Auf einer Pressekonferenz in Naumburg haben sich am Donnerstagvormittag die ersten Flüchtlingsfamilien, die in Tröglitz wohnen, der Öffentlichkeit vorgestellt. Der Landrat des Burgenlandkreises, Götz Ulrich, und Vertreter der Bürgerinitiative "Miteinander – Füreinander" informierten darüber, wer die Flüchtlinge sind und wie die Familien unterstützt werden sollen.
Familien hätten Umzug ablehnen können
Am Dienstag waren die ersten drei
Familien in Tröglitz eingetroffen. Das teilte der Burgenlandkreis mit.
Eine Familie stammt aus Indien und zwei aus Afghanistan und alle drei
hätten jeweils ein Kind zwischen einem und elf Jahren. Eins der Kinder
sei im schulpflichtigen Alter und werde in der Grundschule Tröglitz
lernen. Insgesamt neun Personen werden nun in der Ortschaft wohnen.
Ulrich
sagte, dass sie ihre Unterbringung in Tröglitz auch hätten ablehnen
können. Die Familien seien vor ihrem Umzug über die Geschehnisse im Ort
informiert worden. Allerdings sei das für keine der drei Familien ein
Thema gewesen. Sie hätten "sehr gefasst" reagiert. Über die Gründe,
warum die Familien ihre Heimat verlassen haben wurde mit Verweis auf das
laufende Asylverfahren nichts bekannt gegeben.
Nierth übernimmt Patenschaft
Markus Nierth, der ehemalige Ortsbürgermeister, begrüßte die Ankunft der Flüchtlinge in der Gemeinde. Er sagte auf der Pressekonferenz am Vormittag: "Teilen macht reich." Deutschland brauche vor den Flüchtlingen keine Angst zu haben. Es handele sich um kreative Menschen, die etwas aufbauen wollten.
Er kündigte an, zusammen mit seiner Frau Susanna Patenschaften für die ersten Flüchtlinge im Ort zu übernehmen. Sie wollen sich sich um zwei afghanische Familien kümmern. Die je dreiköpfigen Familien seien 60 bis 80 Tage unterwegs gewesen und aus unmittelbarer Not geflohen, berichtete Nierth.
Festhalten an Unterbringung in Tröglitz
Die Familien wurden in zwei Wohnungen untergebracht. Eigentlich sollten bis Ende Mai 40 Flüchtlinge nach Tröglitz kommen. Die für sie vorgesehene Unterkunft wurde jedoch am Osterwochenende, in der Nacht zum 4. April, von Unbekannten angezündet und ist vorerst weiter unbewohnbar.
Ulrich erklärte dazu: "Wir halten an der Unterbringung von Flüchtlingen in Tröglitz fest, auch wenn dies einige Menschen anders sehen." Grundsätzlich bleibe es bei dem Ziel, insgesamt 40 Asylbewerber in dem Ort in Sachsen-Anhalt unterzubringen.
Der Fall Tröglitz - eine Chronik
Tröglitz im Burgenlandkreis: gut 2.700 Einwohner, etwa 11,6
Quadratkilometer groß. Der Ort wurde in den Dreißigerjahren des 20.
Jahrhunderts erbaut. Damals wurden dort Arbeiter der früheren
Braunkohlen-Benzin AG untergebracht. - Im März und April 2015 wird der
Ort deutschlandweit bekannt. Grund ist der Konflikt um eine geplante
Unterbringung von Flüchtlingen. In Tröglitz stoßen Machtlosigkeit der
Politik und Angst der Bürger aufeinander. Der Konflikt eskaliert - ein
Wohnhaus brennt, Politikern wird mit Mord gedroht. MDR SACHSEN-ANHALT
dokumentiert die Geschehnisse chronologisch.
Dezember 2014: Ein Plan und viele Gerüchte
Der Gemeinderat von Elsteraue, zu der die Ortschaft Tröglitz gehört, erfährt, dass die Kreisverwaltung des Burgenlandkreises 60 Flüchtlinge in Wohnungen des Ortes unterbringen will. Die Sitzung findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Dennoch machen schnell Gerüchte im Ort die Runde.
20. Dezember 2014: Der Ortsbürgermeister tritt die Flucht nach vorne an
Markus Nierth lässt im zweimonatlich erscheinenden "Informations- und Heimatblatt der Gemeinde Elsteraue" einen Brief an seine Bürger abdrucken. Darin spricht er offen über eigene Ängste und ermutigt die Tröglitzer gleichzeitig, in dieser Situation zusammenzustehen.
"Wir möchten eigentlich keine Asylanten hier in Tröglitz haben, weil wir die bisherige soziale Struktur schon durch einheimische Kriminelle und sich unsozial benehmende Menschen genügend überanstrengt sehen. Wir ahnen, das wird Probleme geben. […] Ich möchte Ihnen deutlich machen, dass ich hier nicht von 'heile heile Multikulti' rede, daran glauben wohl nur noch Menschen, deren Wohnhäuser weit weg von Asylantenheimen stehen, wir nicht. […] Liebe Tröglitzer, geben Sie 'den Fremden' eine Chance, schon um unsretwillen, denn sonst verliert Tröglitz womöglich!"
Markus Nierth, seinerzeit Ortsbürgermeister von Trölitz im "Informations- und Heimatblatt der Gemeinde Elsteraue", Ausgabe Dezember 2014
Anfang Januar 2015: Beginn der sonntäglichen Demonstrationen
Die Angst vor Flüchtlingen treibt sonntags Tröglitzer Bürger auf die Straße. Die Versammlungen finden unter Führung des NPD-Kreisrates Steffen Thiel statt. Parallel zu den Demonstrationen organisiert Nierth mit dem Ortspfarrer Friedensgebete. Die in Anlehnung zu den "Pegida"-Aufzügen wöchentlich stattfindenden "Lichterspaziergänge" ziehen im Schnitt 70 Teilnehmer an. Nach den Worten Nierths werden zu den Demonstrationen auch viele Unterstützer "herangekarrt".
29. Januar 2015: Landrat wird über Bedenken informiert
Tröglitz‘ Ortsbürgermeister Nierth, seine Frau und der Bürgermeister der Verbandsgemeinde sprechen mit dem Landrat über die Sorgen und Bedenken der Tröglitzer, weisen dabei auf die soziale und politische Struktur des Ortes hin. Landrat Ulrich will dem Kreistag vorschlagen, nicht mehr als 40 Personen in Tröglitz aufzunehmen.
5. März: Landkreis machtlos, Nierth fassungslos
Nierth erfährt nach eigener Aussage, dass die für den 8. März angemeldete Demonstration bis vor sein Privathaus führen soll, wo eine Kundgebung geplant ist. Zur Ortschaftsratssitzung am Abend erscheint ein Beamter aus dem Landratsamt. Dieser berichtet, dass er mit NPD-Kreisrat Steffen Thiel Stunden zuvor die geplante Route abgelaufen war - auch die Straße, in der Nierth wohnt. Der Beamte beteuerte, er hätte Nierth am nächsten Morgen über die Pläne informieren wollen. Die Demo sei nicht mehr zu verhindern gewesen. Nierth kündigt noch in der Ortschaftsratssitzung seinen Rücktritt an.
6. März: Der Rücktritt
Am Freitagnachmittag gibt Nierth seinen Rücktritt vom Amt des Ortsbürgermeisters bekannt. Der Anmelder der Demo streicht daraufhin die Kundgebung vor Nierths Haus.
7. März: Enttäuschung über die Verwaltung
Nierth begründet bei Facebook seinen Rücktritt. Er bemängelt die fehlende Unterstützung durch die Verwaltung: "Was aber dem Fass den Boden ausschlug, war die Erkenntnis, dass man im Landratsamt nicht willig oder fähig ist, von vornherein mit geeigneten Argumenten solch eine Demonstration vor meinem Wohnhaus zu unterbinden."
8. März: Die Öffentlichkeit wird aufmerksam
Der Rücktritt von Nierth ist nun
bundesweit Thema. Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahllknecht
besucht den Ort. Er wolle ein Zeichen setzen, sagt er in Tröglitz. Und
er sei schockiert über den Rücktritt.
Der Landrat des
Burgenlandkreises, Götz Ulrich, bedauert den Rücktritt von Nierth.
Dieser reiße eine Lücke und komme mit Blick auf die Entscheidung des
Kreistages am Montag über die Unterbringung von Asylbewerben in Tröglitz
zur Unzeit.
9. März: Kreistag beschließt Unterbringung von Flüchtlingen:
Der Kreistag beschließt, im Mai 40 Asylbewerber oder Flüchtlinge in Tröglitz aufzunehmen. Landrat Ulrich bezeichnet den Rücktritt von Nierth nochmals als nicht nötig. "Es stimmt nicht, dass die Behörden den Bürgermeister im Stich gelassen haben".
12. März: Land will ehrenamtliche Bürgermeister besser schützen.
Als Reaktion auf die Ereignisse in Tröglitz legt Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht einen Erlass zum Schutz ehrenamtlicher Politiker vor. Unter anderem sollen Nazi-Aufmärsche vor Wohnhäuser der Politiker nicht mehr möglich sein.
15. März: Wieder Aufmarsch von Rechtsextremen und Einwohner
An diesem Sonntag demonstrieren rund 180 Rechtsextreme in Tröglitz gegen
die Unterbringung von Asylbewerbern. Sie dürfen aber nur über
Nebenstraßen laufen - und nicht an den Wohnungen ehrenamtlicher
vorbeimarschieren. Der Landkreis untersagte außerdem dem bekannten
Rechtsextremisten Hans Püschel einen Auftritt als Redner.
Etwa 200 Anwohner nehmen zeitgleich an einem Friedensgebet in der Tröglitzer Kirche teil.
16. März: Ermittler prüfen Morddrohungen gegen Nierth
Das Landeskriminalamt prüft Morddrohungen gegen Nierth. Der Sprecher des Landeskriminalamtes Andreas von Koß sagt MDR SACHSEN-ANHALT, die Situation in Tröglitz sei sehr ernst. Erste Schutzmaßnahmen greifen.
18. März: Schmierereien an geplanter Flüchtlingsunterkunft
An dem Gebäude in der Ernst-Thälmann-Straße wird ein Hakenkreuz entdeckt. Das Kreuz an der Hauswand ist etwa 20 Zentimeter groß.
31. März: Bürgerversammlung zur Ankunft der ersten Flüchtlinge
500 Einwohner kommen zu der Einwohnerfragestunde über die Unterbringung
von Flüchtlingen in das Kulturzentrum Alttröglitz. Landrat Götz Ulrich
informiert über die Vorbereitungen. Viele Bürger machen ihrem Unmut
Luft. Sie seien zu spät über die Pläne informiert worden.
Nierth
und der evangelische Pfarrer Matthias Keilholz stellen auf der
Versammlung eine "Tröglitzer Erklärung" vor, in der eine neue
Willkommenskultur und Wege zur Integration der Flüchtlinge angesprochen
werden.
4. April: Brand in geplanter Flüchtlingsunterkunft
Am Ostersamstag wird ein Feuer in
der geplanten Asylbewerber-Unterkunft in der Thälmann-Straße gelegt. Die
Staatsanwaltschaft spricht von einer "besonders schweren
Brandstiftung". Zwei Menschen wohnen in dem Haus, sie können sich
retten.
Noch am selben Tag demonstrieren 300 Menschen in
Tröglitz gegen Ausländerhass und Gewalt. Unter den Demonstranten ist
Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff, der sichtlich wütend
ist.
6. April: Morddrohungen gegen Landrat
Landrat Götz Ulrich macht Emails mit Morddrohungen gegen ihn und seine Familie öffentlich. Die Täter drohen dabei an, wie bei der "französischen Revolution mit ihm umzugehen". Die Polizei verstärkt den Personenschutz.
7. April: Kopfgeld für Brandstifter, weniger Flüchtlinge
Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stehlknecht entscheidet, 20.000
Euro Prämie für Hinweise auf die Brandstifter von Tröglitz auszusetzen.
Die Ermittlungsgruppe "Kanister" mit 17 Beamten ermittelt derweil in
alle Richtungen. Sie vermutet, der Anschlag könnte aus dem rechten
Spektrum heraus begangen worden sein. Sie hält es aber auch für möglich,
dass die Tat begangen wurde, um das politische Spektrum zu
diskreditieren.
Ferner sollen laut Stahlknecht im Mai zunächst
nur zehn Flüchtlinge aufgenommen und in privaten Unterkünften
untergebracht werden.
8. April: Polizei befragt Einwohner von Tröglitz
Bei der Fahndung nach den Brandstiftern von Tröglitz befragt die Polizei auch die Einwohner des 2.800-Seelen-Ortes. Laut LKA-Direktor Jürgen Schmökel erhoffen sich die Beamten der Ermittlergruppe "Kanister" Hinweise auf den oder die Täter. Inneminister Stahlknecht schließt unterdessen auch die Möglichkeit eines linksextremistischen Hintergrundes nicht aus. Es werde in alle Richtungen ermittelt.
9. April: Polizei setzt in Tröglitz Videotechnik ein
Die Polizei will jetzt mit Videotechnik für mehr Sicherheit in Tröglitz sorgen. Wie das Landeskriminalamt mitteilte, wird der Tatort ab sofort mit Kameras überwacht. Damit sollen künftige Straftaten verhindert werden. Erste Kameras wurden am Vormittag installiert. Die Aufnahmen werden ins Polizeirevier Weißenfels übertragen, aufgezeichnet und nach 72 Stunden wieder gelöscht. Zunächst soll die Videoüberwachung ein halbes Jahr dauern.
16. April: Thomas Körner ist der neue Bürgermeister von Tröglitz
Sechs Wochen nach dem Rücktritt des Tröglitzer Bürgermeisters, Markus
Nierth, hat der Ortschaftrat einen Nachfolger gewählt. Der parteilose
Thomas Körner übernimmt das Amt. Zuvor war lange Zeit nicht klar, wer
für das Amt kandidieren wird.
Der 52-jährige gelernte
Kfz-Mechaniker dankte in seiner Antrittsrede Nierth für dessen
Engagement. Körner wolle dafür eintreten, dass Tröglitz zur Ruhe kommen
könne und der Ort nicht mit rechtsextremem Gedankengut in Verbindung
gebracht werde.
1. Mai: Bürgerfest wird abgesagt
Tröglitz im Burgenlandkreis hat sein für den 1, Mai geplantes Familienfest abgesagt. Grund dafür war eine Kundgebung der Antifa, die das Oberverwaltungsgericht erst am Vorabend genehmigt hatte. Die Gemeinde befürchtete Krawalle. Mit dem Familienfest wollte Tröglitz zeigen, dass die Menschen dort friedlich zusammenleben.
10. Juni: Ankunft der ersten Flüchtlinge
Der Burgenlandkreis teilt mit, dass die ersten Flüchtlingsfamilien in Tröglitz am Dienstag eingetroffen sind. Zwei Familien kommen aus Afghanistan und eine Familie aus Indien. Für die drei Familien stehen zwei Wohnungen bereit. Der ehemalige Ortsbürgermeister Markus Nierth übernimmt Patenschaften für die zwei afghanische Familien.