Beitrag für die "Zeit". "An den heutigen Maßstäben des Völkerrechts gemessen war die Niederschlagung des Herero-Aufstandes ein Völkermord."


Deutschland zählte das heutige Namibia von 1884 bis 1915 unter dem Namen Deutsch-Südwestafrika zu seinen Kolonien. Als die Herero 1904 einen Aufstand begannen und mehr als 100 Deutsche getötet wurden, ordnete General Lothar von Trotha die Vernichtung des Stammes an. Die Herero-Bevölkerung vor dem Massaker wurde auf 50000 bis 80000 geschätzt, es überlebten nur rund 15000 Menschen. Zuletzt waren erneut Forderungen an Deutschland laut geworden, die Vergehen als Völkermord anzuerkennen. Der Linken-Politiker Niema Movassat forderte, die Bundesregierung und Bundespräsident Joachim Gauck müssten "diesen Völkermord endlich anerkennen und in aller Form Namibia und die Nachfahren der Opfer um Entschuldigung bitten".


Lammert bezeichnete den Krieg der Deutschen gegen die Herero als einen "Rassenkrieg". "Nicht nur den Kampfhandlungen, sondern auch Krankheiten und dem gezielten Morden durch Verdursten- und Verhungernlassen fielen Zehntausende Herero und Nama zum Opfer, andere starben in Konzentrationslagern oder bei der Zwangsarbeit", schrieb der CDU-Politiker. Lammert hatte im April anlässlich der Vertreibung und Vernichtung der Armenier vor 100 Jahren im Osmanischen Reich ebenfalls von einem "Völkermord" gesprochen. Auch Gauck schloss sich dieser Bewertung zur Verärgerung der Türkei an. Die Regierung in Ankara lehnt den Begriff Völkermord entschieden ab. Sie zweifelt auch die Opferzahl an, die von armenischer Seite mit bis zu 1,5 Millionen Menschen angegeben wird.


Gerade in diesen Tagen wird an die Vorkommnisse im heutigen Namibia erinnert. Als die Südafrikaner zu Beginn des Ersten Weltkriegs in Deutsch-Südwestafrika einmarschierten, stießen sie nur auf geringen Widerstand. Die Kolonialtruppen des deutschen Kaiserreichs kapitulierten schnell: Sie waren zahlenmäßig unterlegen und fast ohne Nahrung, als sie am 9. Juli 1915, heute vor genau 100 Jahren, ihre Niederlage einräumten. Auch in der Bevölkerung fanden sie keine Unterstützung. Vor allem seit ihrem blutigen Niederschlagen des Herero-Aufstands einige Jahre zuvor waren sie bei den schwarzen Bewohnern der Kolonie verhasst. In Bremen erinnert das bislang bundesweit einzige Mahnmal an das Massaker der Deutschen.