Zweiter Appell an Bundestag und Öffentlichkeit - Nein zum VS-Gesetz

Bundesamt für Verfassungsschutz

Zweiter Appell an Bundestag und Öffentlichkeit Vor der Selbstunterwerfung des Bundestags unter die Wünsche der Geheimdienste Stimmen Sie am Freitag, dem 3. Juli 2015 keinem Gesetz zu, das von führenden Staatsrechtlern und der Datenschutzbeauftragten als verfassungswidrig erklärt wird !


Von Hajo Funke, Micha Brumlik und Lutz Bucklitsch

Innenpolitiker der großen Koalition planen, das so genannte „Gesetz zur Verbesserung der Zusammenarbeit im Bereich des Verfassungsschutzes“ noch am letzten Sitzungstag des Bundestags vor den Parlamentsferien – nach Plan in genau 50 Minuten, exakt zwischen 13 Uhr 05 und 13 Uhr 55 –  im Schweinsgalopp durchzubringen. Und zwar  trotz einer überraschend massiven Kritik in der öffentlichen Anhörung des Innenausschusses vom 8. Juni 2015


Generalermächtigung

(1)Das Bundesamt für Verfassungsschutz erhält nach diesem Gesetz eine Allzuständigkeit: Alles das, was überhaupt sicherheitspolitisch interessant sein könnte, darf erfasst werden. Die Datenschutzbeauftragte hält die neuen Befugnisse des BfV für einen verfassungsrechtlich nicht haltbaren Paradigmenwechsel.[1] Das BfV erhält eine neue Rolle, die über die in Art. 87 Grundgesetz vorgesehene Zentralstellenfunktion hinausgeht und gegen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Grundgesetz) verstößt.


Verfassungswidrige Unkontrollierbarkeit

(2) Es ist darüberhinaus weitestgehend in das Belieben des Bundesamts und seiner Leitung gestellt, was es mit der schier unbegrenzten Datenfülle tut. Nach dem von Professor Bäcker (in der Anhörung vom 8. Juni 2015) als verfassungswidrig bezeichneten Artikel Paragraph 23, 2 des Bundesverfassungsschutzgesetzes hat das Bundesamt auch weiterhin keine Weiterleitungspflicht an die Strafverfolgungsbehörden. Stattdessen ist es in das Belieben des Bundesamts gestellt, unter welchen Bedingungen es Daten wann wie weiter gibt. Das erlaubt die Fortsetzung einer Praxis des Verfassungsschutzes, die wesentlich zum Scheitern der Sicherheitsbehörden geführt hat, die NSU-Mordserie zu erkennen und aufzuhalten. Der Entwurf dürfte, so Andrea Voßhoff, vor dem BVerfG keinen Bestand haben. In mindestens den Punkten 1 und 2 ist dieses Gesetz verfassungswidrig. Es gibt entsprechende Bestrebungen, nach Verabschiedung dieses Gesetzes vor dem Bundesverfassungsgericht zu klagen.[2]


Sanktionierung Gewaltkrimineller – Im Ausnahmefall. Wenns dem Behördenleiter recht ist …

(3) Der Einsatz menschlicher Quellen, so genannter V-Leute, in Bestrebungen gewaltgefährlicher Delikte wird verstärkt und de facto absolut gesetzt. Spitzel sollen auch – nach einem von den Regierungsfraktionen eingebrachten und nun vorliegenden Änderungsantrag mit einigen gewundenen Ausnahmeregelungen – de facto weiter beschäftigt werden können, auch wenn sie schwere Straftaten begangen haben oder begehen.[3] Es ist dann in das Belieben des Behördenleiters gestellt, wie mit ihnen verfahren werden darf. Der Behördenleiter aber  steht jenseits jeder effizienten Kontrolle.[4]

Out of control

(4)Die Anhörungen im Innenausschuss haben klargemacht, dass dieses Gesetz eine Generalermächtigung für eine unkontrollierte Superbehörde  darstellt und Parlament sowieparlamentarische Kontrolle  zu einer nur noch symbolischer Funktion und damit zu einem Feigenblatt macht.[5] Mit der Verabschiedung des Gesetzes wird ein Amt mit einer Allzuständigkeit neu legitimiert, das katastrophal versagt hat, in der Aktenvernichtungs-„Aktion Konfetti“ seine Schuld eingestanden hat und wesentlich zum NSUSkandal – der Nichtaufklärung der NSU Mordserie – beigetragen hat. Dies geschieht ohne eine auch nur ansatzweise in Gang gebrachte Selbstaufklärung des Amts; es ist ohne Glaubwürdigkeit und Kontrolle und damit auf eine spezifische Weise geschwächt, auch und gerade gegenüber den neuen internationalen Sicherheitsanforderungen. Bis auf eine allgemeine  jährliche, geheime Berichtspflicht vor dem – schwachen – parlamentarischen Kontrollgremium gibt es weiterhin keinerlei Kontrolle, die der geplanten Allzuständigkeit auch nur annähernd gewachsen wäre. Das Gesetz enthält buchstäblich kein Wort zur Verbesserung der internen und externen Kontrolle,  wohl aber 261 Stellen für den IT-Ausbau nicht nur dieses Amts, im Grunde ein eigene Behörde ohne Ausweis dessen, was in ihr geschieht: eine black box in der black box. Das heißt: das rechtsstaatliche Gebot der Einhegung einer Behörde im de facto Ausnahmezustand ist in der Vorbereitung des Gesetzes durch das BMI nicht einmal wahrgenommen worden. Das Amt bleibt ein unkontrollierbares Schattenreich, ein Mammutunternehmen.[6] Ein Staat im Staat, ja ein „tiefer Staat“


Selbstaufgabe des Parlaments

Mit der Verabschiedung dieses Gesetzes begibt sich das Parlament daher seiner eigentlichen Kompetenz. Es vergibt das Erstgeburtsrecht der Kontrolle, ohne auch nur die geringste Gegenleistung .Das ist nichts weniger als eine Selbstaufgabe in den letzten Minuten des Parlaments vor der Sommerpause.

Die Empörung der NSU-Opfer

Der Vertreter der Nebenkläger im Münchner NSU-Prozess, Rechtsanwalt Sebastian Scharmer, hat in der Anhörung des Bundestags im Innenausschuss die große Enttäuschung, ja die Wut und das Unverständnis im Namen der vertretenen Opferfamilien formuliert: „Sie erlauben alles, was sie im Untersuchungsausschuss Abschlussbericht kritisiert haben!“

Dieses Gesetz führt zu keiner Verbesserung des Verfassungsschutzes  und damit der Sicherheit der  Bürger, es behebt darüber hinaus keines der Probleme, die im Untersuchungsausschuss des Bundestags festgestellt worden sind. Es ist daher keine Reformkonsequenz aus den Ergebnissen des Untersuchungsausschuss des Bundestags. Die mit diesem Gesetz geplante Stärkung des Verfassungsschutzes und seines Bundesamts ist eine Gefahr für den Rechtsstaat und die Sicherheitsstatik – und damit ein Sicherheitsrisiko. Es ist daher eine Irreführung der Öffentlichkeit, wenn behauptet wird, man ziehe Konsequenzen aus der NSU Mordserie und aus den Erkenntnissen des Untersuchungsausschusses des Bundestags


Bruch der rechtsstaatlichen Tradition der Sozialdemokratie – und des Parlaments

Dieses Gesetz bricht mit der rechtsstaatlichen Tradition der beiden Regierungsparteien, die dieses Gesetz eingebracht haben. Will die Sozialdemokratie – wie die CDU – mit einem Schlag zugunsten einer unkontrollierten und angeschlagenen Superbehörde einen Blankoscheck ausstellen und ihr rechtsstaatliches Erbe verspielen?1 Wir fordern die Abgeordneten des Bundestags auf, keinen Blankoscheck durchzuwinken und für eine angemessene Kontrolle des Verfassungsschutzes einzutreten.

Berlin, den 27. Juni 2015

1Der Staatsrechtler Ralf Poscher im Spiegel vom 25.4.2015: „Wenn V-Leute in Zukunft gesetzlich legitimiert lügen dürfen, wäre das die falsche Schlussfolgerung aus dem NSU-Skandal.“ „Unter Umständen könnte sogar eine Körperverletzung straffrei bleiben, bei der das Opfer sein Augenlicht verliert. Ich will nicht hoffen, dass der Gesetzgeber das wirklich so will. Im übrigen glaube ich nicht, dass das Gesetz vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand hätte.“ „Das ohnehin schon bestehende Missverhältnis (zwischen Geheimdienst und parlamentarischer Aufsicht) wird noch ausgeprägter – und das trotz der fragwürdigen Praktiken des Verfassungsschutzes, die während der NSU-Aufarbeitung zu Tage getreten sind.“

[1] Dies soll nun vom Amt bestimmten Kriterien der „Relevanz“ geschehen, das heißt ohne dieverfassungsrechtlich erforderliche Begrenzung der Aufgaben des BfV. Mit der Neugestaltung von Nadis können zu  Personen volle Bild- und Textdateien ohne Einschränkung gesammelt werden. Statt Indexe sind dies Volltexte, auch bei Telekommunikations- und Überwachungsmaßnahmen nach G 10. Im Gesetz sind kaum Anforderungen  an die Auswertung festgelegt. Ein Verstoß ist kaum möglich und erst recht nicht überprüfbar. Der Zugriff auf Daten der Bürger ist in der Geschichte der Bundesrepublik beispiellos.

[2]  Das Bundesamt soll im Sinne einer „Bundesoberbehörde“ (Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff (CDU)) an den Landesämtern vorbei Daten erheben und seine zentrale Stellung ausbauen. (Vgl. §6 des Gesetzentwurfs). Das entwertet die Länderbehörden und schwächt die föderale Struktur. Mit der qualitativen Ausdehnung der Definition der Zentralstellung des Bundesamts und der Unterordnung der Landesverfassungsschutzämter unter diese Allzuständigkeit wird das Trennungsgebot de facto unterlaufen.

[3] Nur  bereits verurteilte Straftäter sollen ausgenommen werden. Damit entfallen offenkundig doch (nicht verurteilte) IS-Täter, wenn der Amtsleiter es so will.

[4] Der Behördenleiter darf nach Paragraph 9 Verbindungs-Leute und Spitzel auch nach schweren Straftaten weiterbeschäftigen. Eine Einladung zur Willkür des bisher schon nicht kontrollierbaren V-Leute-Einsatzes. Ein Blankoscheck.

[5] Dass das Bundesamt wie bisher keiner effizienten Kontrolle durch die Legislative (und die Judikative) unterliegt, verschärft sich durch die im Gesetz nun verbriefte Allzuständigkeit. In den Worten des gegenwärtigen Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen in der Anhörung des Innenausschusses vom 8. Juni 2015: Wir werden durch das Bundesministerium des Inneren kontrolliert.

Das parlamentarische Kontrollgremium ist wie die Datenschutzbeauftragte und wie bisher mit einer effizienten Kontrolle dieses Mammutamts völlig überfordert. Es fehlt an Ressourcen und Kompetenzen.

[6] Es werden nicht einmal die Kompetenzen und Ressourcen des parlamentarischen Kontrollgremiums ausgeweitet, geschweige denn eine eigene Kontrollbehörde etabliert oder auch nur ein politischer Wille zu einer Ausweitung der Kontrollen gegenüber diesem ohnehin verselbstständigten Amt erklärt.

 

https://hajofunke.wordpress.com/2015/06/27/funkebrumlik-zweiter-appell-a...