Seit dem 22. Juni 2015 wird das ehemalige Hotel „Leonardo“ in Freital als zwischenzeitliche Erstaufnahmeinrichtung genutzt. Seitdem kommt es immer wieder zu „Nein zum Heim“-Kundgebungen. Circa 100 Leipziger unterstützten am vergangen Freitag die Flüchtlinge vor Ort. L-IZ.de hat sie begleitet.
Freital, am Rand von Dresden gelegen, jagt seit vergangener Woche durch die Medien. Das Städtchen mit 39.276 Einwohnern und einem CDU-Bürgermeister namens Uwe Rumberg, welcher am 7. Juni 2015 im ersten Wahlgang seinen Parteikollegen Klaus Mättig mit über 51 Prozent beerbte, macht zurzeit sein Asylbewerberheim bundesweit bekannt. Worte wie “Pegida-Kernland” machen die Runde, Lutz Bachmann wohnt im beschaulichen Tal.
Hier sollen demnächst weitere 280 Flüchtlinge unterkommen, kurzfristig hat das sächsische Innenministerium am 22. Juni eine neue Erstaufnahmeeinrichtung hierher gelegt. Der letzte Tropfen vielleicht, denn einige in der Region sind längst so sehr in Rage, dass sie das Heim schon vorher attackierten. Die Gewalttätigkeiten sind in Freital ein Normalzustand. Bereits seit März 2015 kommt es regelmäßig zu Übergriffen (siehe Chronik). Nicht nur das Objekt ist davon betroffen, sondern auch die Bewohner.
Am vergangenen Freitag, den 26. Juni, machten sich über 100 Menschen von Leipzig nach Freital auf. Die Gruppe „No Legida“ hatte zu einer gemeinsamen Busfahrt eingeladen. Finanzielle Unterstützung erhielt sie dafür von den Grünen, der Linken und der SPD. Für einige CDU-Mitglieder ist dies “Eventtourismus”, sie nennen es Unterstützung für die enigen Wackeren vor Ort. Gemeinsam mit zirka 500 anderen Menschen aus Sachsen und darüber hinaus, wollte man zeigen, dass die Flüchtlinge nicht allein, dass sie willkommen sind.
Kundgebungen, die sich schützend vor das Heim gestellt haben, kamen schnell zustande. Zunächst durch wenige Freitaler selbst, dann kamen einige Unterstützer aus Dresden hinzu.
Die Polizei musste bei den Protesten regelmäßig vor Ort sein. Der Leipziger Bus erhielt konsequente Polizeibegleitung durch die komplette Stadt. Pressesprecher Thomas Geithner sprach von 120 Beamten in der vergangen Woche. 50 Weitere wurden am Freitagabend zusätzlich bereitgestellt, um die Lage abzusichern. Erneute Übergriffe konnte die Polizei irritierenderweise auch an diesem Abend wieder nicht verhindern. Den Geruch von Selbstjustiz in der Stadt ebenfalls nicht.
Die Kundgebung von der „Nein zum Heim“-Initiative war, im Vergleich zu den Vortagen, besser besucht. Bis zu 220 Teilnehmer sollen zusammengekommen sein, so die Polizei im Nachgang. Ein Grund dafür könnte die Mobilisierung von Neonazis gegen die Asylbefürworter an diesem Tag gewesen sein. Bei den Asylgegnern zeigte sich ein bekanntes Bild. Ein angetrunkener Ordner lief umher und ging Medienvertreter an. „Von welchem Sender bist du“, fragte Ronny. „Antifa?“ Von hinten pfiff eine Ordnerin ihn zurück. „Nein, das ist schon in Ordnung.“
Später kam Ronny noch einmal zurück und nuschelte „Du musst verstehen, dass wir hier unter uns bleiben wollen.“ Die Gegenfrage erfolgte prompt. „Warum macht man dann eine Kundgebung?“. Er zuckte nur mit den Armen und ging weiter.
Man zeigte sich gewohnt gewaltbereit, auch untereinander gingen die Fäuste um. Zwei Gewahrsamnahmen musste Polizeisprecher Geithner vermelden. „Nein zum Heim“-Ordner waren durch die stark alkoholisierten Teilnehmer der eigenen Demonstration angegriffen worden. Offiziell äußerte sich die Polizei nicht zur Aggressivität der Teilnehmer. Aus anderen Quellen war zu erfahren, dass sie als äußert gewaltbereit eingeschätzt wurden – „Kategorie Rot.“
Auf der anderen Seite bekamen die von der Polizei isolierten Rassismusgegner wenig mit. Die Rap-Gruppe Antilopen-Gang gab ein kurzfristig organisiertes Konzert. Kurz zuvor hatte der Leipziger Grünenpolitiker Jürgen Kasek als Anmelder einige Worte an die Kundgebungsteilnehmer gerichtet. Für ihn war klar, wer für die Lage verantwortlich ist: Die Sächsische Regierung, allen voran Innenminister Markus Ulbig, welcher mittlerweile sogar von eigenen Parteifreunden für die teils chaotische Planung bei Erstaufnahmeeinrichtungen und Asylunterkünften kritisiert wird.
Sieht man sich die Bilanz an, passt Freital ins Sächsische Muster. Mit der Polizeireform 2020 hatte man bereits für eine chronisch überlastete Polizei gesorgt, Fußball- und Pegidaeinsätze haben der Motivation mancher Beamter den Rest gegeben. Der politische Umgang mit Pegida & Co. war durch Beschwichtigung, geheime Treffen und Verständnis geprägt, anstatt sich klar gegen Menschenfeindlichkeit zu positionieren. In Sachen Asylpolitik gibt man sich wenig kommunikativ in Richtung der Kommunen. Seit 2014 versucht Sachsens Innenministerium vor allem durch hohe Abschiebezahlen zu glänzen.
Kasek bezeichnet den Ort mittlerweile als “Freital der Angst”, ein Eindruck, welcher an diesem Tag in der Sächsischen Schweiz nicht wenige beschlich. Mit dem Ende der „Nein zum Heim“-Kundgebung zogen viele Teilnehmer unter Nazi-Parolen umher und warteten auf eine Konfrontation mit den Rassismusgegnern.
Fast eine dreiviertel Stunde verzögerte sich die Abreise der Leipziger und vieler anderer Flüchtlingsunterstützer, weil Polizeibeamte gegen Asylgegner vorgehen mussten. Mit verschiedenen Gegenständen hatten sie versucht, ihre Kontrahenten zu bewerfen. Ein Leipziger wurde dabei verletzt. Erst als die Beamten sich dazu entschlossen, stärker gegen die Heimprotestierer vorzugehen, entspannte sich die Lage. Noch bis in die Nacht hinein, berichteten Flüchtlingsunterstützer auf ihrer Abreise von Jagdszenen durch die Stadt, die nur durch Beamte gestoppt werden konnten.
L-IZ.de hat mit Philipp (23), dem Verletzten aus Leipzig, über seine Erlebnisse vor Ort gesprochen.
Alexander Böhm (AB): Warum bist du nach Freital gefahren?
Philipp (P): „Aus dem gleichen Grund wie alle Anderen, um die Refugees vor dem Mob und den Nazis zu schützen. Ich habe gedacht, dass nichts passiert.“
AB: Was ist dir passiert?
P: Nachdem sich die rechte Demo aufgelöst hatte, zogen die Rechten zum Toom-Baumarkt. Einige Antifas hatten sich auf einer Treppe versammelt. Es gab dann verbale Provokationen. Die Polizei hat dann die rechten Demonstranten getrennt. Dann kam ein Behälter mit einer Flüssigkeit geflogen. Ich kann nicht sagen, was es war. Das Ergebnis bekam ich dann in der Notaufnahme. Die Flüssigkeit enthielt eine Säure. Am Auge wurde mir die oberste Schicht verätzt. Das Auge wurde verbunden. Ich muss in den nächsten Wochen zu Nachkontrollen. Es war weder eine positive noch negative Aussage zur weiten Entwicklung.
AB: Was erwartest du für die Zukunft?
P: Von Seiten Sachsens erwarte ich eine Reaktion, dass die Verantwortlichen sich das selbst mal anschauen.
AB: Aber Ministerpräsident Stanislaw Tillich besuchte das Heim bereits …
P: Es ist notwendig, dass sich die komplette Sächsische Regierung das anschaut und der Polizeipräsident von Sachsen. Zu den Protesten hoffe ich, dass sich noch mehr Leute angesprochen fühlen. Ich werde mich nicht unterkriegen lassen.
Chronologie der Übergriffe laut der Opferberatung Sachsen RAA
- 06.03. Bei einer Demonstration gegen das Heim werden Feuerwerkskörper gezündet. Polizisten und Journalisten wurden angegriffen. Heimgegner versuchten auf das Gelände zu kommen.
- 31.03. Eine Asylsuchende wurde in einem Bus des öffentlichen Nahverkehr beleidigt und geschlagen.
- 20.04. Zwei Männer wollten einen Brandsatz werfen. Sicherheitskräfte verhinderten es.
- 30.04. Unbekannte Täter warfen einen Stein durch ein Fenster des Heims, bei dem ein Flüchtling am Kopf verletzt wurde.
- 01.05. Bei der Demonstration „Nein zum Heim“ wurde ein Pressevertreter durch Teilnehmer bedroht und angegriffen.
- 04.05. Unbekannte warfen Feuerwerkskörper auf das Heim.
- 05.05. Drei junge Männer attackierten einen Heimbewohner mit Flaschen und Fäusten, so dass er im Krankenhaus stationär behandelt werden musste.
- 08.05. Bei einer Demonstration gegen das Heim werden ein grüner Landtagsabgeordneter und ein Fotojournalist bedroht. Der Journalist wird geschlagen.
- 23.05. Am Bahnhof Freital Deuben griffen 10 Personen einen Heimbewohner an. Neben Schlägen ins Gesicht wurde Pfefferspray eingesetzt.