Minister lehnt höhere Polizeipräsenz ab / OBM Jung kritisiert Landesregierung und verlangt Verstärkung
Von Andreas Debski, Björn Meine und Jürgen Kochinke
Dresden/Leipzig. Nach den linksextremistischen Ausschreitungen in
Leipzig macht Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) Druck auf die
Stadt: "Es ist einfach der Zeitpunkt gekommen, wo innerhalb Leipzigs
eine Diskussion beginnen muss: Soll das, was sich in bestimmten
Stadtteilen abspielt, wirklich zur Normalität werden?", sagte Ulbig der
Leipziger Volkszeitung. Offenkundig habe es in den vergangenen Jahren
eine Entwicklung gegeben, die für den Linksextremismus förderlich
gewesen sei. Deshalb forderte der Innenminister: "Es ist jetzt Aufgabe
von Stadt, Polizei und Bürgern, Konzepte zu entwickeln, um konsequenter
gegen diese Umtriebe vorzugehen. Dabei muss man sich unter anderem
überlegen, wie gewisse Bündelungen und Konzentrationen zerschlagen
werden können." Mit der Soko Johannapark und einer noch intensiveren
Arbeit des Verfassungsschutzes gehe der Staat nun ganz gezielt gegen die
linksautonome Szene vor - doch auch die Leipziger Stadtgesellschaft
müsse jetzt ihren Beitrag leisten, so Ulbig. Von 95 linksextremistischen
Gewalttaten, die es in diesem Jahr bereits in Sachsen gab, fanden 81 in
Leipzig statt. Das ist ein Anstieg um 50 Prozent.
Zugleich wehrte der Minister die Rufe nach mehr Polizei ab:
"Populistische Forderungen bringen uns nicht weiter. Man muss auch mal
ehrlich sagen: Mehr Polizeipräsenz wird die Linksextremisten kaum
abhalten - diese Kriminellen nutzen gezielt und abgesprochen Lücken, die
für einen Moment nicht abgedeckt sind. Wir können nicht an jeder
Straßenecke Polizisten stationieren."
Leipzigs OBM Burkhard Jung (SPD) widersprach Ulbig heftig und forderte
den Minister seinerseits zum Handeln auf: "Es ist doch unerträglich,
dass Polizeiposten angegriffen werden und die Beamten Ewigkeiten auf
Verstärkung warten müssen. Hier stimmt etwas nicht. Es ist nicht nur
leichtfertig, dies im Innenministerium regelmäßig zu übersehen, es ist
auch unfair den eigenen Polizisten gegenüber." Zudem wehrte sich Jung
gegen den Vorwurf, die Stadt habe in Connewitz und Plagwitz ein
linksextremistisches Klientel herangezüchtet. "Die jetzigen Gewalttäter
haben nichts mit der Hausbesetzer-Szene der Neunziger zu tun."
Auch die Opposition konterte: Die eigentliche Gefahr für die Demokratie
gehe weniger von hundert autonomen Randalierern aus als von CDU, SPD
und Innenministerium, die nun auf mehr Überwachung drängten, sagte der
Innenexperte der Linksfraktion, Enrico Stange. "Wer dem
Überwachungsstaat Tür und Tor öffnet, weiter die Polizeipräsenz
zurückfährt und jegliche Idee für eine stärkere Zivilgesellschaft
vermissen lässt, der gefährdet die freiheitlich-demokratische
Grundordnung." Ähnlich äußerte sich Grünen-Landeschef Jürgen Kasek. Bei
den Randalierern handele es sich ganz klar um Straftäter, die verfolgt
und bestraft werden müssten - "aber es ist unsinnig, so zu tun, als
handele es sich dabei bereits um Terror". Vielmehr könnten diese
hundert Autonomen den Rechtsstaat nicht ernsthaft in Gefahr bringen. Wer
anderes behaupte, werte sie unnötig auf, so Kasek.