Die »Lange Woche der Rigaer Straße« versetzt Berliner Polizei und lokale Medien in höchste Erregung, doch bisher blieben »Krawalle« aus
Dem Anwohner, der am Montag abend in die Rigaer Straße kam und von einem Polizeitrupp unsanft in seinen Hauseingang gedrängt wurde, machten die Beamten gleich klar, wer in den nächsten Tagen das letzte Wort hat im Kiez. »Es ist Straßenfest«, sagten sie dem angesichts des gewalttätigen Vorgehens verdutzten Mieter. Das musste als Erklärung für das martialische Auftreten reichen. Das furchterregende Fest entpuppte sich schließlich als Open-Air-Kino – ein paar Leute saßen auf dem Bürgersteig und schauten einen auf die Hauswand projizierten Film.
Es ist »Lange Woche der Rigaer Straße«, und einige alternative Hausprojekte feiern ihr 25jähriges Bestehen. Das wird zum Anlass genommen, tief ins Arsenal der Repressionsinstrumente zu greifen: Trupps von Bereitschaftspolizisten laufen forschen Schrittes durch die versammelten Menschen, Beamte in Zivil spitzen die Lauscher, über den Köpfen kreist ab und an ein Hubschrauber. Auf Pfefferspray und Wasserwerfer wurde bisher verzichtet, aber die Woche ist ja noch lang.
Im Kiez rund um die Straße im Stadtteil Friedrichshain bündeln sich die Auswirkungen der Gentrifizierung wie unter einem Brennglas. Da sind zum Beispiel die Luxusneubauten, in denen am letzten Freitag Richtfest gefeiert wurde. Eine Freifläche wurde für das nun abgeschottete Areal bebaut, auf der Brache trafen sich bis vor einiger Zeit immer wieder die Kiezbewohner. Nun steht da die Trutzburg aus Glas und Beton. »Wir wollen nicht einfach zusehen, wie hier alles blankgeputzt wird und bezahlbarer Wohnraum verschwindet«, heißt es in einem Aufruf der Organisatoren der »Langen Woche«, der an jeder Haustür des Viertels klebt. Sie wünschen sich einen »solidarischen, widerständigen Kiez« und laden alle Nachbarn ein, mitzufeiern. Um »Leben auf die Straße zu bringen« und »Kritik am herrschenden System« und der »Stadtpolitik« zu üben, wollen sie nicht »vorher den Bezirk oder die Polizei« fragen, ob es denn gerade passe - »wir nehmen uns den Raum, den wir brauchen«.
Das verstand die Exekutive als Kampfansage, und Medien von Bild (Schlagzeile »Chaoten planen eine Woche Krawalle«) bis Tagesspiegel (»Polizei fürchtet Ausschreitungen bei linksautonomer Aktionswoche«) griffen die Interpretation dankbar auf. Obwohl es keine Tatverdächtigen gibt, wurde ein Brand am Wochenende auf einer einige Straßenzüge entfernten Baustelle zum Anlass genommen, weiter gegen die Initiatoren des Straßenfestes zu hetzen. Unbekannte Hacker bedankten sich laut einem Bekennerschreiben in der Nacht zu Donnerstag offenbar mit der Lahmlegung der Website des Springerblatts B.Z. für die Stimmungsmache.
Die Krawallreporter sitzen seit Wochenanfang gebannt in den Startlöchern, doch irgendwie will es nicht so richtig losgehen mit den sieben Tagen »Ausschreitung«. Verlass ist auf die Polizei, die sich bis Mittwoch noch im Hintergrund hielt, am Abend aber nur noch schwer im Zaum zu halten war. Vor einem Hausprojekt in der Liebigstraße war ein Umsonst-Flohmarkt aufgebaut – Grund genug mit Schutzausrüstung einzureiten, Rangeleien zu beginnen und Kartons voller Secondhandklamotten zu konfiszieren. Einsatzleiter Thomas Böttcher begründete das harte Vorgehen damit, dass keine Genehmigung für den Flohmarkt vorliege, außerdem solle später noch ein illegales Punkrockkonzert stattfinden. Personen, die auf Straßen sitzen, stünden auch im Visier. »Wir warten erstmal ab, lassen aber keine rechtsfreien Räume zu«, ließ Böttcher gegenüber junge Welt wissen und keine Zweifel an der weiteren Präsenz aufkommen. Zudem gehe es auch um die »Nachtruhe der Anwohner«. Aus dem Punkrockkonzert wurde schließlich ein Balkonauftritt von zwei Musikern der Band »Dampf in allen Gassen«, die auf der Akustikgitarre linke Lieder zum besten gaben. Mit einem riesigen Flutlicht vertrieb die Polizei am späten Abend dann die Menschen nach und nach von der Straße. Bilanz des Abends laut Aussage eines Polizeisprechers am Donnerstag: 270 Beamte im Einsatz, sieben Anzeigen aufgenommen – es wurde wohl Pyrotechnik gefunden. »Sachbeschädigungen« habe es gegeben, ein Stein soll auf ein Polizeifahrzeug geworfen worden sein.
Workshops, Konzerte und Infoveranstaltungen stehen noch bis Sonntag auf dem Programm der »Langen Woche der Rigaer Straße«. Zurückhaltung der Zaungäste von der Staatsmacht und inhaltliche Ausgewogenheit in der Berichterstattung über die Aktionswoche sind weiterhin nicht zu erwarten.