Interview mit bedrohter Politikerin: "Selbstverständlich mache ich weiter"

Erstveröffentlicht: 
07.07.2015

Die Dortmunder SPD-Lokalpolitikerin Dorothea Moesch wird sich weiter für Flüchtlinge einsetzen und von rechtsextremer Gewalt nicht einschüchtern lassen: Das hat die 50-Jährige, die von Neonazis massiv bedroht worden war, im Interview mit dem WDR deutlich gemacht.

 

Die Dortmunderin, die seit 13 Jahren wegen einer Gelenkserkrankung auf den Rollstuhl angewiesen ist, hatte in der vergangenen Woche eine Pro-Flüchtlings-Demo angemeldet. Das Dokument der Polizei mit ihrer Telefonnummer als Anmelderin gelangte in die Hände der Neonazis. Darauf hin begannen die Bedrohungen.

 

WDR: Als der erste Drohanruf kam, Dienstag vor einer Woche (30.06.2015), da waren Sie noch auf dieser Demonstration. Da kam dieser Anruf ja noch so aus dem Nichts. Was ist Ihnen da durch den Kopf gegangen?

 

Dorothea Moesch: Zuerst habe ich es überhaupt nicht verstanden, da war ja noch dieser Lärm. Da habe ich erst zwei- dreimal nachgefragt, wer ist da. Und irgendwann habe ich dann verstanden, was sie mir da zugeschrien haben.

 

WDR: Und was war das?

 

Moesch: "Du Hexe wirst brennen, genauso wie die anderen Fotzen auch."

 

Was ich da empfunden habe...Totale Irritation, Verwunderung, Angst und vor allem auch Ekel. Unheimlichen Ekel und Zorn. Da habe ich aufgelegt und bin direkt zur Polizei gegangen und habe Anzeige erstattet gegen Unbekannt.

 

WDR: Dann gab es ja am gleichen Abend noch einen zweiten Anruf.

 

Moesch: Richtig. 23 Uhr, Privatleben, ich sitze mit meinem Mann zuhause. Da klingelt wieder das Handy, wieder unterdrückte Nummer. Und da sagte dann jemand: '"Wir kriegen euch alle. Wir stehen vor deiner Tür.'"

 

WDR: Und wie ist es Ihnen da gegangen?

 

Moesch: Da wurde mir mal richtig mulmig. 110 angerufen und in Minuten, weil die Wache ja vorgewarnt war, war die Polizei da.

 

WDR: Sie zeigen eine riesige Zivilcourage: Dass Sie damit an die Öffentlichkeit gehen und sagen, ich lasse mir das nicht gefallen. Wie sehr fühlen Sie sich von der Polizei unterstützt?

 

Moesch: Also vor allem von der Wache Dortmund-Mengede ganz toll. Richtig klasse. Auch, dass jetzt ermittelt wird, finde ich gut. Auf der anderen Seite, die Polizei kann auch nicht überall sein. Sie kann auch nicht mehr machen als arbeiten.

 

WDR: Es gibt aber jetzt dieses Ermittlungsverfahren, weil nicht geklärt ist, wie denn die Genehmigung für die Pro-Flüchtling-Demo - die Sie ja angemeldet hatten - wie dieses Schriftstück mit Ihren Daten tatsächlich ins Internet gekommen ist. Da ermittelt Polizei gegen Polizei. Was sagen Sie dazu?

 

Moesch: Es ist einerseits erschreckend, dass gegen die Polizei ermittelt werden muss. Weil ich das eigentlich auch immer als eine Gewalt gesehen habe im Staat, die Demokratie garantiert. Auf der anderen Seite, wenn die Gefahr ist, dass da Schweinigel drin sitzen, dann finde ich es sehr richtig, dass ermittelt wird.

 

WDR: Also Ausgang ungewiss. Weil ja noch alles offen ist, was da passiert ist. Erklären Sie uns doch mal, wie Ihre allgemeine Situation in Dortmund ist. Sie erleben auch als Rollstuhl-Fahrerin offene Anfeindungen von Neonazis. Was passiert Ihnen da?

 

Moesch: Ja, zum Teil werde ich von ihnen angesehen, ganz bewusst, wie ein besonders widerliches Insekt. Oder vor mir wird ausgespuckt. Oder es gibt auch mal Bemerkungen wie: "Unter Hitler hätte es das nicht gegeben" oder: "Lebensunwertes Leben hat hier nichts zu suchen."

WDR: Was machen Sie dann?

 

Moesch: Das kommt immer auf die Tagesform an. Entweder ich gebe einen Spruch zurück oder ich fahre weiter.

 

WDR: Was wünschen Sie sich von uns Bürgern? Wie können wir Ihnen helfen?

 

Moesch: Kein Mitleid haben, das ist erstmal wichtig. Und alle Bürgerinnen und Bürger einfach ernst nehmen, die gegen Nazis aufstehen. Also ganz ab von mir als Person, einfach dass diese Stadtgesellschaft wirklich kollektiv aufsteht und sagt, das wollen wir nicht, das sind keine Dortmunder, und die gehören hier einfach weg.

 

WDR: Haben Sie nach diesen Vorfällen denn nicht einfach auch Angst?

 

Moesch: Am Anfang hatte ich richtig Angst. Angst ist schwer zu beschreiben. Es ist natürlich etwas, was da ist. Vorsicht, Bammel, wie auch immer. Aber irgendwann hat dann der Verstand übernommen. Und ich weiß jetzt: Die Angst ist da, aber sie bestimmt mich nicht.

 

WDR: Denken Sie seitdem auch manchmal: Jetzt erst recht!?

 

Moesch: Das sowieso. Aber jetzt hat der Verstand übernommen. Ich sage mir: Ich kann Angst haben, aber das ändert nichts. Insofern kann ich auch mit Angst handeln.

 

WDR: Das heißt, Sie werden mit Ihrem Engagement für Flüchtlinge und gegen Neonazis weitermachen?

 

Moesch: Aber selbstverständlich!

 

WDR: Und wann werden Sie zur nächsten Demo gehen?

 

Moesch: Wenn eine anliegt! Im Moment gibt es noch keine Termine. Aber ich war schon am letzten Samstag - da war ich zwar nicht Anmelderin - aber da war ich schon auf der nächsten Demo gegen Nazis.

 

WDR: Mit einem mulmigen Gefühl?

 

Moesch: Nein, mit einem Megaphon.