Krawalle im Zentrum: 100 Chaoten greifen Bundesgericht und Polizei an

Erstveröffentlicht: 
08.06.2015

Pflastersteine und Molotowcocktails fliegen, Barrikaden brennen Innenminister: Strategie gegen Linksextremisten überdenken

 

Von Anne Grimm, JOhannes Angermann und Klaus Staeubert


Nach den gewaltsamen Ausschreitungen in der Leipziger Innenstadt fehlt von den Drahtziehern noch jede Spur. Polizeipräsident Bernd Merbitz erwägt die Einrichtung einer Sonderkommission, nachdem am späten Freitagabend 100 Chaoten mit Steinen und Molotowcoctails das Bundesverwaltungsgericht, das US-Generalkonsulat sowie die Polizei angegriffen hatten. Diese vermutet die Täter im linksradikalen Spektrum und ermittelt nun wegen Landfriedensbruchs. Mehrere Politiker von CDU und SPD forderten am Wochenende Konsequenzen aus dem Vorfall, unter anderem ein verbessertes Sicherheitskonzept für die Messestadt.


Verletzte Polizisten, kaputte Scheiben, zerstörte Autos, brennende Reifen: Am Freitagabend hielten 100 teils vermummte Personen die Polizei in Atem. Die Randalierer hatten kurz nach 22 Uhr am Pavillon im Johannapark eine Barrikade aus Reifen errichtet und in Brand gesetzt. Von dort waren sie weiter in die Karl-Tauchnitz-Straße gezogen. Auf dem Weg dorthin zündeten sie Feuerwerkskörper, warfen Molotowcocktails, Farbbeutel und 200 Pflastersteine, beschmierten Fassaden und Gehwege. Sie streuten Krähenfüße, wodurch zwei Fahrzeuge beschädigt wurden. Von einem Reisebus zerstörten sie die Frontscheibe. Überdies zerlegten sie eine Straßenbahnhaltestelle am Neuen Rathaus. Am Bundesverwaltungsgericht und in einem medizinischen Zentrum gingen Fensterscheiben zu Bruch.


Zwischen Gericht und Konsulat konnten die Beamten die Randalierer stoppen. Mehrere Beamte wurden dabei verletzt, drei Polizeifahrzeuge stark beschädigt. Die ganze Attacke dauerte keine halbe Stunde. Ein Großteil der Täter flüchtete, ein 35-jähriger polizeibekannter Mann wurde vorläufig festgenommen. Zur Schadenshöhe liegen noch keine Angaben vor.


Der Leipziger CDU-Landtagsabgeordnete Ronald Pohle war zufällig Augenzeuge der Krawalle geworden. Er sprach von einer "Straßenschlacht" und von "blinder und zügelloser Gewalt durch vermummte Straftäter". Pohle: "Die Straßenkreuzung gegenüber dem Neuen Rathaus glich einem Schlachtfeld, mehrere Brandherde, hunderte Pflastersteine unterschiedlicher Güte, Gussteile von Versorgungsleitungen, Wurfgeschosse und Pyrotechnik aller Art übersäten die Kreuzung." Der Parlamentarier kündigte an, das Thema in den nächsten Sitzungen des Innenausschusses des Landtages auf die Tagesordnung zu setzen. "Ich werde dabei auf ein verbessertes Sicherheitskonzept für Leipzig dringen", so Pohle.


Polizeipräsident Bernd Merbitz sprach von einem "Gewaltexzess". Er verortet die Täter im linksextremistischen Spektrum. Ein Zusammenhang mit dem G7-Gipfel sei nicht auszuschließen. Ein Bekennerschreiben liegt bislang aber nicht vor. "Wir haben sie relativ früh am Ring gestoppt, so dass sie nicht in die Stadt reinkamen. Sonst wäre vermutlich noch mehr passiert", sagte er. In der City feierten am Wochenende 300000 Menschen das Stadtfest.


Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) sagte: "Wir werden gemeinsam mit der Polizei vor Ort und dem Innenministerium über das Thema Polizeipräsenz reden müssen, auch das Thema Bereitschaftspolizei in Leipzig gehört auf die Tagesordnung." Das A&O sei die Präsenz, pflichtete der Polizeipräsident bei. "Die dürfen überhaupt nicht zur Entfaltung kommen." Für das Wochenende war die Polizei in der Stadt in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt worden. Nun überlege er eine Soko einzurichten, die sich mit der Aufklärung der Anschläge befasst.


Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) kündigte erste Konsequenzen an. "Wir müssen die Strategie bei der Arbeit gegen die linksextremistische Szene überdenken", sagte er. Er versprach Merbitz "volle Unterstützung bei der verstärkten Arbeit gegen Linksextremismus".


Es war bereits der fünfte Angriff dieser Art in diesem Jahr in Leipzig. Ziele waren bisher Polizeireviere, Amtsgericht und Ausländerbehörde. "Das Maß ist voll", erklärte Leipzigs SPD-Chef Hassan Soilihi Mzé, "Leipzigs Zivilgesellschaft darf sich derartige, gegen Menschen und Sachen gerichtete Gewaltexzesse nicht bieten lassen." Soilihi Mzé: "Diese Leute stellen sich demonstrativ und zunehmend offensiv gegen unsere demokratische Stadtgesellschaft." Es sei für ihn unerheblich, ob die Randalierer gegen den G7-Gipfel aufbegehrten oder nicht. Was sich hier abgespielt habe, "ist kein politischer Protest, sondern politisch motivierte Gewalt - feige, kriminell und dumm".


Wer den Weg der Brutalität und Zerstörung zur Auseinandersetzung wähle, passe nicht nach Leipzig, erklärte der Vorsitzende der Kommunalpolitischen Vereinigung der Leipziger CDU, der Bundestagsabgeordnete Thomas Feist. "Diese Menschen brauchen wir hier nicht", sagte er, "diese Menschen wollen wir hier nicht. Diese abscheuliche Gewalt müssen wir aus Leipzig verbannen."


Auch der innenpolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, Christian Hartmann, verurteilte die Ausschreitungen. Er forderte als Konsequenz eine erhöhte Polizeipräsenz. "Gleichzeitig ist zu überlegen, das Operative Abwehrzentrum um eine Komponente zu verstärken, die sich konkret mit der Aufklärung von Straftaten des linksextremen Spektrums in Leipzig befasst", sagte er. Der Staat müsse sich mit aller Kraft gegen die Feinde der Demokratie zur Wehr setzen.


"Diese Tat steht für mich in einer Linie mit den Angriffen auf den Polizeiposten in Connewitz", sagte Albrecht Pallas, innenpolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion. In Leipzig habe sich eine militante Gruppe etabliert, die den Staat nicht nur ablehnt, sondern mit gut organisierten Aktionen in schneller Abfolge angreift. "Das hat nichts mit einer kritischen Haltung gegenüber der aktuellen Politik oder bestimmten politischen Meinungen zu tun."